Ich träume davon, einen Strich zu ziehen.
Wie wohlhabend ich doch bin: ich habe eine Feder, ein Glas, weißes Papier von der Rückseite eines Kalenders.
Etwas seitlich von der Mitte setze ich die Feder an. Ich bin alt und habe mir vorgenommen, anders als in der Jugend keine raschen Striche mehr zu ziehen, sondern langsame, bewusste, um den Fortschritt zu genießen. Der Apotheker Hertel aus Weinheim hatte vor langer Zeit einmal einen Kurs nach chinesischen Meistern des 11. Jahrhunderts gegeben. Eine steife Technik wie im europäischen Mittelalter. Aber damals lernte ich den langsamen Strich schätzen.
Ich betrachte das Ergebnis. Eine schwarze Linie bricht in die Nebel der Zeit. Erwartungen oder Vergessen? Ich sehe die geteilte Welt.
Der Schreiber Handke, der einmal Roman-Dichter sein wollte, liebt das Weißeln: mit dem Farbroller über die Bäume. Manche lieben es. Ich finde das Leben selbst schöner. Und ich beginne mit einem Strich.
Wohin führt es mich? Wenn das Kanu Richtung Meer geht, muß
ich nicht mehr mit Wasserfällen oder Stromschnellen rechnen. Gerne tauche ich noch
das Paddel ein, treibe durch das Delta. Nur den Dämpfen der Sümpfe nicht nahe
kommen! Ob ich heute Abend ein warmes Ufer finde mit Treibholz für das Feuer?
Der Strich erreicht das Ende des Blattes. Ob ich eine neue Linie aus ihm ziehe oder ganz frisch ansetze?
So betrachte ich nun Bilder.
31.12.2020 Klaus Wachowski
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