Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

28.4.22

junger April 22

Am Café Malaga gegenüber der Kirche zum evangelischen Jesus ("Ich bin da. Frohe Ostern!") esse ich eine Kugel Eis, trinke ich einen Kaffee. Die Sonne wärmt die Platten von Neureut, der Fußweg zum Nachbarort führt unter frischem Blattwerk durch saftiges Grasgrün. Ein sachter Wind weht aus dem Frühling herüber unter die Sonnenschirme.

Einige Menschen ziehen vorbei, zu Fuß und auf Rädern.  Es ist schön unter Menschen zu sein. Das Spatzengeschwätz geht unter in der erlöschenden Aufmerksamkeit.

Schon länger habe ich mit dem ernsthaften Zeichnen und Malen aufgehört.  Das Interesse erlosch plötzlich wie in einem Luftzug zwischen Herbst und Winter. Auch das Interesse am Lesen läßt nach. Ich lese hauptsächlich, um  an alt erinnerten Schriftstellern als schön Erfahrenes zu prüfen und wiederzufinden. Und um über die Wiederholungen bei den Jungen zu lachen oder mich zu empören. Nicht aber ernsthaft interessiert. Die Literaturzeitschrift werde ich abbestellen.

Aber ich schreibe noch. Auch hier verliert sich das Interesse am Ernst.

Noch füllt der Frühling mein Herz mit Freude.
Noch erhebt sich düster und brüllend das Morden im Osten.
Ich stehe auf und gehe den Weg.   

28.04.2022

26.4.22

Annie Ernaux Eine Frau

Annie Ernaux -Eine Frau,

Eine faire Biographie und sachliche Liebeserklärung
Fast etwas wie der Anton Reiser über sich selbst.

Nach langer Zeit ein Buch der Neuzeit, das mir gefallen hat. Ich liebe Virginia Woolf. Aber wie elend lang ist die eine Biographie, die ich unbedingt lesen wollte.

 
Ich brauche nur 5 Stunden, um das Buch zu lesen. Auf den letzten Seiten kommen mir die Tränen. A.E. war im Zeitraum der Niederschrift 46 Jahre. Heute dürfte sie über 80 sein.

Was mir gefällt: die sachliche und dennoch liebevolle Art der Beschreibung eines Lebens. Wie sehr doch die Hoffnungen und Sehnsüchte dieser Frau, der Mutter,  doch von einem Streben bedrängt wurden, das sich aus dem  Wandel vom Überleben zum Ehrgeiz speiste. Sie wollte nicht zum Pöbel aber auch nicht zur Arroganz gehören. Und da man/frau selbst nicht zu einem solchen Ruheplatz in der Welt gelangen konnte – es ist immer zu spät - sollte es wenigstens die nächste Generation „gut haben“.

Mit den negativen Folgen, die wohl die allermeisten aus den Nachkriegsjahrgängen hatten: Zweifel und Selbstzweifel, Konkurrenz und Scheitern, Manie und Depression. Die 68er brachen damit, gaben in den 80ern aber auf und "verrieten" die Brotherhood of man an Betriebswirtschaft und Ruhm.

Diese Frau wollte das Beste für ihr Kind, das Leben in der besseren, wichtigeren Gesellschaft der-- Literatur.

Das bringt mich zu einem Satz, den die Tochter nicht weiter kommentiert, der mich aber auf eine Frage bringt, die AE wohl nicht ansprechen wollte, um die Neugier fern zu halten: "(sie) lächelte,...bei einer Redewendung, die sie für poetisch hielt,("wir sind nur Besucher auf dieser Welt"), als wollte sie die Anmaßung herunterspielen, die ihr über die Lippen kam."

Ich lese aus der Liebe Der Mutter zu dieser Redewendung noch etwas anderes als ein Bedürfnis der Zugehörigkeit zu höheren Kreisen: die Frage nach dem Sinn.

Die Sinnfrage betrifft jede und jeden, die die Zeit und das Interesse haben, sich selbst und ihr Verhältnis zu dieser kurzen Zeit Leben zu betrachten. Dies gilt nicht nur in der Sphäre der Intellektuellen, wo das Geltungsbedürfnis das Interesse nicht weniger abdrückt als Angst vor und die Wut über die Not in der Sphäre des Wirkens.

Weitere Hinweise auf ein solches Fragen sehe ich in den Gottesdienstbesuchen und im Interesse an Büchern. Die Tochter sollte es besser haben, ja! Aber nicht (nur) in der Welt des Wohlstands, sondern in der des "Wortes und der Ideen" also in der des Sinns. Und selbstverständlich in der des Anstands (mit kleinen Gehässigkeiten im intimen Gespräch unter Familienmitgliedern und Freunden).

Ein weiterer Satz von Bedeutung für mich, der ich nun selbst älter bin und Worte zu verlieren beginne:

„In einem Brief im November: "Liebe Paulette, ich habe die Finstemis noch nicht hinter mir gelassen."“

Sie war schon in der Einsamkeit von Heim und Alzheim. Was ist finsterer als das Gefühl, die Zugehörigkeit zu verlieren, allein zu sein im Verlust der Worte und Werte und bald der Würde. Wo nun auch die Fragen versinken und die Liebe mit ins Nichts reißen? Wo geht es hin aus der Finsternis?

Sie jedenfalls kämpft: "Die Worte, die zu ihr durchdrangen, verloren ihre Bedeutung, aber sie antwortete trotzdem aufs Geratewohl.

Sie hatte immer noch Lust, sich zu unterhalten. Ihr Sprachvermögen war intakt, zusammenhängende Sätze, richtig ausgesprochene Wörter, nur eben ohne Bezug zu den Dingen, der Fantasie entsprungen.

Sie erfand das Leben, das sie nicht mehr führte: sie fuhr nach Paris, sie hatte sich einen Goldfisch gekauft..."

Sich unterhalten wollen, das Ein- und Ausatmen des Schwarms, in dem wir aufgehoben und beobachtet sind. Gelten wollen: ja; nicht aber herrschen wollen, was ja - wie die Angst - Monolog braucht. Sich unterhalten muss nicht unbedingt "Kommunikation" sein, es driftet aber darauf zu.

Älter geworden finde ich okay und öfter sogar schön, was ich noch bis vor kurzem, in den 60ern noch mit "Geltungsbedürfnis" abgetan hätte. Das ursprünglichere Bedürfnis der Zugehörigkeit scheint mir hier mindestens ebenso maßgebliche Influenzerin gewesen zu sein.

Aber was auch!?: Wenn der Regen kommt, suchst du in jedem Schatten Erinnerung nach einem Sonnenstrahl. Eine im Jargon des Aufstiegs "einfach" genannte Frau las Le Monde und den Observateur. Wozu sonst als "zu verstehen", ganz wie Hannah Arendt es versuchte?

Wichtiger aber ist Mir schon das Bedürfnis, mit dem Kind zu sprechen und zusammen gehen zu wollen, das Wunder der Welt sehen.

Die Tochter: "Dies ist keine Biographie und natürlich auch kein Roman, eher etwas zwischen Literatur, Soziologie und Geschichtsschreibung. Meine Mutter, die in ein beherrschtes Milieu hineingeboren worden war, das sie hinter sich lassen wollte, musste erst Geschichte werden, damit ich mich in der beherrschenden Welt der Wörter und Ideen, in die ich auf ihren Wunsch hin gewechselt bin, weniger allein und falsch fühle."

"Ich werde ihre Stimme nie mehr hören. Sie, ihre Worte, ihre Hände ihre Gesten, ihr Gang uhd ihre Art zu lachen waren es, die die Frau, die ich heute bin, mit dem Kind, das ich gewesen bin, verbunden haben. Ich habe die letzte Brücke zu der Welt, aus der ich stamme, verloren.

Sonntag, 20. April 86, Februar 87"

  

21.4.22

Rückschau

Der Filz des Allverstehens legt sich schwer über unsere Lebenszeit. Die Fluten der Ewigkeit werden auch ihn davontragen. Mit uns.

Was aber soll nur dieses Ding namens Putin oder Trump beweisen?! Die Mutter aller Bomben, Lüge und Gewalt?! 

Nein, Camus, das Leben ist nicht absurd. Weder mit noch ohne Gott. Es gibt Sinn: Geboren sein, also Freiheit aus dem Ich; Handeln, also Gleichheit von Ich und Du; Teilhabe, also Zugehörigkeit im Wir. 

Fehlte eines davon, ja dann wäre die Welt absurd und eine Hölle mit VIP-Status für Trumpen und Putinasten.

Aber gut, dass Du Dir Gedanken der Autonomie gemacht hast.




19.4.22

Vulnerabler Frühling

Was wieder kommt

In einer Literaturzeitschrift lange Suaden über wichtig – unwichtig.

Dann das Buch mit Beschimpfungen von Dichtern gegen Dichter.

Der Wolfszar beginnt seinen Mordzug.

Ich bin 71, X ist gestorben, Y gelähmt. Man sagt: „Vulnerabel“!

Ich lebe. Und verdammt: ich habe doch gelebt! – 

Was gehen mich noch die ehrgeizigen Kinderspiele mit 60, 50, 40 an?

Dazu der Verlust und die mich am Leben haltende Liebe.

*

Am Blumentor wachsen zehntausend weiße Sterne (den Namen habe ich vergessen) aus dem Rasen hervor, auch ein paar lappige gelbe Tulpen. Die Sonne strahlt in meine Kleider. Kaum ist Frühling, kommt der Duft gemähten Grüns.

Es könnte Kindheit sein, Duft der Hoffnung im Gesang der Vögel. Das wäre so ein Augenblick im Horizont Ewigkeit. Ich gönne mir eine Stunde davon.

Senkrecht fällt das Licht auf steiles Dach. Die gelbe Fassade bleibt im Schatten. Die ersten hellgrünen Blätter leuchten in mich hinein. Die Erinnerungen füllen sich langsam mit einem vergessenen Gefühl von Sehnsucht.

Ich hebe meinen Blick von der Notiz und sehe rosa, lila Tulpen über Dunkelgrün. Da sind noch Menschen, die vor Teststationen warten. Aber die Stadtverwaltung schickt schon den Traktor los, die Töpfe zu wässern, um den Besuchern einen schönen Anblick zu erhalten.

Ein kühler Wind wie damals an der Haltestelle Heimersheim, wo noch Kaugummipapiere aus 1992 lagen. Mein Gott! Was ist seither geschehen! Die Kraft ist davon. Aber ich sehe die Hoffnung in den Augen und Gesten der jungen Menschen. Es erfüllt mich mit einem frohen Gefühl, das in den flach auslaufenden Wassern der Sehnsucht badet.

Fern der Schrei von Möwen. 

Dahinter Dein Gesicht, das ich Antlitz nenne.

19.4.22

17.4.22

Ruhm der Schriftsteller im volltext

Ein Beitrag zu Rutschky im Perlentaucher:

"Ich bin perplex! Es gibt tatsächlich bekannte Schriftsteller, von denen ich in meinem 70jährigen Leben als Leser und unbekannter Schriftsteller nie etwas gehört habe. Und ich habe zeitweise Feuilletons gefressen.

Es geht jetzt ja abwärts. Walser und Handke, die Reuelosen sind schon weiter vorn. Ihre pflichtgemäßen Erwähnungen zum jeweiligen Geburtstag, ihre faltigen Bucherscheinungen erkenne ich schon unterm schräger tropfenden Mond. 

Es ist ja auch an der Zeit für die jüngeren, von denen R schon tot ist, aber von noch jüngeren,  noch unbekannteren gerühmt wird (keine Ahnung warum). 

Ein anderer "Schklovski", russischer Emigrant und gefeierter Rückkehrer, der in den 80ern gestorben ist, gesegneten Alters im westdeutschen literarischen Bewusstsein offensichtlich total unbekannt wie der Dadaist Charms. Einer um die 55 nimmt sich seiner an. Warum?

Ein noch anderer, Jean Paul, der schon Ewigkeiten vergessen wäre, gäbe es nicht die Jean-Paul-Gesellschaft. Mit Begeisterung jahrelang gelesen, wo andere nie etwas davon gehört haben.

Ja gibt es zwischen einem Sylvia-Roman und einem Naja Handke oder einen Anton Reiser keinen Qualitätsunterschied, der offensichtlich und haltbar ist?

Der Ruhm jedenfalls ist kein taugliches Meßinstrument. 

Man muß wohl doch auch beim Lesen selbst denken. Vielleicht war R doch gar nicht schlecht. Jetzt, wo es keine Freunde und Feinde gibt, näheres nachzufragen, bleibt doch die eine: Lohnt es, ihn zu lesen, Lebenszeit mit ihm zu verbringen? Einem Schwätzer oder Weisen?"

Ich stelle die Frage, als wüsste ich eine Antwort. 
Sorry, ich habe keine im Ärmel.

8.4.22

Arte: In Therapie

Helfen müssen als Erziehungsangelegenheit. Als 68er Be-Influenzter hätte ich früher schon der These zugestimmt, Mitleid sei Sache der Erziehung.

Lebenserfahrung legt mir das Bild des Menschen als Teil eines Schwarms näher.

Danach ist ein gewisses Mitleid in der Menschennatur schon angelegt. Nazikinder, Kinder von erbarmungslosen Ideologen und Traditionsfanatikern entwickeln dennoch ganz natürliches Mitleid.

Ja die Unmenschlichkeit muß zur Wirkung selbst den Trick anwenden, ihre religiösen und politischen Verfolgungen mit Mitleid für eine benachteiligte Person oder Gruppe zu begründen. Oder mit Rache zum Ausgleich einer Tat oder des Unterlassens von Hilfe , wo sie nicht Angst vor Gott oder selbst erdachtem Horror zur Verfügung hat. Heute ist der Name Putin, Kabirov, Assad, Kim. Andere gingen voraus, andere folgen.

Ist also Mitleid bereits vor dem Verstand da? Mir scheint die Aufgabe der Vernunft lediglich darin zu liegen, die Sicht zu öffnen. Auf das Erbarmen oder aber auch auf das Ich-zuerst.

Die Chance von Therapie, Gewissheit, also etwas mehr Gewissheit über Ich, Du und Welt, zu gewinnen war früher der Philosophie und Meditation vorbehalten.

Wie sehen den Therapeuten im Film wanken und schwanken und mit Klienten ein tieferes Gespräch über Sinn, Verstehen und Wille führen wollen. Es ähnelt einem, oft unbeholfenen, Tanz.

Ja klar: was, in aller Erfahrung, wissen wir wirklich? Die Hoffnung liegt im miteinander Reden und Denken. Entscheidender Faktor ist das Miteinander, Austausch und Vertrauen. Auf der Seite der angeblich Wissenden Gleichwertigkeit und Achtung.

Es bewegt mich zu sehen, wie der Therapeut sucht und versucht. Ein - hoffentlich nicht mystifizierendes - Bild eines Menschen, der hinaus zu den Sternen sieht und in sich und Dir sucht, was das Leben bedeutet.

Das Ergebnis, wenn gut, ist wohl stets die Ausbreitung des fragenden Gefühls über alles Wollen, Erkennen, Trauern, Lieben. Wir wissen nicht, versuchen gemeinsam zu ergründen. Ein Therapeut, eine Supervisorin ist da eine hilfreiche Begleitung. -Unter Umständen.