Wie oft werden WERT und WICHTIGKEIT gleichgesetzt? Nicht nur Fans sind von Ruhm besoffen!
Rentner*innen verlieren sofort ihre Wichtigkeit und - Stolz. Wie ist es mit dem Wert, also der Würde?
Tracy Chapman: There is fiction in the room between. Versinke im Augenblick. - Aber verliere nicht den Verstand
Aus dem Rundbrief von heute
Liebe Literatur*freundinnen,
Warum Pearl S. Buck den Nobelpreis für Literatur verdient und nicht verdient hat.
VON Norbert Mayer in volltext 4 2023.
"Norbert Mayer,
geboren 1958 ... studierte Sprach- und Literaturwissenschaften in Graz, London
und New York.
Er war seit 1984 als
Journalist tätig, zuletzt als leitender Feuilleton-Redakteur der Wiener Tageszeitung
Die Presse. Seit seiner Pensionierung in diesem Jahr ist er freier Autor."
Freier Autor wage ich zu
bezweifeln: zu viel lauschen auf das Publikum. Er liebt wie alte Leh-rer*innen
das von Adjektiven freie Schreiben. Was wohl die Jungen meinen?
Was er da urteilt, mag ja alles richtig sein. Er ist 2023 - 1958, also ganz frisch in Pension. Als Se-nior der verlorenen Wichtigkeiten muss er sich noch bewähren.
In seinem Urteil macht er
schon mal seine Kenntnis auf und setzt der spießigen Pearl S. Buck etwa
Virginia Woolf und Robert Musil, den Schwätzer Borges und die Achmatova
gegenüber, von denen zwei von mir bisher ungelesen sind wie die Buck, und nur
Virginia Woolf ist bewundernswert geblieben.
Ich war einige Jahre begeistertes Mitglied der Jean Paul - Gesellschaft, habe aber auch Perry Rhodan und anderes gelesen wie taz, volltext, FR und sz. Die Einrichtung von einander beweiheuchelnden Akademikern in literarischen Gesellschaften war mir zwar suspekt, andererseits aber auch angenehm, weil ohne so etwas wohl kaum ein Jean Paul bis heute sichtbar geblieben wäre. Das gleiche gilt für mich auch bezüglich Zeitung, Feuilleton und andere besondere Einrichtungen des Ruhms wie Nobel- und billigere Literatur-preise.
Ich glaube, dass der Kritiker gar nicht für meinereins geschrieben hat, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit von Personen begehrt, die eine Hilfe bei der Qualifizierung von Autoren wünschen.
In meinem Alter, dem Horizont und dem Tsunami schon etwas näher, trauen sich die Leute doch eher eigenes Urteil zu und scheren sich dabei weniger um eine Bestätigung durch selbst gleich-falls nicht wissende Urteilende. Aus der Wahrnehmung gefallen stört der Ruf: "Schaut doch mal her!"
Denn ihn wie uns wird der andere Raum der Unendlichkeit schlucken, während auf der anderen Oberfläche des Spiegels noch die wirren Licht-streifen der um Wichtigkeit ringenden, bauenden, mordenden, schreibenden, lügenden, philosophierenden wichtigen Wichte flirren.
Nur ruhig, Brauner: Auch ich nahm mich wichtig, bin wohl nie gegen diese Anfechtung gefeit.
An der Tafel des Johnny Cash (hurt) vergeht der Unterschied zwischen Champagner und Betschgräbler, zwischen Plörre und echt gutem Dope.
Dem Herrn Mayer und vielen unter den Vielen steckt eben die Rose in der Nase, da muss bei Wildwuchs á la Pearl S. Buck schon mal frisches Unkraut-Ex in die Spritze des Schloßpark-Gärtners
Ich gehe inzwischen lieber im Wald spazieren, schlürfend durch das Laub vom letzten Herbst, als noch keine Wölfe geliebt wurden. Na ja. Da glänzt es Kronkorken wie Krokodiltränen von Houellebecq, Pilz- und Speis-Reste vom Natur-verputzer Handke aus dem Schotter.
Schnösel der Klassik, Junkies der Romantik, dass sei echter Champagner. Mir schmeckt's wie Schnaps vom Betschgräbler. Ich muß und will eigentlich nur noch auf die Weiten der Phantasie und die Ränder der schwarzen Löcher in der Erinnerung schauen. Nach mir der Rest der Ewigkeit.
Ein Liter zu 3 Euro kann durchaus besser schmecken als Dope von Edel. Mir und anderen. Und ein Spießerchen von der Buck: wen juckt‘s? Ihm ist Plastik das wahre Unzerbrechlich.
Ob das Problem die Wichtigkeit auch wert ist? Und das Leben, was ist damit?
Viel Spaß noch mit gestern! Ich schlurfe durch den Wald. Schau: Krokusse!-
Klaus Wachowski 20.2.24
Dienstreise 18.9.91
Ich begleite einen freiwilligen Rückkehr zum Flughafen.
Heute Nachmittag treffen dafür 20 Flüchtlinge in der Woche ein, für die
verzweifelt in den letzten Ecken nach Raum gesucht wird.
Im Bahnhof Mainz ein
japanisches Paar lacht frei in der leichten Atmosphäre - fern der Heimat, fern
der Sorgen. Dieser hier war anders fremd. Im mühsam verhaltenen Haß auf ein
Land ‚ das ihm jede Bewegung sauer machte, jede Regung mit Zeigefinger oder
Keifen kommentierte, wartet
er. Er pfeift auf die
"Anerkennung".
die dann eine Generation später doch ins Autoritäre versanken..
Unter den Schuhen und Turnschuhen, zwischen Krümeln von
Pizza und Pausenbrot sucht eine graue Taube ihr Futter. Es stellt sich nicht
die Assoziation von Frieden und Reinheit ein,
sondern die von einem geilen Alten, dem des Weibchen verloren ging.
Jetzt frißt er halt.
Ich
habe die Pasolini-Nummer von Wagenbach dabei. Leider nur nett.- Aber die
Lobredner des Kritikers müssen nun nicht selbst über seine sozusagen explosive Urteilskraft
verfügen..
Im Flughafen bin ich sogleich dem Angriff
-euphemistisch Angebot- des Konsumbreis
ausgesetzt (Aha!-Pasolini!).Noch ist der Kopt voll von ausgewalzten Essays. So kann ich mich leicht
entziehen, indem ich mich mit einer- Zeitung für DM 2‚50 freikaufe. Zugegeben:
bei 20 DM in der Tasche liegt es nahe, den Ekel vor dem Konsum mit Neid — oder
Unkenntnis zu verknüpfen. Daher bleibt mir nichts als die Versicherung‚ daß mir
Kaviar nicht zu sauer, sondern zu glibberig ist, Champagner nicht besser
schmeckt als "Germania Pilsner" vom billigen und dass ich zu all dem
raffinierten und deftigen, zum edlen wie zum hausgemachten nur verführbar bin,
so lange sich in meinem Kopf nichts bewegt und daß mir eben diese Bewegung mehr
wert ist als jede "Leistung".
Von der Welt kosten oder aus ihr heraus mich selbst‚ aus ihr
heraus sie betrachten: das erste bringt mich endlich zum Kotzen das andere
manchmal in die Einsamkeit und selten zur Begegnung mit ebenso zwischen
Enttäuschung und dem Glück von Kommunikation schwankenden Mitbewohnern dieser
Aschehügel von Kinderparadiesen, dieser Blutmeere vor Hawaii. Das letztere hält mich; das
andere lobt mich‚ bin nicht ich, spuckt mich aus.
Die Zeitung ist die Moskau—News vom September 91. Ein
Glückstreffer! Was sich in der früheren UDSSR Jetzt an Freiheit aber auch an
ursprünglicher Selbständigkeit der Köpfe bewegt, davon machen wir alten in der
Konfrontation geprägten Westler uns völlig abstruse altbackene Vorstellungen.
Wir glauben auf dem Höhepunkt der Freiheit und der Wirtschaftskraft zu stehen.
Der Osten wird uns nicht "barfuß
überholen"
sondern sicher von Amerikanischen und selbstgezeugten Multis geschluckt.
Aber dort ist eine Kultur geboren, für die sich nachgeborene Menschengenerationen
nicht nur historisch sondern brennend interessieren werden‚ während hier die
prästabilierte Harmonie der Umfragemassen zur Agonie der Persönlichkeit geführt
hat. Von den Regionen der neuen Freiheit aus wird unser "Modell"
beurteilt werden‚ erkannt als Reklameschild für den Menschen in Dosen. Sie
haben jetzt das Wissen,
was Selbstbestimmung wirklich ist‚ das wir längst ad acta der Verfassung gelegt
haben.
Die durchrationalisierte Projektion von Machtorganisation
aus der Arbeitswelt auf das gesamte Leben‚ soweit es nicht würgender
Konsumismus ist; jede Zumutung gegen die Person als Notwendigkeit begründet;
keine Lebensregung ohne Abstimmung mit Umfragenormen - das ist es‚ was sie
gerade nicht haben wollen. Wir waren keine Einheitsdosen im real existierenden
Sozialismus. Was hier an brauchbaren Menschentypen sich freiwillig formen ließ
war nicht uniform sondern frei kompatibel.-
Wir alt gewordenen Trittbrettfahrer der 68’er können über
unsere geistigen Orientierungen und Interessen nicht mehr ungebunden bestimmen.
Zu sehr sind wir durch die früheren Kämpfe konzentriert auf die Schäbigkeiten
des Westens. So ist die Kommunikation mit den Intellektuellen der neugeborenen
Republiken die Chance für eine andere Jugend‚ die nach Autonomie im Erfahren, Erkennen, Urteilen sucht.
Elend und Glücksrittertum in den armen Nationen machen sich
noch auf den Weg in die Konsumentenparadiese. Die Sehnsucht nach Freiheit aber
hat in den gleichen Regionen eine andere Hoffnung gefunden. In einem Beispiel
von Selbstbestimmung durch Selbstvertrauen.-
Saarländer Tatort mit Palu in Jeansjacke auf dem Rennrad. Alter...
Dafür wächst die Aufmerksamkeit für kleinere und kleinste Dinge: Warum habe ich dieses und nicht das andere geholt? Woran erinnert es mich? Woher aus der Zeit, meiner Zeit kommt dieser Duft?
Der Narrensprung wird live übertragen. Was will man mehr?
Zu Hänsel:
Du gehst mit Gretel durch den Wald und weißt nicht mehr, wo's
lang geht.
Na ja: eigentlich hat Grit Deine Mom ermordet. Die
musikalische Untermalung trug damals ebenso zur Unterhaltung bei wie die
popkulturellen Anspielungen. Romantik eben.
Aber die Schwiegermutter wollte doch ihren Mann fressen!
Dennoch: schon lange vor 70 rief Dir Dein Gewissen einen Schauder zu.
„Zum Würstchen“, ruft es vom Häuschen aus Zucker und
Lebkuchen. Hier trifft sich alles, was Rang und Namen verloren hat auf einen
Schlag Senf vom Kant. Es hilft nicht. Das Hirn hat keine Muskeln.
Hänsel und das Top-Model gingen mit Stock und Hut hinaus in
die Welt. Der Ruhm fletschte märchenhaft die Zähne. Sie rannten und Gretel warf
den Schleier von sich, Gelbe Säcke und obdachlose Väter am Wegrand.
Die Spur der Steine glänzte. Von oben antworteten die
Sterne. In den Bäumen des schwärzesten Schwarzwalds sang der Wind vom ewigen
Leben. Hatte sich Gott hierher verirrt, um von der Heimat gekreuzigt zu werden?
Ein Tier bricht durch das Unterholz. Es stimmt, was die
Erzähler schreiben: Borsten, Hufe, Zähne. Nach allen Seiten flieht das
Kleingetier.
Hänsel horcht. Aber nur das Schlagen einer Axt ist zu hören.
Er sammelt die Steine auf, wirft sie hoch zu den Sternen. Sie sollen nicht in
das Haus des Terrors zurückfinden, in das Herz der Herrschaft.
Urmutter lutscht am Hühnerknochen. Und ihre Schwester wirft
ein Netz von guten Noten aus nach frisch gepflückten, naturblöden Söhnen und
Töchtern. Wer war es, die oder der das
Feuer im Brandbeschleuniger entfachte? Sieh die Lava in Jamaika! Männer
ermordet von Muttersöhnen.-
Mit der Geburt des Kindes wirst Du Vater, das ist: der
Ausgestoßene. Aber was nur kann eine Stiefmutter tun, Mutter zu sein?
Der Trödler vom japanischen Flohmarkt wirft sein Herz vom
Dach des Hotels Einsamkeit. Der Schatten, aus dem er hervortritt, quillt aus
einem Kübel Spiritualität, Bewusstsein und Wellness.
Da ist ein schwülstiger Hiphop von der falschen Uhrzeit in
der U-Bahn. Du lernst die Angst, die Glauben macht. „Wir werden den Weg schon
finden.“, hofften die beiden Dichterkinder, während eine unglaubliche Wut
hinten die Fenster des Zuges zerkratzte.
Aber sie fanden den Weg nicht. Sie gingen die ganze Nacht
und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus Wald und Wahn nicht
heraus, verirrten sich in önologischen Katakomben, wie ein Maschinenring auf
Kreuzfahrt.
Und weil sie so müde waren, legten sie sich unter einen Baum
und schliefen ein.
Als es Mittag war, sahen sie ein schneeweißes Vögelein auf
einem Ast sitzen, das sang so schön, dass sie stehen blieben und ihm zuhörten.
Uns ruft das Käuzchen eine blaue Pille in den Blutdruck. Die Katze Richard aber
fragt: „Was ist das: „Gott vom ersten Wort?““
"Wer ist da?": Einen Vers warfen die Kinder nach
dem süßen Schmerz einer lodernden Lust aus, die nach Knusperkindern lechzte:
„Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.“ Das fachte das Feuer erst richtig
an.
Die Alte war aber eine Hexe, die für gewöhnlich jungen
Säufern und Partybomben auflauerte, um sie zu vernaschen.
Geil! Da war das Hänsel aber zu schwach, hatte nicht Bizeps
noch Waschbrettbauch. Außerdem redete er Dialekt, was echt nicht geht. Und das
Gretel wußte nicht, wie es mit dem Euro Putzgeld all die Steaks und Amphetamine
zum Body-Styling besorgen sollte.
Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht, die Alte
knackte die Shrimps, aber Gretel bekam nichts als Krebsschalen.
Spar nur dein Geplärre, sagte die Alte, es hilft dir alles
nichts. Gretel fühlte sich gehänselt und reagierte brutal. Die Erblasserin
musste elendiglich verbrennen. So hilft man sich als angehender
Lifestyle-Coiffeur.
Grausamkeit gegen Verbrechen. Da schaudert‘s dem Kind. Ob
die brave Gretel immer nur alte Frauen ins Feuer stoßen wird? Von Gretel
lernen: dass es nur der passenden Begründung bedarf, Orgien der Mordlust zu
feiern.
Da sprang Hänsel heraus wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn
ihm die Tür aufgemacht wird. Wie haben sie sich gefreut, sind sich um den Hals
gefallen, sind herumgesprungen und haben sich geküsst.
Hier schwimmt eine weiße Ente, sagte Gretel. Wenn ich sie
bitte, so hilft sie uns hinüber. Weiße Vögel lieben es, in Märchen Glück zu
machen. Nur manchmal streift der Schatten eines riesigen Flügels unsere
Hoffnungen und wir hören den Schrei des Raben.
Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter
Freude zusammen in der Villa Vologda. Die Zikaden beugten sich unter der Lust
und rieben schmerzhaft Knie an Knie, um zu zirpen, damit der Hans zu seiner
Grete kommt.
Die Menschen aber lecken sich noch heute die Lippen, wenn
sich ein Märchen auszieht, das Fürchten zu lehren. 10.08.2009
Ergänzung 2023
"Einhörner sind entgegen ihres lieblichen Erscheinungsbildes
aggressive Kreaturen, die innerhalb eines Augenblicks in Raserei verfallen
können." (Konstantin O. Boldt: Fast verschwundene Fabelwesen)
Lieber doch nicht Kind von Künstlern sein.