Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

8.12.18

Bodybuilding im Seniorenstall

Bodybuilding im Seniorenstall
Muskel und Falte, ganz der Alte.

3.12.18

Von Ruinen

Der alte Gork

Wer ihn so nannte? Keine Ahnung. Es kommt wahrscheinlich von Gorki. Schwarz wie je gekleidet, weiß die Haare. Ich schätze ihn auf 75 bis 80.

Eine Weltanschauungsruine, denkt der Pharisäer in mir. Dr. Smirc meint, Gott-sei-Dank habe das Schicksal uns von so einer Entwicklung verschont.

Die Kleidung ist vom Feinen. Sicher nicht Boss, das wäre für einen alten Kommunisten doch zu stark. Aber eben oberes Segment. Irgendwie seriös muß es schon aussehen. Die Umhängetasche längst kein Dritte-Welt-Sack mit Che-Druck, auf der Mütze kein verräterischer roter Stern mehr. Das überlässt er den Verrätern, die mit solchen Flausen Witzigkeit machen. In seine Tasche ist ein schlankes K mit Akzent eingelassen, unaufdringlicher Hinweis zur Wiedererkennung unter Freunden. Falls vorhanden.

Die Freundin ist jedenfalls schon 30 Jahre weg. Als die Zeit von Begeisterung in erbitterte Hoffnung übergegangen war, hatte man sich zusammengezogen. Eine kleine von gesellschaftlicher Arbeit und Selbstgedrehten gebeizte Wohnung, getaktet durch rasches Frühstück, Schreiben von Hymnen der Empörung, Kaffee, Rotwein, späten, schnellen Sex. Keine kleinbürgerlich-therapuetisches Beziehungsgeschwätz. Die Arbeitsaufteilung in Haushalts- und Parteidingen war lautlos, rasch und reibungslos erfolgt. Man lebte ins Graue hinein, während das Licht am Ende des Tunnels immer dünner wurde. Es erlosch mit dem Knall des Mauerbrechens.

Er war auf der Schiene, rollte weiter, mochten auch alle anderen den oder jenen Verrat begehen. Die Zeit war noch nicht reif. Man musste eben ein paar Jahrzehnte länger warten. Die Frau ging. Ihr war es zu wenig Leben. Eine Utopie ohne frohe Hoffnung?  Zu trockener Zwieback ohne Ausblick auf irgendwas. Brüdergemeinde ohne Bruder, Knast der Moral. Dann lieber Wirklichkeit mit Menschen.

Ein in die Zukunft geschossener Pfeil, der in der Gegenwart hängen blieb und nun in die Ewigkeit fällt. Dr. Warnix fragt, vor welchem Bild denn so ein priesterlicher Kader kniee und welches Gebet ihn im Griff  habe. Ob da nicht Eso locke und Guru?

Nein: dies bleibt. Auf dem Weg zurück in die unorganisierte Materie beschäftigen ihn zerfallene Vorstellungen, spürt er aber Alter und spätes Alter nicht. Bei Exit vorsorglich schon gemeldet.

Er konnte sich aus moralischen Gründen der Liebe nicht öffnen. Der Kampf zwischen Liebe und Verantwortlichkeit blieb ihm erspart. Egoistisch mußte er nicht werden, hatte die Ethik doch alles eigene, kleinbürgerliche aufgesaugt. Das graue Leben schreckte nicht, das laute, bunte störte eher, als ihn zu verlocken. Dem Begehren ließ sich problemlos manuell oder in Euro abhelfen. Einsamkeit? Was war das?

Ein dürrer Strauch steht am Wiesenrand. Die Wurzeln sind eingetrocknet, warten auf das Ansteigen des Grundwassers der Wut. Doch die Stadt saugt es ab, lebt ihr gieriges Leben. Und die Menschen in ihr treiben Liebe, Ego, frommes, gutes und ungutes Werk.

Zeig mir Dein schönes Bild von der Welt! Auch ich malte, malte. Die Liebe machte mich zum Verräter. Nun kann ich hinter Gesichtern keine Ikonen mehr erkennen. Es ist alles so ungeheuer kompliziert geworden. Und dann kam noch die dritte Dimension hinzu...

Solche Leute wie ich waren mir damals als fern der Linie des richtigen Denkens verhasst. Einer rief mir zu "eiskalter Intellektueller!" - und ich war stolz. Jetzt sehe ich mich, äh Dich hier stehen, der grauen Fahne treu ohne zu wissen, warum. Gehend aus der kalten Wut in das in Gleichheit aller sich öffnende Vergessen.

Ich wünschte Dir zumindest eine trauernde Umarmung und den Schmerz des Abschieds.  Was wäre das Leben denn gewesen ohne Liebe? Aber ich fürchte,dass dieses Glühen sich im Stolz der klüger analysierten Theorie verborgen hält bis zum letzten Zisch.

Dr. Warnix, Psychagog und tropfenfreie Adventskerze meint, das sei mal wieder so ein typisch pathetischer Lappen Moral smircscher Larmoyanz. Unter dem Vorwand des Mitleids Verachtung spritzen! Ja, ja. Aber man müsse doch auch dem Ikoniker von Weltanschauung ehrliches Bemühen einräumen. Und ob das Leben in der Verantwortung so trocken sei wie das im Ego ausgelutschte faul, müsse jeder doch wohl selbst für sich entscheiden.

"Typisch Abwiegler". Smirc schüttelt sich wie vor Ekel. Das Leben habe uns doch unter Millionen verpassten seminatorischen Gelegenheiten wohl nicht dazu hervor gelassen, daß wir unsere Mitgeborenen mit Plänen des Heils als Nutztiere durch die Gegenwart ritten. Wir seien dazu da, die Augen eben zuerst für sie zu öffnen und dann für die Klugheiten über sie.

Gott in Gestalt des Hansl Pfefferle ruft zum Frieden und ins Haus. Es ist angerichtet. Heute gibt es irgendwas von vegan. Einmal müsse man doch auch selber schmecken! Der alte Gork lacht. So einer ist ihm noch nicht unter gekommen. Aber er spendiert vom 68er Bambusschnaps. Na, also...

23.11.18

Resignieren

Er hat sich vom Senior zum Resigneur entwickelt

Wiedergeburt

"Halt Dich an Deiner Liebö fest! " Rio Reiser

Wieviel Billiarden von Jahren Leben gibst Du der Welt, eben dies in eben diesem Raum wieder zu erschaffen?

Ist der Glaube an eine Wiedergeburt leichter? 

28.10.18

Von Einsamkeit

Gott schenkt mir einen doppelten Hochprozenter Einsamkeit aus. Scharf bin ich auf das Gesöff nicht. Aber ich will ihn nicht beleidigen.

Du weißt Bescheid: Eine düstere Sache. Aber es muss runter.

Gott: "Stell Dich nicht so an: Du hast doch alles: Liebe, Freunde, einen freundlichen Körper. Du mußt auch schon mal was spüren können!"

Ich weiß. Aber was weiß er von dem, was meine Blicke durch das Fenster zieht?
Wir teilen den Rest der Flasche und schweigen. Prost!

Dann packe ich und bedanke mich. Draußen wartet mein Einhorn. Wir gehen in den Garten, wo all die verbotenen Blüten wachsen: Sanftheit, Ängstlichkeit, Weichheit, Sehnsucht, Trauer. Ich lege mich in's Gras. Es wacht mit einem starken Herzen aus Geduld über mir.

Ich werde aufwachen und nicht verstehen. Ich werde peinlich berührt schweigen.

Aus der Ferne aber wird mir das Lachen des Einhorns Echo sein. Und Gott wird mir wieder die Tür zu den Menschen öffnen.

Ich sag ja: Der ist doch ganz ok!

1.10.18

Es ist wie es ist

einer der dümmsten Sprüche, die es aus der Therapie in den Talk geschafft haben.

Es ist wie es ist?!
Dummkopf, daß weiß ich selber.

Aber ist es denn gut?
Und ist es denn gut so??

Darum ging doch der ganze Ärger und die ganze Liebe.

17.9.18

Sinn und Bedeutung?

Betrachtend

Im Grün des Grases die ersten falben Blätter, glänzen in der Reflexion. Freude breitet sich in mein überkluges Herz. 

Nach der Gier zum herrischen Ich entdeckt der Mittelstand nun die Lust am Asozialen Wir-zuerst. Sie wissen nichts von der Not, vor der sie in den Haß fliehen. Ich mache mich auf zur Dankbarkeit.

Das Fallen der Eicheln betrachtend, segelnd im Meer.

Wenn die Eicheln rund wären, würden sie beim Aufprall viel weniger weit weg vom Baum zu liegen kommen. Das Alter, das mir sehen hilft. Ich sammle wieder zu Verlierendes!

Im Alter kommt auch die existentialistische Weise der Betrachtung zur Geltung. Ich lese in Camus "Der Fremde". Der Krieg des Lebens ist vorbei und Du kannst Dich auf Leben und Tod einlassen.

Warum habe ich die "Fünf Raben" geschrieben? Wozu? Ein Leben lang suchte ich nach dem Sinn, der Bedeutung in der Kunst oder in einem Kunstwerk. Was war es, das mich da und dort berührte, nicht zu selten, nicht allzu oft?

Die Suche scheint mir beendet. Ich spüre jedenfalls die Frage nicht mehr. Ja, es ist nicht der Verlust, ich stimme Joan Didion zu, es ist das Wissen um Sterblichkeit. Die Bedeutung liegt nicht hinter, unter oder über dem Sein. Sinn und Bedeutung sind im Sein. Das Leben hat sozusagen etwas von Existenz an sich. Es, sie selbst ist Sinn, Bedeutung, Gott, Liebe pp. So denke ich jetzt.

Dr. Warnix, Psychagog und Familienphilosoph, hat das Recht auf Nichtmehrwissen entdeckt und betrachtet gerne das Fallen der Eicheln mit mir. Wir schweigen unterschiedlich in die unterschiedlichen Geräusche der Existenz hinein. So finde ich es schön.

Dr. Smirc wirft ein: "Rom: ist das nicht der Tod?"

1.000 Wege führen nach Rom. Das weiß auch die Mutter in Nigeria. 1.000 Haltungen sollen beim Überleben des Abenteuers helfen. Dagegen sind die wenigen hundert Ausprägungen des privilegierten Egoismus zwischen Gleichgültigkeit und Grausamkeit erfolgreich. Ihre Gesichter werden gewiß in die Geschichtsbände im Regal der Herrschaftsverwaltung eingestempelt. Die Zeit kommt, wo der Hausdiener versehentlich seinen Wodka darüber auskippt. Sorry, was für ein Haufen Staub! Entsorg das mal!

Im Mittelmeer ertrinken Glaube, Liebe und Hoffnung.

Sinn und Bedeutung sind Existenz. Sieh, freue Dich, trauere! Und - handle!

Handeln und Erkennen sind wohl die Rechte und Pflichten aus dem Einmal-Umstand, leben zu dürfen, bzw.  zu müssen.

Klaus Wachowski

6.8.18

In der Arztpraxis


„Entschuldigung! Der Tod / das Leben hat mir noch keinen Termin gegeben. Ich habe auch nicht angerufen. Darf ich trotzdem?“
*
Gegen das Weinen hilft kein Augenarzt. Eine Sonnenbrille aber gegen die Sichtbarkeit.

21.7.18

Blumenstrauß

Über den Glaskörper schiebt sich ein Häutchen, die Tränenflüssigkeit zurückzuhalten.
Du kennst schon alles. Ich nichts. Ich gehe mit meinem väterlichen Freund Richard unter Bäumen.
Ich sehe: Dieser Blumenstrauß ist schön. Rote, blaue und gelbe Blüten in grünem Blatt. Ein Schleier von feinen weißen Blüten darüber.
Die rot gefüllten Sterne blühen hervor. Zarte kleine blaue Trichter, von harten grünen Blättchen geschützt, und mittelgroße gelbe Blütensterne. Sie alle wachsen aus schlanken dunkelgrünen Blattlanzen hervor.
Es soll Dir die Farben des frühen Sommers in den Schlaf gießen: da ist eine Wiese aus Träumen der Kindheit, über der der Falter Sehnsucht taumeln und aus der er trinken kann, bevor er von Zielen gezogen sich hinter dem Horizont verliert.
Ich stelle den Strauß in die Vase. Schon summt eine Biene herbei. Wasser befeuchtet die Erde. Aus den Bäumen die Lieder der Vögel.
Schritte im Kiesweg. Dann Stille.
Meine Gedanken auf der Spur eines Falters. Aus dem grünen Schatten sehe ich noch einmal zurück auf einen Strauß Frühsommer.
21.7.2018 Klaus Wachowski

10.7.18

Tamam

Ich höre eine mir liebe, vertraute Stimme singen. Die Saiten meiner Seele erbeben in einem moll- Akkord. Eine wehmütige Erinnerung.

Ich möchte antworten. Meine Worte zerfallen an der Mauer des Gestern zu Staub.

So danke ich den Stimmen, die aus der Vergangenheit in eine unbekannte Zukunft sangen.

So groß Dein Ruhm sein mag: er kann die Zeit nur in einer Richtung nehmen. (Und weit kommt er auch nicht.)

Ewigkeit ist anders.

Ein Lied aus der Vergangenheit nimmt mir den Stift aus der Hand. Was geht mich die Größe der Zukunft an?

11.6.18

Rache

Das Meer ist aufgewühlt. Das Schiff versucht, Linie zu halten.

Die Gefühle versuchen, sich zu halten. Die Trauer wohnt in den unteren Decks. Bei Gefahr werden die Schotten dicht gemacht.

7.6.18

Wohl sein


Ein mir bekannter Faulenzer ich kannte nur einen-  sitzt im Halbschatten des Eiscafés B in Annweiler. Ein fein gestalteter grau melierter Bart schaut unter Baseball-Mütze und genüßlich durchgezogener Tabakspfeife hervor.  Er liest -ebenfalls genüßlich- in einem lokalen Wichtigblättchen seinen Wiener-Schnitzel Beitrag aus dem Dorfgemeinschaftshaus X nach. 

Mir schwillt der Kamm.

Es ist das Alles-egal, das mir in der backenschunkelnden Lebensweise der sich am persönlichen Vorteil labenden Gemütlichkeit aufstößt. Komm, wir lassen es uns gut gehn! - Und dort schleicht einer um die Ecke, dem noch 20ct zum Bier fehlen.-

Für mein Mitleid kann er sich nichts kaufen. Aber vielleicht hilft solche Aufmerksamkeit doch irgendwann oder auf Dauer dabei, seine Situation zu bessern.

Die Wurstigkeit aber des "genieße heut, wir können eh nichts ändern" ist doch genau die Schäbigkeit, die er und ich früher empört bekämpften.

Kaum hatte ihn eine glückliche Strömung am Strand abgesetzt, wandelte er sich zu einer ahnungslosen Verkörperung jenes Schmarozertums der Abwiegler.

Ja, genau das habe ich gegen Dialektdichtung, Weck, Woascht un Woi. Predigt und Ritual vom Alles-egal.

Wie hätten viel erreichen können. Dir war's genug.

6 2018

1.6.18

Ein Kalenderspruch von Pink

"Man kann keine Berge versetzen, indem man ihnen zuflüstert."

Aber nur so kannst Du ihr Wunder erkennen.

31.5.18

Begley über Schmidt

S. Verliert alles. Der Leser bemerkt seine Illusionen, Ruinen von Plänen, aus der Zeit gefallene Überzeugungen. Er bleibt trotz schwiemelndem Antisemitismus sympathischer Egoist ohne Narzißmus. Bei allen verbliebenen Freuden bleibt ihre Vergänglichkeit spürbar.

Einsamkeit ist alt geworden, Trauer und Liebe versinken hinter einer Wolke von Martini und uneinsichtiger Sehnsucht. Das Buch ist ca. 15 Jahre alt. Wie Begley es wohl heute schildern würde?

Und wo in dem ganzen selbstgerechten Literaturbetrieb rechts und links der akademischen Freiheit ist der Roman über den Hilfsarbeiter Bryan, der nach einer guten Arbeit für einen fetten alten Rechtsanwalt von dem gut entlohnt wird, sich doch dazu entschließt, eine Familie zu haben und nach zwei finanziell glücklich überstandenen Operationen alt wird und in trockener Armut stirbt und doch Trump verachtet? War er nicht Verlockungen von Liebe, Sex und Haß ausgesetzt? Waren in diesem Leben nicht Sehnsucht und Einsamkeit genug? Und Hoffnung? Und Verlust? Und Reue fordernde Schuld?

5.4.18

Gründonnerstag

Gründonnerstag
Alle Glocken läuten.
Anlässlich Juli Zehs Buch über Bosnien habe ich mich nochmal mit dem Skandal Handke befasst. Anlässlich Gründonnerstag denke ich: lass!
Auch Botho Strauß und Martin Walser haben wieder ihre Falten geöffnet.
Heute geht mit auf, was mich an ihrer Literatur stört: der Mensch fehlt. Nicht ganz so bei Walser. Aber der drückt sich schon Jahre um ein öffentliches Bekenntnis zur Reue.
Ich hatte versucht die jeweils narzißtische Haltung in Mängeln der Literatur nachzuweisen. Und bis heute bin ich mit Karl Kraus davon überzeugt, dass, wo der Mensch nicht Gegenstand der Literatur ist, Literatur nicht ist. Auch wo der Idylliker nur Wort und Objekt gegenüberstellt, möchte ich das Herz des Betrachters und Beschreibenden schlagen fühlen. Und es muss ein Menschenherz sein. Alles andere ist "narrativ", nettes oder schreckliches Strassenbahngezwitscher, nicht der Teil der Welt, in den ich gehe, um zu empfangen.
Und eben das fehlt ihnen, Klassendiven bei suhrkamp & co. Ein Kind, das sich für die Mama schöne oder schreckliche Narrative aus den Fingern saugt. Und die liebe ist natürlich schon über dieses Geliebtsein-wollen begeistert, wie wir es von Müttern, Vätern, Geschwistern, Kindern doch erhoffen. So tut der Verlag ganz Recht daran, die Versuche der Eifrigen zu belohnen und sich nicht weiter darum zu kümmern, ob sie denn auch etwas besagen in ihrem Sagen. Mit ordentlich Reklame geht es schon.
Und was haben sie denn bis auf Walser schon Schlimmes getan?
Aus einem rasch und gewaltig aufgeblasenen Ruhm heraus haben sie versucht, den Applaus zu halten und zu vervielfachen, an das beständigere Lob für im Leben stehende und schreibende Dichter heran zu kommen. Und als dies nicht gelang: ich wette die Zahl der Intellektuellen, die glauben, sich den neuesten Handke, Strauß pp halt kaufen zu müssen ist erheblich unter lohnende Massen geschrumpft. Als dies also nicht gelang, blieb nichts als der beleidigte Rückzug verlassener Führer, zu wenig beachteter Kinder auf die Wiederholung der längst Masche gewordenen frappierenden Methode des ersten Erfolgs.
Man ist nicht faul. Das Einüben seriöser und poetischer Haltung, das  Pflegen der Geschäftsbeziehungen und das Spreizen des Pfauenrads, vor allem das Polieren der ausgegilbten Plastikausdrücke von Sprache erfordert Disziplin und Zuverlässigkeit wie jeder andere Brot- oder Sektberuf.
Aber das Leben, die Lust daran und die Sehnsucht danach sträuben ein. Spinnenfäden der Unlust weinen sich um jedes Wort, das einmal springen und singen wollte. Schicksal des zum Erfolg gekommenen Narziß. Ein bedauernswertes Obdachlos.
Er liegt nicht unter der Brücke? Er bettelt nicht um einen Euro?
Was ist der Unterschied?
Es tanzt die ganze verlorene Sehnsucht nach Beachtung um ihn herum, in der Hoffnung, etwas von dem heuchlerischen Beifall zurück zu bekommen. In Euro.
*
Nun bin ich selbst abgeschweift, habe mich und die Welt verloren. Auch ich bin fern den Menschen. Sehne mich nach ihnen, scheue zurück. Das dürfte bei allen der Fall sein, die für ihr Handwerk Abstand zum Betrachten benötigen und Zeit zum Gedanken sammeln und zu geben.
Aber ich sehne mich noch. Das bringt Pathos und Tränen in die Geschichte. Und das ist es, was das Ich - Ich des Unverbindlichen nicht hören will. Ernst und Trauer,  das Lachen und das Lächerliche.
***
Dies war die letzte Seniorenwut des Winters. Unter Frühling und Sommer bitte ich, die Subjekte, Objekte meines Ärgers freundlicher zu betrachten.
*
Ich gehe hinaus in den 68. Frühling meines Lebens.
Ich sehe wie Menschen von den Geschossen von Haß verrückter Nationalisten getroffen werden, in der Sniper Alley Sarajevos, gerettet von unbekannten Nachbarn. 
Ich höre von wirklicher Hilfe, von Vertrauen, Sorge, Freundschaft aus dem Nichts. Der Tod auf Anordnung des irren Mladic, die Geburt einer neuen Republik unter dem Bersten von Granaten. Während ein Dichter aus Suhrkamp in Erdbeerbildern duftet.
Der Osterhase im Minenfeld. Da geht Christus und ruft: "Warum hast Du mich verlassen?!" Und die Uno wäscht ihren Panzer  weiß und weißer in Unschuld.
*
Ich will wieder Bienen summen hören um Blüten und Marmelade. Ich will den Duft von regenfeuchter Erde und lang anhaltende Gespräche unter Nachbarinnen. Das bedeutsame Schweigen aus dem gedankenlosen Tun der Männer, das Geschrei von Kindern und das Drängeln an der  Kasse des Discounters.
Und nachdenken über Dich, träumen: wie war das noch?

3.4.18

Akkorde des Alters

Man kann es auch so verstehen:

Die Dur-Saiten, hell und gespannt, sind im Lauf der Jahre gerissen.

Nun begleite ich den Frühling in moll-Akkorden.

Es klingt mir sogar schöner.

24.3.18

Worte des Grunch

http://spielwiese-dada.blogspot.de

Eine Tonfallstudie

5.3.18

Erster Tag 2018



Einen Vogel malen
Das Gelb der Sonne für den  Bauch. Von oben sei Grau. Ein rosa Strich vom Schnabel aus und der Rest des Schnabels schwarz.
Ein dunkelgrüner feiner Strich zeichnet auf Dir den welligen Flug an der Hecke nach. Zwei, drei hellere Punkte reflektieren das Licht vom Rand der metallenen Vase. Im Spiegel deines Auges erkenne ich den Grabstein.
Und allüberall bricht der Gesang des Frühlings aus den von Vögeln umflogenen Zweigen herab.
Die ersten Bienen in den Weidenkätzchen unter Dir.
Fliege in den Garten Erinnerung!
*
Meisen aus entlaubten Zweigen flüchten unter das bläuliche Grün der Kiefernadeln. Auf dem orangeroten geraden Stamm liegt der gebogene Schatten des Nachbarbaums. Ich gehe ins Wunder. 
Die Risse im dunkelgrauen Asphalt, die schräg stehenden weiß-grauen Platten, die tausend feinen weißen Blüten im Gras.
Auf allem liegt der Frieden aus warmen Sonnenstrahlen.
Ich erinnere mich. Du im Kinderwagen, wir gemeinsam durch ausbrechendes Grün. Wie Du wohl die Welt einmal erleben würdest? Ich wollte Dir all die Schönheiten zeigen, die Du längst sahst und fühltest. So sollte es bleiben. Aber es war doch! 
Ein Mann, eine Frau, ein Mann mit Hund gehen vorbei. Zwischen Häusern, Bäumen, Straßen breitet sich ein Märchen aus. Es ist wie "es war einmal".
4.3.18 Klaus Wachowski

4.2.18

Indian riddim Paradise



Sehnsucht
Im verwunschenen Garten steht die Zeit still. Es ist Frühling, warm und bunt. Die Luft ist erfüllt vom Duft der Blüten, ein kaum spürbarer Wind trägt ihn weiter und neuen Duft heran. Sonne, blauer Himmel, ab und zu eine weiße Wolke. Du kannst auf die Wiese liegen und in den Himmel schauen.
Bienen summen, tragen Nektar zum Stock. Spinnen spannen glitzernde Netze, wickeln Bienen ein. Vögel erfüllen die Luft mit Liedern, tragen Spinnen und Fliegen ins Nest. Am Buchs schnurrt die Katze Richard, schwarz wie die Nacht, springt auf die Amsel, schwarz wie die Nacht.
Und ein Dichter, kauend an einem veganen Kaugummi, bricht aus dem Unterholz, sinkt aus ommhem Schneidersitz in schnarchenden Schlaf.
Nächste Station Kröpfingen. Da tobt der Bär. Fressnapf - Aldi - Obi.
Das Serviceteam schenkt weiß gerösteten Kaffee aus. Die Betriebswirtschaft verlangt Einstellen der zusätzlichen Wasser - Gabe. Es klingt wie Konstanz in der Edel-Plörre.
"Die Toten aber sind geheimnisvoll stumm", denkt ein Denker sein staunendstes Aha.
Enttarnte Künstler ragen in die Fastnacht. Auch so'n Quatsch: "Kunst des Alterns". Ist das so ne Art Dialektdichtung? Ein Klischee von Attraktivität und Servilität? Man strahle doch bitte Würde und Tiefsinn aus, statt in die Hose zu pinkeln.
*
Was willst du mehr?
Was sahst du in der Zukunft?
Ich denke zurück an den Blick von der Terrasse unseres Hotels aus über die Rhone. Träge floss sie durch den Abend. Schwalben zogen Kreise in den Himmel, ihre schrillen Schreie: wie schön! Die Sonne war unter das Dach gesunken, Rot mischte sich ins Blau. Unten schloß einer sein Tor.
Weh aus einem Verlust stieg in mir auf. Gedanken an meine Lieben. Ob das Tiefsinn ausstrahlt?
Dies ist nur einmal. Und niemand außer uns hat diese Jahre. Und kein Bild, kein Lied kann es ersetzen, schöner machen pp. Eine Schneeflocke aus 2018 schmilzt, noch bevor sie den Krokus berührt. Sie allein hatte dieses Grau, diese Kälte, diese Erwartung in sich.
Vielleicht wollte ich es einst so. Aber ich möchte keiner von der Gestik der Belehrung sein! Hier am Buchs laß uns sitzen und hinausschauen und reden im Tonfall der Sperlinge.
4.2.18 Klaus Wachowski

7.1.18

Handke Wow 2



Hankewow 2, der Bergdoktor als Traumschiff
Aus welkenden Feldern des Ruhms unter Verwendung von Zitaten aus Pearsley "Im zarten Glanz der Morgenröte" und Begeisterungen zu Sloterdijk als Metier. Und was geht überhaupt mit Handke in der Obstdiebin?
Je weiter ein Gedanke von der Anschauung entfernt ist, umso weiter ist auch die Rußwolke des ihn zum Begriff verfestigen wollenden Wortes. Man greift zur hinterlüfteten Fassade der Verlagsputzer.
Der Dichter muß, um das Leben betrachten zu können, sich ein Stück daraus entfernen. Einsamkeit klärt. Aber Menschenferne zum Zweck der Heiligung eines Dünkels als höherer Wert? Narziß und Kunst?  Schminkprobleme einer Diva.
Handke bringt ein neues Make-up auf zarte Schläfrigkeit auf, um von seinem groben Schnitzer im Ethischen abzulenken. Und die Literaturroboter wedeln  Begeisterung zum Zweck der Leser-Akquise.
"Der Meister der Prosa des Augenblicks Peter Handke setzt im Roman «Die Obstdiebin» seine Suche nach dem Epos fort."  Lothar Müller.
Und der Meister des Assoziativen, Peter Sloterdijk, illuminiert das Haus der Philosophie in feurigen Farben mit hellwach zufälligen Chancen. Das Okkasionelle als Selbstentzündung.
Einer meint: "So müssen Bücher über Schriftsteller klingen! Wunderbar!"
Da findet man Abenteuer im Niemandsland zwischen Ken und Kebabismus. Wie sonst nur ehrliche Schinkenspezialitäten aus Baden-Württemberg.
Es ist nach längerem Schweigen in der Literaturnudelfaktur wieder einer von Handkes epischen Grossversuchen erschienen. Eine junge Schöne auf der Suche nach Mutter. Ein hoch gewachsenes, gertenschlankes junges Mädchen mit glänzendem Haar am Bahnhof.
Der "epische" Erzähler zeigt sich als Ideal im Brummen des Zen. Er brach aus seinem Haus in der Niemandsbucht aus, nachdem er von einer Biene gestochen worden war. Noch nie hatte er einen Hehl gemacht. Überall merkwürdige Dinge.
Mit dem landläufigen Roman hatte dieser Handke eh nichts zu schaffen. Jetzt erzählte Wolfram von Eschenbach das Mittelalter, Wahlheimat auch von Typen wie Heidegger, Franco, Orban und Karadzic. Vom großen G hatte er sich mit Grausen abgewandt. Das traf bei Sloterdijk auch beim Thema Gott zu („Nach Gott“). Die Äußerungsformen des Heiligen fallen doch ins Fach der Stress-Theorie!
Aber das Krachen eines Regionalzugs, der jäh auf freiem Feld stoppte, ließ Anschlagsangst  gleiten. "Hast du nach mir gerufen?", fragte die Hoffnung in kaltem Tonfall. Nun, nach etwa 150 Seiten verließ der Erzähler als Leibhaftiger seine Geschichte, um nur noch von einer Biene gestochener Begleiter zu sein. Ebendies war Sloterdijk effektvoll obsolet.
"Oh Magus", flüsterte es. "Es ist wie im Himmel". Sie war Wünschel, Frucht und Lesefrucht.
*
Was aber ist erzählenswert? Epos? Abenteuer? Das Einwandern durch industrialisierte Provinz in Regionalzügen, Supermärkten und Kebabideologieen zeigte Niemandsland, Metropolen und Provinzen eines Handke. Der Boden ganz mit moosgrünem Teppich bedeckt, die Wände mit einer Blumentapete tapeziert, und ein Diwan, grün gepolstert.
Wir erlebten Niemandsbucht: Genauigkeit, Kalender, Aktualitäten mythisch-zyklisch: "Diese Geschichte hat wohl... eine Biene gestochen." Wer Zehen hat, zu fühlen, mochte sich nach diesem Satz dafür verwünschen, noch nie barfuß in eine Biene getreten zu sein. Ein Auftritt, bei dem das Publikum als exklusives angesprochen wurde.
Rolf Steiner wagte nun eine unwichtige und zugleich leidenschaftliche Annäherung an einen der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Obwohl es keine Hinweise gab, ließ die kryptische Art seines Schreibens auf Freundschaft schließen.  
Er beschrieb  in einer klaren und unprätentiösen Sprache seine Liebe und Verehrung für Peter Handke — und wie er ihn am Ende >ganz zufällig< traf.
Wer, wie oder was war er? Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in ein Mittelalter des Vermeidens? Wahrscheinlich hätte man ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt, hätte er sich nicht über Thomas Bernhard mokiert. So mokiere Dich!
"Verwandlung" war das Schlüsselwort in Handkes neuem Projekt des Vergessens, wo eine Kassiererin sich in einer wuchtigen Epiphanie verwichtigte.
"Wo bist du gewesen?" jammerte eine Obstschale und wandte sich von dem Schinken ab, den sie in der Pfanne briet. Beim Anblick ihrer schwabbeligen Schenkel brach ein hysterisches Gelächter aus. Da wurde billig exklusives Hirn serviert.
 Der Autor zog sich Schrecksekunden und Gefahrenmomente ins Gehör. Ein Tritt trat auf dröhnende Kanalisationsplatten, rief im Gratiszug des greisen Priesters bei Rouen nach Versachlichung. Auch sonst kein ebendies? Nicht jede und jeder könnte Evidenzen so simsalabim auf- und wieder abbauen wie Sloterdijk! Im unsichtbaren space der Illusion.
"Du hast mich verraten!", rief der Chor. Verschleierte junge Frauen unterdrückten den Erzähler in Wutanfällen. Eine erfrischende Polemik gegen den Kurzsatzstil fühlte sich zwar schwitzig an und Herzen hämmerten. Aber das Erschrecken hatte endgültig jeden Zweifler zerstreut. Ja, der todessüchtige junge Pizzakurier geriet in Panik und Zwielicht.
Die Reise ins Landesinnere führte wie selbstverständlich auch ins Innere von Handkes Emanationen, man staunte ins Lächeln eines Lektorats.
"Was bringt dich auf den Gedanken, das hier könnte interessieren?", man konnte sich doch denken wie hier einer zu Geld gekommen war.
Nicht nur in Kärnten, sondern überall dort, wo Orden, Ehrenzeichen und Ehrenbürgerschaften ohne monetären Gegenwert vergeben wurden, stellte sich dieses Problem. Der Verstand sagte zwar, daß es normal war, derart tiefe Gefühle zu hegen. Aber wer hatte sein Buch gelesen, fand, dass er ein brillanter Geschichtenerzähler war?
Man kann Stationen folgen, aber nicht der Familienzusammenkunft einer Mutter: Ungeheuer entpuppten sich, Totenhaus und heilige Messe.
Entscheidend ist der Satzbau, der den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens in sich aufnimmt, als eine einzige lange Polemik gegen den Kurzsatzstil und den Aufstieg des Präsens als Erzähltempus in der Gegenwartsliteratur. Man findet aber auch Notizhefte vom Meister des Augenblicks.
Was will der Essay, zu dessen Großmeistern auch Peter Sloterdijk gehört, anderes sein als geistreich? Es fällt in den Worten des Magiers der Vorhang bei sprühendem Einfall.
Ist dieser Artikel lesenswert? Wer will schon drögen Rat erteilen? Eine gewaltige Orgeldichte singender Entertainer.
Der Meister der Prosa des Augenblicks setzt seine Suche nach dem Epos fort. Er findet die Abenteuer im Niemandsland zwischen Supermarkt und Kebabimbiss. Da ist viel passiert von gemeinsamer Bibel - und Luther Knete bis hin zu Konzernen.
Da gibt es Autoren. Der eine verfasst Notizen, der andere arbeitet derweil. Doch nicht der Gehalt ist entscheidend, sondern der Satzbau
So nimmt er, was ihm andere erzählt haben, und den Stoff des eigenen Lebens. Mit gespielten Widerstreben tritt er zu den Türen, die in den Obstgarten hinaus führen, nimmt einen ordentlichen Schluck von seinem Drink und lächelt in den Bienenstich.
Die Menschen verfallen in Schweigen und stolzen Löwenausdruck, entschlossen und würdevoll. Augen werden feucht. Sein Gesicht scheint einen goldenen Schlummer zu haben, als wäre es irgendwie innen. Nun ist nach längerer Zeit endlich wieder ein epischer Grossversuch erschienen. Das epische Erzählen, Ideal der Niemandsbuchteln.
An einem Sommertag im August, nachdem er von einer Biene gestochen worden ist, entscheidet sich der Satzbau, der in Appositionen und Einschüben den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens aufnimmt. Nie hat der Autor einen Hehl gemacht. Wir erleben den Erzähler den Briefkasten entleeren und endlich einmal vom Staat verschont. Doch Unbill droht dem Müden auch der Nachbar. Ein "Krepier!" kommt ihm da von Lippen.
Mit dem landläufigen James Joyce des «Ulysses» wie vom «Mann ohne Eigenschaften» Robert Musils hat Handke sich mit Grausen ins Mittelalter der Hoffnung aufgeschirmt.
Im Krachen unterm Regionalzug gleitet jäh Anschlagsangst aus Niemandsbucht und Passagier hinauf in die Picardie.
Wolfram von Eschenbach erzählt von Ereignissen und begegnet Christen und Muslimen. Ein Handke des Minnesangs.
Aber die leibhaftige Figur verlässt ihre Geschichte für eine Art Wünschelrutengängerin, die eine Frucht pflückt wie eine Lesefrucht. Da erfindet der Erzähler Berichtenswertes in der Jetztzeit, beim Wandern durch die Metrovinzen, in Kebabmissionen, im Niemandsland zwischen Pol und Kohl.
Nur in Form der Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in Prüfungen, Gefahrenmomente, Vermiedenes. «Verwandlung» ist das Schlüsselwort in Handkes Projekt eines neuen epischen Erzählens nach Srebrenica.
Wenn man dann im ICE weiterliest, erscheints grotesk.  Kommt H endlich in Gang? Eulenruf und Grillenzirp.
Fühlte man sich nicht von jedem Satz durchgeknetet, neu geboren? Muss man in ein Kloster, Handke zu lesen? Die zweibändige „Kritik der zynischen Vernunft“: ein Wurf!
*
Tatsächlich ist Sloterdijk als ein Entfesselungskünstler zu bestaunen. Fesseln des Belegzwangs streift er ab. Freie philologische Assoziation, fruchtbare Analogie, eine ganz eigene Erkenntnis der Grenzen in uns.
Die meisten produzieren Normaltext. Handke hingegen ist Text illusionieren und Idiosynkrasien parodieren. Dann wieder träumt er Friedensfeier, Schrecksekunden, Gefahrenmomente und die Angst greiser Priester angesichts verschleierter junger Frauen: ein Wutanfall  gegen den "lakonischen" Kurzsatzstil des Präsens.
Der todessüchtige junge Pizzakurier aber erschüttert den  Terror des Landes. Und, warum auch nicht: Man kann die Stationen dieses Buches auf der Landkarte verfolgen. Begegnungen mit einem Totenhaus von Herberge und die Teilnahme der Heiligen scheiden den Satzbau vom Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens.
Man findet solche Prosa auch mal anders als der Autor glauben mag, Passagen vom Meister des Augenblicks.
Hoffnung vor der Baumschattenwand nachts findet Wolfram von Eschenbach in Frankreich im "Willehalm", dem Handke eine ausgetrocknete Motte entnimmt ("Man gesach ..."), weise wie Christen und Muslime im "Ritterlich-Chevaleresquen".
Handkes Stärke liegt in der leibhaftigen Figur, die kein Obst stiehlt, sondern Mundraub, eine Art Wünschelrute, wo sich Abenteuer episodisch reihen, wenn der Held erst einmal in der Jetztzeit, beim Wandern in Kebab-Imbissen, provoziert. Dort, in der Diskursivität, kommt dem Argument eine höhere, von zufälligen Passungsverhältnissen bestimmte Mobilität zu.
Selbst Sloterdijk, mit Frankfurtern sozialisiert, setzt Versatzstücke der kommunikativen Rationalität immer wieder gekonnt als Requisiten ein: Kanalisationsplatten krachen in Regionalzüge, Anschlagsangst gleitet in die Gratiszeitung eines  Wutanfalls und ein Pizzabote wird ununterscheidbar.
"Die Sonne ging unter. . .", sagt die riesige Uhr am Regionalbahnhof von Cergy-Saint-Christophe. Aber nicht der Gehalt der Erzählung ist das Entscheidende, ein kleiner gallischer Hahn entpuppt sich als heilige Messe. Bei Sloterdijk wird grundsätzlich alles als bekannt vorausgesetzt.
Sensationelle Ausstellungen beginnen mit Sachsenwurst und Schrippenlesung, pneumatisch-dynamische Malereien und Quellen der Kreativität schäumen.
Es wird einem angst und bange.
Wow, daß Handke in jedem Satzzeichen ganz Handke ist! Man spürt plötzlich das eigene Körpergewicht auf den Knien.
Ein Menschenfreund ist dieser Staatsfeind lange nicht. Zumindest hin- und hergerissen. Der Ungeheure braust und zischt, lässt donnernd Wogen stürzen, Holz und Sand.
Handke lehrt Verstockten Hören und Fühlen. "Die Welt, das war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." Ist das nun grotesk oder erhaben? An einem langen Wochenende auf dem Land, neben dem Kamin, ist das die allernatürlichste Sache der Welt: so einzig richtig und angemessen wie Laub harken, Holz hacken, ein Rehpfeffer zubereiten oder mit Gummistiefeln durch sumpfige Wiesen stapfen.
Der Atemrhythmus folgt dem Takt von Sätzen, das Wort gewinnt eine Griffigkeit wie Holzscheite und Eskapismus erscheint als Lebensform. Einmal heißt es gar in bosnischer Bibel: "Schert euch weg aus der Geschichte." Einmal auch Wut, das Weibszeug zu beschimpfen.
Inzwischen weiß er ein Sichauftun weißer Blüten bodennah, worin sich Bienen tummeln. Auch das wie immer Blauen, hoch und höher. Und gegen Terroranschläge einen Sarazener-Dolch, als wär das richtig zugestoßen.

Aus dem Off: "Ich habe vor langer Zeit versucht einen Text von Handke zu lesen... tatsächlich, wäre ich fast eingeschlafen dabei..."
Aber er kann auch eine Bar betreten, und schon entsteht geradezu ein Multikulti- Versöhnungstableau.  Was ihn erbost: wenn Menschen nicht erreichbar, wenn sich erschließen Verstocktheit und auch Taubheit:
"Vor langer Zeit hab ich mir vorgestellt, zu schaffen...." Dem Erzähler öffnet sich die Picardie, die ihrerseits durch Picardien streunt, ein ortlos Wesen, das sich von Früchten nährt, besonders anmutig.
So hängt die Grundlosigkeit des Geschehens zusammen mit der Verweigerung von Psychologie. Handkes Figuren haben Affekte, wohlvertraute, uralte, alleralltäglichste der Wut, des Aufschluchzen-Wollens, des Rachegelüstes, der Hoffart, ein störrisch Tautologisieren: "Die Welt war Welt, war Welt." Einmal Pizzabäcker, immer Pizzabäcker. "Zu spät wozu? Zu spät." Ein immer schwächeres Unbedingt, doch wuchtig.
Die Tautologie ist der Ort der Poesie, dort wo die Dinge selbst. Man achte nur einmal auf den souveränen Umgang mit dem Wörtchen „bekanntlich“: dem Mythos von der Wiederkehr der klassischen Gesellschaft!
Nur für Geschichte, Politik, müssen Dinge sein: "Der Historie, der sogenannten, der mit großem H entgehen Sinn und feiste Fleischermeister 'Du wirst der Liebe nicht entgehen!'" Handke tut alles, sich der Geschichte mit großem H zu entwinden. Kein Wow dem Handke? Lieber bisse er sich die Zunge ab, als ein psychologisches Motiv zu verkosten.
Oder besser gesagt: Wut, Spannungsaufbau und Entladung. Begeistrung exklusiv.
Klaus Wachowski 5.1.2018