La Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen
Wie ich sehe,
fühlte auch Goethe sich bemüßigt. Ich bin zu alt, mir den Oberlehrer noch
einmal zu Gemüte zu führen. Aber den Nachdenker, dessen Interesse zum
Selbstdenken verführt, gebe ich jetzt zum öffentlichen Bücherschrank, nicht
ohne fünf der Reflexionen noch einmal sachgerechten Beifall zu spenden.-
·
Nr. 271: Jugend ist unaufhörliche Besoffenheit,
Entwicklungsfieber der Vernunft. (Durch Forschung bestätigt, was zur Frage führt:
kann man ihr Regierung anvertrauen?)
·
Nr.149: Lob ablehnen, heißt nochmal gelobt werden
wollen.
·
Nr. 39: Eigennutz spricht alle Sprachen, selbst die
der Uneigennützigkeit.
·
Nr.192: Wenn die Laster uns verlassen, schmeicheln wir
uns, wir hätten das getan.
· Nr. 45: Die Launen
des Gefühls sind schlimmer als die des Schicksals
ü Reflexion 504 über
die Heuchelei der Todesverachtung
Mich
frappiert der Vergleich des Muts gegen den Tod mit der Situation von Personen,
die im Feld beschossen werden:
Die
Hecke erscheint ihnen aus der Entfernung als geeignete Deckung. Beim Nähern
zeigt sich der Mut aber als Folge von Selbsttäuschung....
Die
Verachtung der besonders Verehrten für den Tod ist nach R so von der Hoffnung
auf Nachruhm getrübt, die Missachtung des Todes bei den Missachteten habe
solchen Aufwand nicht nötig: ihnen genüge es, auch da nicht so genau
hinzuschauen.
Die
Veröffentlichung erfolgte mit 65, er starb zwei Jahre später 1680.
Das Buch
geht in den Schrank. Viel Spass beim Selbstdenken!
Der Schriftsteller X
ist tot. Gegen den Schluss hin, machte er noch ziemlich Wesen um
Unsterblichkeit. Wir sehen das Verkohlen seines Ruhms unter dem Ehrgeiz derer,
die besonders von Verehrung glühen. Man erinnert sich allgemein wohl noch an
ein gewisses literarisch geschwätzigen Na-Ja.
Aber möge ihm das
Andenken der Angehörigen bleiben! Das scheint mir von längerer Dauer, weil mit
weiterer zeitlicher Entfernung sich die Ruhmsucht von Nachkommen einen Mythos
strickt.
*
Früher
war Geschirrspülen eine lästige Angelegenheit, die mich in meinen wichtigen
Plänen und Gedanken störte. Heute, wo die Zeit nicht mehr treibt, gerade weil
sie kürzer und die Vergangenheit länger als die Zukunft ist - Gedächtnislücken
stellen das Gleichgewicht wieder her -, heute schaue ich mir bei der
Gelegenheit an, was ich tue, folge neuen und alten Gedanken vor allem aus
Erinnerungen. Ich hole eine, zwei, drei, sechs Gabeln aus dem Besteckkorb,
fühle die Festigkeit und Restwärme des Metalls. Wie klang das Klappern der
Löffel den jüngeren Ohren? Die Geräusche der Kinder, noch früher der Mutter?
Ich
sehe zum Fenster unserer verschiedenen Küchen hinaus: rechts das schräge grüne
Dreieck zum gefürchteten Nachbarn, die graue Wand des Nebenhauses in Neustadt
(nur eine Person könnte mich berichtigen), das einzige Fenster auf die Straße
zum Festplatz in Alzey, das Brummen der Heizung, den Ölgeruch, und der
fensterlose Blick auf die Küchenwand im Neubau, der Blick auf den Garagenhof der
persönlicheren Wohnung , der auf die putzigen Nachbarhäuser im Neubauviertel
unten, dahinter die geahnten Hügel Rheinhessens, und jetzt über die Rasenfläche
zu den anderen Alterssitzen.
Natürlich
hat das Leben wie einen Anfang und die Freiheit dazwischen auch ein Ende. Noch
sind wir in der Freiheit, mag sie auch enger werden. Noch ist, was einst
gewesen sein wird.
"Tod,
wo ist Dein Stachel?" Weiß der Teufel! Noch merke ich nichts. Die Hecke
scheint sicher. Und hundert Spatzen pfeifen ein verlockendes Lied.
Kurz:
Löffelchen ins Fach, Schublade zu und hinein in den nächsten Morgen. Es dauert…
Es ist mit dem Tod wie mit der Beihilfe: er lässt auf sich
warten. Vorteil: Offline. Man muss nichts mehr nachreichen.
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