Erinnerung an Freunde
„Der liebe Gott hat euch alle gern! – Wisst Ihr: Ich war
zehn Jahre bei ihm. Jetzt komm ich ab und zu zu ihm und schau mir seine Kirche
an. Ihr habt Gott gern, er hat Euch gern. Ha,ha,ha!“
Was glaubt er zu wissen? Auch ich glaubte zu wissen von
Liebe und Freundschaft. Und ich muss sagen: was ich da schrieb war nicht
schlecht. Besser als Schopenhauer, der zugibt, davon nichts zu verstehen und
erst recht als Nietzsche, der darauf spitzte, Schopenhauer zu überwinden und
seine Flächengedanken mit poetischen Worten auszumalen, Tapetenphilosophie.
Aber was war an den Gedanken so bedeutsam? Es half mir, aber wer liebte
brauchte andere Hilfe und wer sich sehnte anderen Spiegel. Heue erkläre und
beschreibe ich nicht mehr Liebe. Ich lasse mich von ihrem tragen oder von der
Sehnsucht nach ihr ziehen. Was nicht heißt, dass ich meinen Verstand verliere.
Eine Garantie, ihn zu behalten, glaube ich aber auch nicht mehr. Heute fühle
ich mich in der Mitte des Lebens. Wie immer einmal wieder in unverhofften
Momenten. Ich brauche keine Weisheiten mehr. Ich versuche, Gedanken zu teilen.
Ob der liebe Gott mich also gern hat, hahaha, das lass mal unsere Sorge sein.
Und unser Gespräch.
Äber lasst mich ein wenig durch einige Sätze Dada hüpfen und
danach sehen, was meine Erinnerungen machen.
***
Die Volksbefrager, die aus Bürgern wieder Massen und Volk
machen. Mit Familienwerten aus grimmigen Bärten auf der ehrenamtlichen
Krötenwanderung zu den Strebergärten der Trumpiden von Hool. In der Bowlingbahn
zwischen Erotikbar und Königreichssaal zieht man ein neues Smoothical auf.
Achtsamkeit guckt auf ein tibetisches Lama.
***
Ein Sturm war und ich dachte an meine verstorbenen Freunde.
Vor 10,5 Jahren starb X mein 10 Jahre älterer Freund, der
für seine humanistische Haltung gefoltert und vertrieben worden war. Bei seiner
Heimkehr war kein Platz mehr für den verdienten Architekten. Hier in der Fremde
aber hatte er gute Aufnahme gefunden, blieb fremd. Ach, ich konnte Deine
Freundschaft nicht ausfüllen, ja ich flüchtete vor ihren Hoffnungen. Ich habe
Dich tief enttäuscht. Zehn Jahre älter. Ein Mentor in Sachen Treue, dem ich
entfliehen musste...
Heute wäre er etwa 80. Lebenslanges Lernen? Nein! Im Alter
geht es eher um den Kampf gegen das Vergessen und später um die Akzeptanz der
Tatsache des Vergessens. Nicht mehr lernen, mehr erfahren..
Ich bin jetzt drei Monate älter als Du geworden bist. Ich
denke mit Schmerz an Deine Hoffnungen, die
sich so oft in Enttäuschung wendeten.
Richard, vor 14 und einem halben Jahr hörte ich vom Tod
eines Freundes und Lehrers, mutig gegen die Mächtigen. Ich danke Dir für die
Erfahrung eines Zorns gegen das Unrecht, als das Kuschen noch angesagt war. Die
Pegiden vom Trump, die Typen vom heruntergekommenen Stammtisch? Auch das war
der Feind. Sie kuschten noch, wo sie jetzt brüllen. Im Eiscafe vom leche, komm,
noch eine Zigarette. Rauchen war okay. Du 63, ich 54, verstand ich noch nichts
von Alter! Nicht, dass ich heute mehr davon verstünde. Der Körper tuts. Aber
auch Dir war klar: "wie kann man zu wissen glauben?!" Nur: was Du in
Erfüllung Deines Temperaments erfahren hattest, gab Deinem Wort Bedeutung. Es
war durchgekämpft, durchlebt, durchfreut und immer wieder enttäuscht. Von den
Dekonstrukivisten bis Schopenhauer und Christus. Dr. Smirc hätte wahre Freude an Dir gehabt.
Was gab es zu berichten, zu diskutieren, dem Hofberichter
vom regionalen Schwatzblatt an den Kopf zu werfen unter Zornesblick auf die
regierende politisch-narzisstische Provinzgröße, die sich peinlich berührt in
ihrem schwarzen BMW oder im weißen Benz vom Volk machte. Der Manager als
Sozialdemokrat…
Und während ich dies schreibe setzt sich ein älteres Ehepaar
an den Nebentisch. Plötzlich sind wir bei Schopenhauer, Marc Aurel, Arendt. Wie
kommt das?! Jahre im Desinteresse!
Wie ich Dich vermisse! Die Akademie im Café leche, der
italienische Weltenfreund vom hoffenden Streben unter der Begeisterung, bringt
frischen Wind ins Fragen.
M, an Sehnsucht leidender, tapferer Mann, ein Jahr später
als Richard plötzlich aus dem Leben geholt, noch nicht 60. Du warst gestraft
mit gebrochener Liebe und schmerzenden Knochen. 68 bist Du in Paris auf eine
Phalanx brutaler Polizisten zu gerannt, vom schreienden Haufen plötzlich allein
gelassen. In Heidelberg habt Ihr die starren Genossen von der Diktatur des
Proletariats mit witzigen Aktionen stolpern lassen. Und als Pfarrer bliebst Du
den Arbeitern treu.
Wir kannten uns in der Männergruppe, den Menschen aktiv
verbundener, treuer Genosse Jesu und der Gewerkschaft. Es war die Haltung zu
den Menschen, was uns verband und stärkte.
Wie auch mit Dir P., und K. beide vor fast 13 Jahren
verstorben. Auch Ihr fast 5 Jahre älter als ich, nach einem Leben voll Arbeit
und Verantwortung. P. herzlich, Du ,K., still.
Auch P. mit Studentenerfahrung, sozialistisch, Sponti in
alternativen Bauernbezügen. Die Freunde im Geist trafen einander zum Reden, zum
Austausch über die politische und die gesellschaftliche Entwicklung. Wie wirkte es sich auf die
persönliche Situation aus? Was konnte man tun? Was konnte helfen?
K war ohne gewaltigen akademischen Hintergrund. Er schwankte
im Politischen. Aber er stand hinter dem Menschen. Wenn wir über seinen Kopf
hinweg die wichtigen Fragen diskutierten, war er öfter mürrisch. Aber er half,
wenn es ans Tun ging. Wir betrachteten ihn mit Sorge. Bleibt er treu den
Menschen? Oder wirft er hin, wird zum egoistischen Spießer, den Wohl und Leid
des Nachbarn Mensch nicht mehr interessiert? Zum mürrischen Alten, der das
leben als feuchten Wischlappen wegwirft und in einer sinnleeren Wüste auf das
Ende wartet.
Immer wieder zeigte er, wie grundlos und beschämend unser
Mißtrauen war. Hätte er nicht verdient gehabt, noch eins, zwei Jahrzehnte sich
an der Sportschau zu freuen wie wir uns an Wallander und irgeneinem
Liebesknochen im Kino?
Es war eine gar nicht bemerkte Zeit, diese Jahre von 2005
bis 2009, in denen ich wichtige Freunde, Begleiter verlor. Am Ende war ich
beruflich auf dem Höhepunkt meiner Wirkung, familiär gingen die Wichtigkeiten
als Vater in die Aufweichung, die Selbstentwicklung des Rentners versprach
einen neuen Frühling, den die Schauer der Wirklichkeit öfter in sibirische
Straßen verwandeln, an das Verschwinden in den Orten des Alters der
Unsichtbarkeit konnte ich nicht glauben.
Jetzt erinnere ich mich. Ja, Erinnerung, dafür kann man sich
nichts kaufen. Aber ich genieße sie. Und wo sie das Böse und Böhse heran
bringt, schütte ich es in den Alz-Eimer.
All meine noch lebenden Freunde, Nachbarn, Mitbürger, die
Ihr auch mal wagt, zu „sinnieren“, wie es ein sympathischer Verstorbener mir
gegenüber einmal bezeichnete, lasst uns auch der guten Menschen gedenken, die
wir einmal nicht nur kannten, sondern erfuhren.
Klaus Wachowski
12.2.2020