Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

17.12.17

zu Mankell, die schwedischen Gummistiefel



"Ich hatte das Gefühl, als wurde ich erneut um das Haus herumwandern. Die gesammelten Abdrücke des Le-bens mehrerer Generationen waren innerhalb einiger kurzer nächtlicher Stunden ausgelöscht worden. Unsichtbare Spuren von Bewegungen, Worten, Schweigen, Sorgen, Schmerzen und Lachen waren verschwunden. Auch das Unsichtbare kann zu Asche und Ruß werden."
*
Mankell beschreibt hier Alter und Verlust. Die Angst sagt Dir:  Du wirst alles verlieren. Die Todesfurcht dreht Dir den Kopf um: Sieh den schönen Weihnachtsmarkt Deines Lebens!
Es nimmt Dir zuerst die Namen und Begriffe, dann die Erinnerung. Dein Haus, die Spuren zur Beglaubigung der Vergangenheit sind verwischt. Du weißt, es war etwas, da doch Asche ist. Und: Das Schöne, das Dich begeistert, Du warst ihm schon begeistert begegnet.
Und dann: "Das Altern kam wie ein Nebel der Stille übers Meer herangezogen.
Ein Leben lang sammelt man Müll von dem niemand etwas braucht.
Die Nacht war still. Herbstnächte hat es immer gegeben und Herbstnächte würde es auch geben, wenn ich verstorben wäre.
Ich war ein zufälliger Gast in der Dunkelheit und würde nie etwas anderes sein."
Sätze, aus denen mitten im Leben erzählen das Erkennen bricht.
Mankell scheint in den "schwedischen Gummistiefeln" die  Handlung dazu zu nutzen, um seine Einsichten in Leben und Alter mit dem weichen Stoff eines Romans zu polstern oder darunter zu verbergen.
Mir ist es recht. Ich bin schon immer gern mit älteren Brüdern durch meine Zeiten gegangen*.Und etwas Organisches aus dem Leben zwischen den metallischen Architekturen der Gedanken macht es schön.
Ich habe diese Wutausbrüche, die Mankell erwähnt,  nicht und an Panikatacken kann ich mich nicht erinnern. Aber mancher Alte berichtet davon. Und ich teile das Bewusstsein von zunehmender Schwäche, Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Vereinsamung in den Bezügen. Herausforderungen beschränken sich auf das Bewahren erreichter Fertigkeiten. Wie lange wird es noch dauern, bis auch ich unter den Patiencen, die ich spiele, die mit dem Namen "Idiot" wähle? Das Werkzeug wird schwerer, die Aufbau - Anleitung chinesischer.
Gut zu sehen, wie ein anderer seinen Weg geht.
Aber noch steht das Haus, noch fühle ich in mir Verantwortung und Stolz genug, die Schäden selbst zu reparie-ren. Auch will Ich will noch schmücken mit all dem Müll, den wir freudig zusammen kauften, erstellten, „er-schufen“ pp. Und ich lege eine extra Rasur ein, wenn Gäste kommen.
Und unerwartet schön, den Jungen und Kindern zuzusehn. Auch das begegnet dem Alten in den Schären.
*
Weiter hinten in der Lektüre:
Mankell in den schwedischen Gummistiefeln geht auch auf seine misslungenen sexuellen Versuche ein. Bogen-schießen: Denken stört Handeln.
Am weitesten von der Berührung ist der Gedanke entfernt. Es gibt kein Verstehen, wo alles Fühlen will. Daher wohl auch die vielen Hinweise auf die Sehnsucht nach Berührung in Texten von Literaten des Denkens. Ob Liebe oder Sexualität, der Verstand ist von beidem so weit entfernt wie das Auge vom sexuellen  Zentrum.
Mit dem Denken aufhören hilft nicht. Vielleicht Buddhismus: mit dem Denken wollen aufhören. Aber der will ja auch mit dem Freude wollen aufhören...
Die 68er haben aufgesteckt: die sexuelle Befreiung ist in ideologischen Wogen und einer trüben Suppe von Wellness ersoffen.
*
Vielleicht ist die Wut, die Mankell in sich spürt, die gleiche Wut, die ich auf andere Personen in mir transportiere. "Stimmen aus der Vergangenheit". Im Alter beginne ich aber auch mit fremden Personen zu schwätzen, was ich bisher hasste.
"Wie sollte ich mit all dem fertig werden, mit meinem Alter, einem niedergebrannten Haus und dem Empfinden, in einem Niemandsland zu leben in dem keiner nach mir fragt?" Eine enttäuschte Sehnsucht, die die hoffende aus früheren Tagen abgelöst hat. Aber Sehnsucht.
*
"Im Grunde hatte Janson Angst vor mir. Nicht nur vor mir, sondern vor allem. Sein ständiger Wunsch, zu helfen und sich nützlich zu machen, übertüncht seine Sorge, unseren Unwillen auf sich zu ziehen. Er fürchtet, wir könnten seiner überdrüssig werden und nicht mehr von uns hören lassen, wenn wir Hilfe brauchen." 
Woher dieser Unglaube bezüglich der Uneigennützigkeit des Helfenwollens?
Alter mag desillusionieren. Ich glaube aber, daß das allseitige Misstrauen des Alters nicht weniger trügerisch ist als das Welt umspannende Vertrauen der Jugend. Natürlich macht das Helfen auch den Helfer glücklich im Gefühl, menschlich gewollt zu haben. Aber Ziel Deines Handelns ist nicht dieses eigene Wohl, sondern das des, der anderen.
Es bleibt wie vieles an der Seele Glaubenssache: Was ich selbst noch nicht gefühlt habe, kann ich nicht "wissen". Selbst was ich gefühlt habe: will oder kann ein anderes Ich es auch fühlen? Daß das "Ich- noch - einmal" ein Ich ist und auch fühlt wie ich, ist eine weit verbreitete Spekulation aus angeborenem oder anerzogenem Glauben, ebenso wie die seltener verbreitete, aber mit jedem negativen Erleben mehr befestigte aus dem Egoismus, der ja auch seinen angestammten Platz in uns hat.
Im Alter, der Zeit des Verlusts von Welt, bist Du immer mehr von unbekannten Personen umgeben und auf sie angewiesen. Das Vertrauen in die Uneigennützigkeit hat einen schweren Stand gegen das Mißtrauen. Zu Recht? Du hast Dich verändert, nicht die Welt.
Mankell mag darauf einwenden: "Nicht die Welt? Aber doch die Umwelt!" Und: "Ich bin anders? Aber vielleicht habe ich gerade deshalb den klareren Blick!"
*
„Ich fürchte, ich fühle einen hoffnungslosen und im Grunde irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben werden, wenn ich tot bin. Dieser Gedanke beschämt mich genauso, wie er mich erschreckt. Ich verdränge ihn. Aber trotzdem führt er immer öfter zurück, je älter ich werde. Ich frage mich, ob ich dieses Gefühl mit anderen Menschen teile. Ich weiß es nicht und werde das auch niemals ansprechen. Aber dieser Neid ist meine tiefste Dunkelheit. Kann ich wirklich der einzige sein, der so empfindet?"
Hier, denke ich, konstruiert Mankell.
Ich glaube nicht, daß irgendeine Erfahrung so stark ist, den Egoismus so sehr zu blenden, daß er die neidische Betrachtung aller anderer Existenz zu einem Grundmotiv des eigenen Handelns machen kann. Der Selbstmörder, der das Flugzeug in den Berg lenkt, denkt nicht einen Augenblick an die anderen, der Mörder ist vielleicht neidisch auf seine Opfer, aber auch er hat kein (neidisches) Interesse an den übrig bleibenden, nur weil sie leben. Leben hast Du nicht, daher hat der Neid kein Interesse am Vernichten des Lebens. Leben lebst oder erleidest Du. Es gibt ausreichend Gründe, es zu lieben und zu hassen, keinen, es zu neiden.
Aber auch hier: Wenn Du persönlich so einen seltsamen Neid spüren solltest, dann bist Du auf eine seltsame Weise erleuchtet. Und mußt mit der damit einher gehenden Einsamkeit vorlieb nehmen. Ich kann sie nicht teilen.
*
"Manchmal glaube ich das gefürchtete Tor öffnet sich langsam vor mir. Eines Tages werde ich in das Land eintreten, indem das Gedächtnis vom Vergessen verschluckt wird." -
O Tannenbaum, lassen wir die Zeit, ihren „Treibsand“ (Mankells letztes Buch) herbei wehen. Sehen wir hinauf in die Lichter des Himmels, hinüber in das Lächeln der Lieben. Und genießen wir die leichten Wasser des Denkens von Mitbewohnern dieser wunderlich beleuchteten Nacht, die gerne sich Gedanken machen.  

Klaus Wachowski 15.12.2017

* Von Gott, Jesus habe ich eher das Gefühl, sie seien jüngerer, nicht belehrender,  Bruder

7.12.17

Aus 2011 Trauring

Ich stelle den Tisch auf die Terrasse. Du räumst die Scherben der Fenster weg. Du aber verblutest im Wüstensand.

Die Sonne scheint Frühling über Deutschland, Japan, Libyen. Und die Vögel singen aus voller Kehle Liebe.

Ich stecke die Zweige des Apfelbaums in eine Vase. Du blickst in einen Himmel voll Rauch und kreischender Erde. Du spürst heiße Tränen auf Deinem Gesicht.

Die Blumen färben die Erde ein. Gras zieht sich grün in die langen Schatten. Erste Bienen sammeln ersten Nektar.

Die Ewigkeit spiegelt sich im Augenblick. Diese Woche will sie sich Strähnen legen lassen.

Berühre und lasse berühren: Was wären all die Glück und Grauen ohne ein Du?

März 2011