Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

8.12.19

LED

In den warmen Farben aus Peter Altenbergs Skizze "Pfingsten" gehe ich hinaus. Schade, dass sie James Joyce und nicht Virginia Woolf gewählt haben. Ein pubertierendes Texten gegen einen Gesang aus dem Leben. Aber sie ist noch. Ich erinnere mich an den Bach mit Blütenwiese, an dunkles Erinnern und Longing. 

Der Regen hat aufgehört. Die polnische Freundin des Sohnes ist 800 km durch die Nacht gefahren, um der Mutter einen Nikolaus zu schenken. Natürlich gibt es auch noch anderes zu erledigen. Aber die Lichter des LED, welche prachtvoller über der Plastikweihnacht glänzen als der Farbenring um die blonden Haare einer Maria, sie stimmen froh, auch beim Umbetten. 

An der Wand das jahrzehntealte Bild eines Segelschiffs. Er war Matrose. Der Alte denkt an ein Schnitzel von vor 40 Jahren. An die Kraft, mit der er die Haustür in die Angeln wuchtete. Dann das Kaschieren des Risses aus dem Baufehler. Die Ansichtskarte von Hassan aus Izmir. Ein Freund, das kann man schon sagen. Das Meer, auch so eine Erinnerung. 

Aber in Wirklichkeit liebte er den Wingert. Die regennassen, vom Letten schweren Stiefel. Die klammen Finger, den Schnitt in den Zweig, genau an dieser Stelle. Das Bullern des Traktors, und auch den süßen Geruch von E 605. 

Arbeit. Das hatte auch Sinn und Berührung.  Aber was wäre es ohne die Liebe gewesen? Ohne das Teilen von Haus und Arbeit und den Gang hinaus in den Abend, die Kontrolle des Hoftors. Ohne das Gespräch über die kleinen Erfolge und Missgeschicke des Heute und die vorsichtigen Hoffnungen an das Morgen? Gehorsam dreht er sich auf die Seite. 
Als sie gegangen ist, dreht er sich wieder weg vom Fernseher. Er braucht das nicht. Die eigenen Erinnerungen aus den dunklen und feuchten Blättern unter den Terminen eines der Hilfe bedürfenden Lebens sind schöner. 

Wir aber trinken noch den Glühwein, von dem wir morgen nichts mehr wissen. Wir lachen und schimpfen noch wichtig in die Wichtigkeit.  Aber auch uns erwärmen schon Erinnerungen an kältere Zeiten, Schatten von Menschen, verlorene Gespräche. Hoffnung der Zuneigung. Die Liebe, die Kinder in der Ferne, Glück des Moments. 

Eine quirlige Frau geht an unserem Tisch vorbei. Spricht sie mit dem kratzbärtigen jungen Mann russisch oder doch polnisch? Die Augen glitzern. Morgen wird sie schon in der Nähe von Dresden sein. 

So toll ist der Weihnachtsmarkt auch nicht. Aber wenn der Pfleger hinaus gegangen ist, wird es aus der Erinnerung leuchten. So etwas zwischen Heiligenschein und LED. 

7.12.19

6.12.19

Dr. Smirc sucht den Weg zu sich selbst

Dr. Smirc: "Ich hab da noch was. Die Vorgehensweise dieses Künstlers kommt mir vor als eine Art Klischierung. Er geht an einem schönen Panorama vorbei, wirft seine mit feuchtem Kalk bestrichene Decke drüber und macht schließlich davon einen Abdruck. Die Vertiefungen füllt er dann mit Betonwülsten aus Wortnudeln seines Gefühlslebens aus  und präsentiert das als Premiumsegment der höheren Einsamkeit."

"Aber Du machst es besser? Du zapfst Blut aus dem Tag und läßt es in Deinen Borschtsch-Kübeln Blasen werfen. Auch nicht nach jedem Geschmack!"

Dr. Warnix, Psychagog und Impulsharmoniker vom Preiskommitee , ist genervt. Schon Wochen hört er nichts mehr als Handke, Handke. "Man kann einen Menschen auch zum Teufel machen! Du hast Dich so in das Ding vertieft, dass ich Dir da wohl heraus und zu Dir helfen muss. Betonwülste sind schließlich inertes Material, das nach ein paar Jahrzehnten biologisch abgebaut ist. Nach den anderen Preisen war das Werk ja schon begonnen: alle langweilten sich, wandten sich ab und wieder der Literatur zu und waren voll erstaunt, als der Mann plötzlich aus dem Archiv katapultiert wurde. Er hat seine Abfindung, finde Dich damit ab. Einer von vielen alten Narzißten. Was soll's?  Bosnien weiß, was es davon zu halten hat.

Komm und knutsch mal Dein inneres Kind ein Bißchen."

Klar: diesen Preis bekommen immer die falschen. Es gibt eben mindestens tausende die "genauso gut" sind. Smirc will sich aber diese Art Schicksal nochmal ansehen. Warum braucht H diese ergraute Darstellungsweise? Oder, warum erntet er bei geringster Begeisterung der Leserschaft umso mehr Lob für sein exotisches Langeweilen?

Auch da scheint zuerst ein Schmerz gewesen zu sein und dann die Flucht vor Berührung, Gefühl und Sensibilität überhaupt.  Geholfen hat ja auch das Erleben des von Hass triefenden Pathos der Nazis und der mit Gefühl protzenden Heuchelei der noch älteren Generationen. Das Klima der Versachlichung, der Destruktion und der Distanz  begünstigte natürlich auch das Interesse am kalten Glotzen einer ganzen Literatengeneration. Kann man H vorwerfen, dass ihn das Lob von Eliteresten und nach Größe im Rechthaben strebenden, verlorenen Klassendiven an diese Stelle am Trog der Lieratur geschwemmt hat? Einsamkeit als Privileg reklamieren, auch so ein Ding dieser Richtung.

Man sollte die geglückte Spekulation eines fleißigen Schreibers und Beschreibers nicht beneiden! Wäre man denn weniger neidisch gewesen, wenn einer von der eigenen, eher pathetischen Sorte belobigt worden wäre?

Dr. Smirc bemerkt, wie seine Aufmerksamkeit aus der Röhre herauskommt und sich vorsichtig umschaut. Erst eine angenehme Entspannung. Viel von der eigenen Welt und Umwelt kann er noch nicht erkennen. Aber er sieht wieder Menschen und er spürt, wie die Leber aus dem Whiskey zirpt. Noch eine Rillo und morgen wird wieder Leben voll da sein.

Eine verirrte Fliege summt im Raum der Preisverleihung. Da schwebt ein fernes Lachen oder Schimpfen wie von MRR oder TB in der Luft. Strindberg übernimmt die Wache. Gott kann beruhigt zurück kehren nach Srebrenica.



3.12.19

Weihnachten im Verlag

Ah, Weihnachten, gute Stimmung. Diesjahr besonders. In den Verlagen wird ausgeputzt.  Die Zugänge für die Jugend waren krass verstopft durch die allweihnachtliche Seniorenproduktion. Ein paar Regalecken läßt man für die Reste der alten Knaben von der Literaturpreispegide. Altersversorgung für fleißige Wortballer. Haben über die Jahre ordentlich geliefert. Jetzt ist Zeit für die Jugend. Auch sie hat das Recht, ihren Stuss hinaus zu bringen. 

"Mein Werk aber wird bleiben", meint der benobelte. Okay. Ich habe zwei Leser, er drei. Ob das genügt, um die Langeweile auch künftiger Generationen herum zu kommen? Wir seh'n uns im Nichts. 

Der Wind fächelt einen Hauch Glühwein vorbei. Ob sich auch ein Gedanke an jenen berühmt - wichtigen Friedrich Wilhelm August Schmidt darin findet? Wenn ja, war das nicht auch so ein Oniritt? Und wer ist der Denker dieses Gedankens? Schon vergessen? Wer denkt noch an den Denker? 

Ich denke, daß die Makulaturstöße der betreuten Literaten -mitsamt der Heiligenverehrung der sie voll Neid besingenden nicht zum Trog gekommenen Ruhmgefolgschaften- in den Deponien der diesjährigen Weihnachtsdeko mit eingeschimmelt werden. Und bleibt etwas erhalten, so bedaure ich die Künftigen nicht: wird mussten uns das alles jedes Jahr aufs neue anhören. Gelobt sei Gott für die Stille der Ewigkeit!

Es gibt Schlimmeres: zwei, denen ich Hilfe angeboten habe, haben gerne darauf verzichtet. Mein Narzißmus kommt schwer ins Schwanken. Die leichte Wut des Abgewiesenen schüttet meine Aufmerksamkeit zu für das, was der Tag so freigiebig spendiert. Ich verschaffe mir Platz durch einige bissige Bemerkungen über die Stammtische des aktuellen Literaturmarktes, die mit ihren Witzigkeiten von Vorgestern trumpsche Wellen erzeugen wollen und auch noch das letzte Interesse für das Wort zu Tode langweilen. 

Vielleicht ist auch das eine Erklärung für das Verstummen des alten Philip Roth, daß in den Verlagen einfach mal Platz für die Jungen gemacht werden musste. Ich und drei von dreihundert oder tausend Lesern des Handke lesen ihn noch gerne, wenn es einmal etwas gut geschriebenes sein soll. Aber wir wollen doch unseren Willen nicht auch noch künftigen Generationen aufs Sojabrot schmieren. Es gibt auch dort, ganz sicher, ausreichend eigenen Stuss. 

Man merkt: auch ich gehöre zu den alten Knackern. Gewiß und Gott sei Dank nicht zu denen von der warm gehaltenen Wichtigkeit. Aber auch ich meckere gerne, wenn die Tage dunkel werden und bedanke mich dann doch für geduldiges Zuhören. Das ermöglicht leichte Rückkehr zu Ich und Welt. Und freieres Schreiben. Danke! 
Klaus Wachowski  3.12.19