"Ich hatte das Gefühl, als wurde ich erneut um das
Haus herumwandern. Die gesammelten Abdrücke des Le-bens mehrerer Generationen
waren innerhalb einiger kurzer nächtlicher Stunden ausgelöscht worden.
Unsichtbare Spuren von Bewegungen, Worten, Schweigen, Sorgen, Schmerzen und
Lachen waren verschwunden. Auch das Unsichtbare kann zu Asche und Ruß
werden."
*
Mankell beschreibt hier Alter und Verlust. Die Angst sagt
Dir: Du wirst alles verlieren. Die
Todesfurcht dreht Dir den Kopf um: Sieh den schönen Weihnachtsmarkt Deines
Lebens!
Es nimmt Dir zuerst die Namen und Begriffe, dann die
Erinnerung. Dein Haus, die Spuren zur Beglaubigung der Vergangenheit sind
verwischt. Du weißt, es war etwas, da doch Asche ist. Und: Das Schöne, das Dich
begeistert, Du warst ihm schon begeistert begegnet.
Und dann: "Das Altern kam wie ein Nebel der Stille
übers Meer herangezogen.
Ein Leben lang sammelt man Müll von dem niemand etwas
braucht.
Die Nacht war still. Herbstnächte hat es immer gegeben und
Herbstnächte würde es auch geben, wenn ich verstorben wäre.
Ich war ein zufälliger Gast in der Dunkelheit und würde nie
etwas anderes sein."
Sätze, aus denen mitten im Leben erzählen das Erkennen
bricht.
Mankell scheint in den "schwedischen Gummistiefeln"
die Handlung dazu zu nutzen, um seine
Einsichten in Leben und Alter mit dem weichen Stoff eines Romans zu polstern
oder darunter zu verbergen.
Mir ist es recht. Ich bin schon immer gern mit älteren
Brüdern durch meine Zeiten gegangen*.Und etwas Organisches aus dem Leben
zwischen den metallischen Architekturen der Gedanken macht es schön.
Ich habe diese Wutausbrüche, die Mankell erwähnt, nicht und an Panikatacken kann ich mich nicht
erinnern. Aber mancher Alte berichtet davon. Und ich teile das Bewusstsein von
zunehmender Schwäche, Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Vereinsamung in den
Bezügen. Herausforderungen beschränken sich auf das Bewahren erreichter
Fertigkeiten. Wie lange wird es noch dauern, bis auch ich unter den Patiencen,
die ich spiele, die mit dem Namen "Idiot" wähle? Das Werkzeug wird
schwerer, die Aufbau - Anleitung chinesischer.
Gut zu sehen, wie ein anderer seinen Weg geht.
Aber noch steht das Haus, noch fühle ich in mir
Verantwortung und Stolz genug, die Schäden selbst zu reparie-ren. Auch will Ich
will noch schmücken mit all dem Müll, den wir freudig zusammen kauften,
erstellten, „er-schufen“ pp. Und ich lege eine extra Rasur ein, wenn Gäste
kommen.
Und unerwartet schön, den Jungen und Kindern zuzusehn. Auch
das begegnet dem Alten in den Schären.
*
Weiter hinten in der Lektüre:
Mankell in den schwedischen Gummistiefeln geht auch auf
seine misslungenen sexuellen Versuche ein. Bogen-schießen: Denken stört
Handeln.
Am weitesten von der Berührung ist der Gedanke entfernt. Es
gibt kein Verstehen, wo alles Fühlen will. Daher wohl auch die vielen Hinweise
auf die Sehnsucht nach Berührung in Texten von Literaten des Denkens. Ob Liebe
oder Sexualität, der Verstand ist von beidem so weit entfernt wie das Auge vom
sexuellen Zentrum.
Mit dem Denken aufhören hilft nicht. Vielleicht Buddhismus:
mit dem Denken wollen aufhören. Aber der will ja auch mit dem Freude wollen
aufhören...
Die 68er haben aufgesteckt: die sexuelle Befreiung ist in
ideologischen Wogen und einer trüben Suppe von Wellness ersoffen.
*
Vielleicht ist die Wut, die Mankell in sich spürt, die
gleiche Wut, die ich auf andere Personen in mir transportiere. "Stimmen
aus der Vergangenheit". Im Alter beginne ich aber auch mit fremden
Personen zu schwätzen, was ich bisher hasste.
"Wie sollte ich mit all dem fertig werden, mit meinem
Alter, einem niedergebrannten Haus und dem Empfinden, in einem Niemandsland zu
leben in dem keiner nach mir fragt?" Eine enttäuschte Sehnsucht, die die
hoffende aus früheren Tagen abgelöst hat. Aber Sehnsucht.
*
"Im Grunde hatte Janson Angst vor mir. Nicht nur vor
mir, sondern vor allem. Sein ständiger Wunsch, zu helfen und sich nützlich zu
machen, übertüncht seine Sorge, unseren Unwillen auf sich zu ziehen. Er
fürchtet, wir könnten seiner überdrüssig werden und nicht mehr von uns hören
lassen, wenn wir Hilfe brauchen."
Woher dieser Unglaube bezüglich der Uneigennützigkeit des
Helfenwollens?
Alter mag desillusionieren. Ich glaube aber, daß das
allseitige Misstrauen des Alters nicht weniger trügerisch ist als das Welt
umspannende Vertrauen der Jugend. Natürlich macht das Helfen auch den Helfer
glücklich im Gefühl, menschlich gewollt zu haben. Aber Ziel Deines Handelns ist
nicht dieses eigene Wohl, sondern das des, der anderen.
Es bleibt wie vieles an der Seele Glaubenssache: Was ich
selbst noch nicht gefühlt habe, kann ich nicht "wissen". Selbst was
ich gefühlt habe: will oder kann ein anderes Ich es auch fühlen? Daß das
"Ich- noch - einmal" ein Ich ist und auch fühlt wie ich, ist eine
weit verbreitete Spekulation aus angeborenem oder anerzogenem Glauben, ebenso
wie die seltener verbreitete, aber mit jedem negativen Erleben mehr befestigte
aus dem Egoismus, der ja auch seinen angestammten Platz in uns hat.
Im Alter, der Zeit des Verlusts von Welt, bist Du immer mehr
von unbekannten Personen umgeben und auf sie angewiesen. Das Vertrauen in die
Uneigennützigkeit hat einen schweren Stand gegen das Mißtrauen. Zu Recht? Du
hast Dich verändert, nicht die Welt.
Mankell mag darauf einwenden: "Nicht die Welt? Aber
doch die Umwelt!" Und: "Ich bin anders? Aber vielleicht habe ich
gerade deshalb den klareren Blick!"
*
„Ich fürchte, ich fühle einen hoffnungslosen und im Grunde
irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben werden, wenn ich tot
bin. Dieser Gedanke beschämt mich genauso, wie er mich erschreckt. Ich
verdränge ihn. Aber trotzdem führt er immer öfter zurück, je älter ich werde.
Ich frage mich, ob ich dieses Gefühl mit anderen Menschen teile. Ich weiß es
nicht und werde das auch niemals ansprechen. Aber dieser Neid ist meine tiefste
Dunkelheit. Kann ich wirklich der einzige sein, der so empfindet?"
Hier, denke ich, konstruiert Mankell.
Ich glaube nicht, daß irgendeine Erfahrung so stark ist, den
Egoismus so sehr zu blenden, daß er die neidische Betrachtung aller anderer
Existenz zu einem Grundmotiv des eigenen Handelns machen kann. Der
Selbstmörder, der das Flugzeug in den Berg lenkt, denkt nicht einen Augenblick
an die anderen, der Mörder ist vielleicht neidisch auf seine Opfer, aber auch
er hat kein (neidisches) Interesse an den übrig bleibenden, nur weil sie leben.
Leben hast Du nicht, daher hat der Neid kein Interesse am Vernichten des
Lebens. Leben lebst oder erleidest Du. Es gibt ausreichend Gründe, es zu lieben
und zu hassen, keinen, es zu neiden.
Aber auch hier: Wenn Du persönlich so einen seltsamen Neid
spüren solltest, dann bist Du auf eine seltsame Weise erleuchtet. Und mußt mit
der damit einher gehenden Einsamkeit vorlieb nehmen. Ich kann sie nicht teilen.
*
"Manchmal glaube ich das gefürchtete Tor öffnet sich
langsam vor mir. Eines Tages werde ich in das Land eintreten, indem das
Gedächtnis vom Vergessen verschluckt wird." -
O Tannenbaum, lassen wir die Zeit, ihren „Treibsand“
(Mankells letztes Buch) herbei wehen. Sehen wir hinauf in die Lichter des
Himmels, hinüber in das Lächeln der Lieben. Und genießen wir die leichten
Wasser des Denkens von Mitbewohnern dieser wunderlich beleuchteten Nacht, die
gerne sich Gedanken machen.
Klaus Wachowski 15.12.2017
* Von Gott, Jesus habe ich eher das Gefühl, sie seien
jüngerer, nicht belehrender, Bruder