Heute ist richtiger
Frühling. Ich gehe hinaus unter Menschen, durch die Gärten in die Stadt. Ein
göttliches Wetter für einen vergesslichen Atheisten. Meine Vögel singen in den
Himmel über Alzey, das Napoleon als Nachttopf bezeichnete und der Innenminister
mit Menschenblick Zuber in eine richtige Stadt verwandeln wollte mit richtiger
Kultur. Es sind auch Deine Vögel, wenn ihr Gesang auch Dein Herz hüpfen lässt.
Ich gehe also durch
Vogelsang, Gärten und die Stille des Mittags. Zwischen tausend weißen und hunderten
blauer Blüten im Gras ziehen Gedanken sich auflösende Spuren durch die
Aufmerksamkeit. Sie treffen auf die Erinnerung in den Ruinen meiner heroischen
Zeiten. Der jugendliche Held ist zum alten Trotter geworden.
In einer
Umzugskiste habe ich alte Text-Schätzchen entdeckt. Eine Betrachtung der Welt
anhand des Bildes von Hokusai "Fuji im Frühling". Das Bild
beeindruckte mich damals sehr und ich versuchte betrachtend den Sinn des Lebens
in ihm zu entdecken, beschreibend ihn weiterzugeben.
Wichtig erschien
mir damals, mir und der Welt eine Erklärung ohne Gott zur Verfügung zu stellen.
So wurde es zu einer etwas trockenen Sache mit verblassenden Farben, weil das
Unerkennbare ausgeschlossen bleiben sollte. Heute hat sich die Begeisterung
verloren. Es ist mir daher nicht möglich, eine passende Ergänzung anzufügen.
Eine Amsel singt
ihr Regenlied und tatsächlich fallen eine Viertelstunde später drei Tropfen
zwischen den Platanen am Bahnhof in mein Haar.
Ich verachte nicht,
was der jugendliche Held damals in die Menschlichkeitstrompete blies. Es war
von einem tiefen Gefühl von Menschlichkeit und Gerechtigkeit getragen. Wir
diskutierten und erregten uns, während in rheinhessischen Hinterzimmern
Koalitionen der Macher und Karrieristen beschlossen wurden, lange vor Hartz.
Nach einigen Jahren Leben mehr möchte ich in Manchem aber lieber vorsichtig
sein. Denn auch diese beiden Absichten können bitteres Leiden verursachen, wenn
sie in einer Erlösungsphantasie auf reale Menschen abgeschossen werden.
Unentschieden geht
nicht. Und daher denke ich heute, dass wohl im einen oder anderen Fall
irrtümlich Falsches und/oder Unrechtes gesagt werden muss, um im Widerspruch
etwas herauszufinden, das im goldenen Schweigen unbedacht bliebe.
Ich zeichnete
damals mit Vorliebe meditative Skizzen mit feiner Kugelschreibermine in einer
als japanisch gedachten Art. Unter aufbrechenden Knospen erinnere ich mich an
eine große Sehnsucht, wie sie etwa in Texten des Jean Paul oder der Virginia
Woolf deutlich wird. Als wollte ich die Ewigkeit festhalten.
Im gleichen Karton
fand ich auch eine Mappe mit Kinderzeichnungen. Entschuldige, mein begeisterter
Kunstbetrachter! Aber hier begann mein Herz zu schlagen: in Liebe seine
hoffende Seele ausdrücken. Es machte mir den Wert von Berührung erst richtig
spürbar. Und so sehe ich zwei Jungen Fußball spielen, eine Mutter ihrem Kind
das Radfahren beibringen heute mit dem Interesse, das mir damals nur die Welt
in oder hinter der Welt wert schien.
Jetzt sind die persönlichen
Beziehungen in entfernteren Räumen festgemacht. Ich könnte der Sehnsucht nach
den Ufern der Ewigkeit wieder mehr Platz einräumen. Aber ich bin froh und nicht
selten fröhlich in einem von Erinnerung erwärmten Jetzt.
Das Pathos der
heroischen Zeit ist übergegangen in Ungewissheit und Interesse. Damals hielt
ich solche Wichtig und Unwichtig nicht unterscheidenden Leute für alte
Schwätzer. Heute rühre ich etwas Sirup von Wehmutsblüten in den Bittertee und
streiche das Deckchen aus geklöppelten Fragezeichen glatt: Richard, was meinst
Du? Darf er Recht behalten?
Richard zeigt auf
den jungen Herrn: "Sieh doch! Wie er den Vögeln lauscht."
Gott sagt: "Ordentliche
Arbeit für einen Atheisten." Dann wirft er noch etwas Glimmer in die
Sonnenstrahlen.
3.4.2016 Klaus
Wachowski