Hankewow 2, der
Bergdoktor als Traumschiff
Aus welkenden Feldern des Ruhms unter Verwendung von Zitaten aus
Pearsley "Im zarten Glanz der Morgenröte" und Begeisterungen zu
Sloterdijk als Metier. Und was
geht überhaupt mit Handke in der Obstdiebin?
Je weiter ein Gedanke von der
Anschauung entfernt ist, umso weiter ist auch die Rußwolke des ihn zum Begriff verfestigen wollenden Wortes. Man greift zur hinterlüfteten Fassade der Verlagsputzer.
Der Dichter muß, um das Leben
betrachten zu können, sich ein Stück daraus
entfernen.
Einsamkeit klärt. Aber Menschenferne zum
Zweck der Heiligung eines Dünkels als höherer Wert? Narziß und Kunst?
Schminkprobleme einer Diva.
Handke bringt ein neues Make-up auf
zarte Schläfrigkeit auf, um von
seinem groben Schnitzer im Ethischen
abzulenken. Und die Literaturroboter wedeln Begeisterung zum Zweck der Leser-Akquise.
"Der Meister der Prosa des Augenblicks Peter Handke setzt im
Roman «Die Obstdiebin» seine Suche nach dem Epos fort." Lothar
Müller.
Und der Meister des Assoziativen, Peter Sloterdijk, illuminiert
das Haus der Philosophie in feurigen
Farben mit hellwach zufälligen Chancen. Das Okkasionelle als Selbstentzündung.
Einer meint: "So müssen Bücher über Schriftsteller klingen!
Wunderbar!"
Da findet man Abenteuer im
Niemandsland zwischen Ken und Kebabismus. Wie sonst nur ehrliche Schinkenspezialitäten aus Baden-Württemberg.
Es ist nach längerem Schweigen in der
Literaturnudelfaktur wieder
einer von Handkes epischen Grossversuchen erschienen. Eine
junge Schöne auf
der Suche nach Mutter. Ein hoch
gewachsenes, gertenschlankes junges Mädchen mit glänzendem Haar am Bahnhof.
Der "epische"
Erzähler zeigt sich als Ideal im Brummen des Zen. Er brach aus seinem Haus in der Niemandsbucht aus,
nachdem er von einer Biene gestochen worden war. Noch
nie hatte er
einen Hehl gemacht. Überall
merkwürdige Dinge.
Mit dem landläufigen Roman hatte dieser
Handke eh nichts zu schaffen. Jetzt erzählte Wolfram von Eschenbach das Mittelalter, Wahlheimat auch von Typen wie Heidegger, Franco, Orban und
Karadzic. Vom großen G
hatte er sich mit Grausen abgewandt. Das traf bei Sloterdijk
auch beim Thema Gott zu („Nach Gott“). Die Äußerungsformen des
Heiligen fallen doch ins Fach der Stress-Theorie!
Aber das Krachen
eines Regionalzugs, der jäh auf freiem Feld stoppte, ließ Anschlagsangst gleiten. "Hast
du nach mir gerufen?", fragte die Hoffnung in kaltem Tonfall. Nun, nach
etwa 150 Seiten verließ der Erzähler als Leibhaftiger seine
Geschichte, um nur noch von einer Biene gestochener Begleiter zu sein. Ebendies war Sloterdijk
effektvoll obsolet.
"Oh
Magus", flüsterte es. "Es ist wie im Himmel". Sie war Wünschel, Frucht und Lesefrucht.
*
Was aber ist erzählenswert?
Epos? Abenteuer? Das Einwandern durch
industrialisierte Provinz in Regionalzügen, Supermärkten und Kebabideologieen zeigte
Niemandsland,
Metropolen und Provinzen eines Handke. Der Boden ganz mit moosgrünem Teppich bedeckt, die
Wände mit einer Blumentapete tapeziert, und ein Diwan, grün gepolstert.
Wir erlebten Niemandsbucht: Genauigkeit, Kalender, Aktualitäten
mythisch-zyklisch: "Diese Geschichte hat wohl... eine Biene
gestochen." Wer Zehen hat, zu fühlen, mochte sich nach diesem Satz dafür
verwünschen, noch nie barfuß in eine Biene getreten zu sein. Ein
Auftritt, bei dem das Publikum als exklusives angesprochen wurde.
Rolf Steiner wagte nun eine unwichtige und zugleich leidenschaftliche Annäherung an
einen der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Obwohl es keine Hinweise gab, ließ die kryptische Art seines Schreibens
auf Freundschaft schließen.
Er beschrieb in einer klaren
und unprätentiösen Sprache seine Liebe und Verehrung für Peter Handke — und wie
er ihn am Ende >ganz zufällig< traf.
Wer, wie oder was war er? Verwandlung von
Alltagsbegebenheiten in ein
Mittelalter des Vermeidens?
Wahrscheinlich hätte man ihn nicht
einmal eines Blickes gewürdigt, hätte er sich nicht über Thomas Bernhard
mokiert. So mokiere Dich!
"Verwandlung" war das Schlüsselwort in Handkes neuem Projekt des
Vergessens, wo eine Kassiererin sich in einer wuchtigen Epiphanie verwichtigte.
"Wo
bist du gewesen?" jammerte eine Obstschale und wandte sich von dem
Schinken ab, den sie in der Pfanne briet. Beim Anblick ihrer schwabbeligen
Schenkel brach ein hysterisches Gelächter aus. Da wurde billig exklusives Hirn
serviert.
Der Autor zog sich Schrecksekunden
und Gefahrenmomente ins Gehör. Ein Tritt trat auf
dröhnende Kanalisationsplatten, rief im Gratiszug des
greisen Priesters bei Rouen nach
Versachlichung. Auch sonst kein
ebendies? Nicht jede und jeder könnte
Evidenzen so simsalabim auf- und wieder abbauen wie Sloterdijk! Im unsichtbaren space der Illusion.
"Du
hast mich verraten!", rief der Chor. Verschleierte junge Frauen
unterdrückten den Erzähler in Wutanfällen. Eine erfrischende Polemik gegen den Kurzsatzstil fühlte sich
zwar schwitzig an und Herzen hämmerten. Aber das Erschrecken hatte endgültig
jeden Zweifler zerstreut. Ja, der todessüchtige junge Pizzakurier geriet in Panik und Zwielicht.
Die Reise
ins Landesinnere führte wie
selbstverständlich auch ins Innere von Handkes Emanationen, man staunte ins Lächeln eines Lektorats.
"Was
bringt dich auf den Gedanken, das hier könnte interessieren?", man konnte
sich doch denken wie hier einer zu Geld gekommen war.
Nicht nur in
Kärnten, sondern überall dort, wo Orden, Ehrenzeichen und Ehrenbürgerschaften
ohne monetären Gegenwert vergeben wurden, stellte sich dieses Problem. Der
Verstand sagte zwar, daß es normal war, derart tiefe Gefühle zu hegen. Aber wer
hatte sein Buch gelesen, fand, dass er ein brillanter Geschichtenerzähler war?
Man kann Stationen folgen, aber nicht der Familienzusammenkunft
einer Mutter: Ungeheuer entpuppten sich, Totenhaus und heilige
Messe.
Entscheidend ist der Satzbau, der
den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens in sich aufnimmt, als eine
einzige lange Polemik gegen den Kurzsatzstil und den Aufstieg des Präsens als
Erzähltempus in der Gegenwartsliteratur. Man findet aber auch Notizhefte vom Meister des
Augenblicks.
Was will der Essay, zu dessen
Großmeistern auch Peter
Sloterdijk gehört, anderes sein als geistreich? Es fällt in den Worten des Magiers der Vorhang bei sprühendem Einfall.
Ist dieser Artikel lesenswert? Wer
will schon drögen Rat erteilen? Eine gewaltige Orgeldichte singender
Entertainer.
Der Meister der Prosa des
Augenblicks setzt seine Suche nach dem Epos fort. Er findet die Abenteuer im
Niemandsland zwischen Supermarkt und Kebabimbiss. Da ist viel passiert von
gemeinsamer Bibel - und Luther Knete bis hin zu Konzernen.
Da gibt es Autoren. Der eine verfasst Notizen, der andere arbeitet derweil. Doch nicht der Gehalt ist entscheidend, sondern der Satzbau
So nimmt er, was ihm andere erzählt
haben, und den Stoff des eigenen Lebens. Mit
gespielten Widerstreben tritt er zu den Türen, die in den Obstgarten hinaus
führen, nimmt einen ordentlichen Schluck von seinem Drink und lächelt in den
Bienenstich.
Die Menschen verfallen in Schweigen und stolzen Löwenausdruck,
entschlossen und würdevoll. Augen werden feucht. Sein Gesicht scheint einen
goldenen Schlummer zu haben, als wäre es irgendwie innen. Nun ist nach
längerer Zeit endlich wieder ein
epischer Grossversuch erschienen. Das epische Erzählen, Ideal der Niemandsbuchteln.
An einem Sommertag im August, nachdem er von einer Biene
gestochen worden ist, entscheidet sich der Satzbau, der in Appositionen und Einschüben den
Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens aufnimmt. Nie hat der Autor einen Hehl gemacht. Wir erleben den Erzähler den Briefkasten entleeren und endlich einmal
vom Staat verschont. Doch Unbill droht dem Müden auch der Nachbar. Ein
"Krepier!" kommt ihm da von Lippen.
Mit dem landläufigen James Joyce
des «Ulysses» wie vom «Mann ohne Eigenschaften» Robert Musils hat Handke sich
mit Grausen ins Mittelalter
der Hoffnung aufgeschirmt.
Im Krachen unterm Regionalzug
gleitet jäh Anschlagsangst aus Niemandsbucht und Passagier hinauf in die Picardie.
Wolfram von Eschenbach erzählt von
Ereignissen und begegnet Christen und Muslimen. Ein Handke des Minnesangs.
Aber die leibhaftige Figur verlässt ihre Geschichte für eine Art
Wünschelrutengängerin, die eine
Frucht pflückt wie eine
Lesefrucht. Da erfindet der
Erzähler Berichtenswertes in der Jetztzeit, beim Wandern durch die Metrovinzen, in Kebabmissionen, im Niemandsland zwischen Pol und Kohl.
Nur in Form der Verwandlung von
Alltagsbegebenheiten in Prüfungen, Gefahrenmomente, Vermiedenes.
«Verwandlung» ist das Schlüsselwort in Handkes Projekt eines neuen epischen
Erzählens nach Srebrenica.
Wenn man dann im ICE weiterliest, erscheints grotesk. Kommt H endlich in Gang? Eulenruf und
Grillenzirp.
Fühlte man sich nicht von jedem Satz durchgeknetet, neu geboren? Muss
man in ein Kloster, Handke zu lesen? Die zweibändige „Kritik der
zynischen Vernunft“: ein Wurf!
*
Tatsächlich ist Sloterdijk als ein
Entfesselungskünstler zu bestaunen. Fesseln des Belegzwangs streift er ab. Freie
philologische Assoziation, fruchtbare
Analogie, eine ganz eigene Erkenntnis der Grenzen in uns.
Die meisten produzieren Normaltext. Handke hingegen ist Text
illusionieren und Idiosynkrasien parodieren. Dann wieder träumt er
Friedensfeier, Schrecksekunden,
Gefahrenmomente und die Angst greiser Priester angesichts verschleierter junger Frauen: ein Wutanfall
gegen den "lakonischen" Kurzsatzstil des Präsens.
Der todessüchtige junge Pizzakurier aber erschüttert den Terror
des Landes. Und, warum auch nicht: Man kann die
Stationen dieses Buches auf der Landkarte verfolgen. Begegnungen mit einem Totenhaus von Herberge und die
Teilnahme der Heiligen
scheiden den Satzbau vom Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens.
Man findet solche Prosa auch mal anders als der Autor glauben mag, Passagen vom Meister des
Augenblicks.
Hoffnung vor der Baumschattenwand nachts findet Wolfram von Eschenbach
in Frankreich im "Willehalm", dem Handke eine ausgetrocknete Motte entnimmt ("Man gesach ..."), weise wie Christen
und Muslime im "Ritterlich-Chevaleresquen".
Handkes Stärke liegt in der leibhaftigen Figur, die
kein Obst stiehlt, sondern Mundraub, eine Art
Wünschelrute, wo sich Abenteuer
episodisch reihen, wenn der Held erst einmal in der Jetztzeit, beim Wandern in Kebab-Imbissen, provoziert. Dort, in der Diskursivität, kommt dem
Argument eine höhere, von zufälligen Passungsverhältnissen bestimmte Mobilität
zu.
Selbst Sloterdijk, mit Frankfurtern sozialisiert, setzt
Versatzstücke der kommunikativen Rationalität immer wieder gekonnt als
Requisiten ein: Kanalisationsplatten
krachen in Regionalzüge,
Anschlagsangst gleitet in die Gratiszeitung eines Wutanfalls und ein Pizzabote wird ununterscheidbar.
"Die Sonne ging unter. .
.", sagt die riesige Uhr am
Regionalbahnhof von Cergy-Saint-Christophe. Aber nicht der Gehalt der Erzählung
ist das Entscheidende, ein kleiner
gallischer Hahn entpuppt sich als heilige
Messe. Bei Sloterdijk wird grundsätzlich alles als bekannt vorausgesetzt.
Sensationelle Ausstellungen beginnen mit Sachsenwurst und Schrippenlesung, pneumatisch-dynamische Malereien und Quellen der Kreativität schäumen.
Es wird einem angst und bange.
Wow, daß Handke in jedem Satzzeichen ganz Handke ist! Man spürt
plötzlich das eigene Körpergewicht auf den Knien.
Ein Menschenfreund ist dieser Staatsfeind lange nicht. Zumindest hin-
und hergerissen. Der Ungeheure braust und zischt, lässt donnernd Wogen stürzen, Holz und Sand.
Handke lehrt Verstockten Hören und Fühlen. "Die Welt, das war die
Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." Ist
das nun grotesk oder erhaben? An einem langen Wochenende auf dem Land, neben
dem Kamin, ist das die allernatürlichste Sache der Welt: so einzig richtig und
angemessen wie Laub harken, Holz hacken, ein Rehpfeffer zubereiten oder mit
Gummistiefeln durch sumpfige Wiesen stapfen.
Der Atemrhythmus folgt dem Takt von Sätzen, das Wort gewinnt eine
Griffigkeit wie Holzscheite und Eskapismus erscheint als Lebensform. Einmal
heißt es gar in bosnischer Bibel: "Schert euch weg aus der
Geschichte." Einmal auch Wut, das Weibszeug zu beschimpfen.
Inzwischen weiß er ein Sichauftun weißer Blüten bodennah, worin sich
Bienen tummeln. Auch das wie immer Blauen, hoch und höher. Und gegen
Terroranschläge einen Sarazener-Dolch, als wär das richtig zugestoßen.
Aus dem Off: "Ich habe vor langer Zeit versucht einen Text von
Handke zu lesen... tatsächlich, wäre ich fast eingeschlafen dabei..."
Aber er kann auch eine Bar
betreten, und schon entsteht geradezu ein Multikulti- Versöhnungstableau. Was ihn
erbost: wenn Menschen nicht erreichbar, wenn sich erschließen Verstocktheit und auch Taubheit:
"Vor langer Zeit hab ich mir
vorgestellt, zu schaffen...." Dem Erzähler öffnet
sich
die Picardie, die ihrerseits durch Picardien streunt, ein ortlos Wesen, das sich von Früchten nährt, besonders anmutig.
So hängt die Grundlosigkeit des Geschehens zusammen mit der
Verweigerung von Psychologie. Handkes Figuren haben Affekte, wohlvertraute,
uralte, alleralltäglichste der Wut, des
Aufschluchzen-Wollens, des Rachegelüstes, der Hoffart, ein störrisch Tautologisieren: "Die
Welt war Welt, war
Welt." Einmal Pizzabäcker, immer Pizzabäcker. "Zu spät wozu? Zu spät."
Ein immer schwächeres Unbedingt, doch wuchtig.
Die Tautologie ist der Ort der
Poesie, dort wo die Dinge
selbst. Man achte nur einmal auf den souveränen Umgang mit dem Wörtchen
„bekanntlich“: dem Mythos von
der Wiederkehr der klassischen Gesellschaft!
Nur für Geschichte, Politik, müssen
Dinge sein: "Der Historie, der sogenannten, der mit großem H entgehen Sinn und feiste Fleischermeister 'Du wirst der Liebe nicht entgehen!'" Handke tut alles, sich der
Geschichte mit großem H zu entwinden.
Kein Wow dem Handke? Lieber bisse er sich die
Zunge ab, als ein
psychologisches Motiv zu
verkosten.
Oder besser gesagt: Wut, Spannungsaufbau und Entladung. Begeistrung exklusiv.
Klaus Wachowski 5.1.2018