Tracy Chapman: There is fiction in the room between. Versinke im Augenblick. - Aber verliere nicht den Verstand
22.11.21
Andenken

9.11.21
Llorona, kleiner Adler
Euer Schiff steuert den Hafen an. Das Lied "Ay de mi, llorona" steigt in Dir auf. Wie habt Ihr geliebt! Da hatte Ortega noch die Tarnung des Befreier an.
Die letzte Reise? Nächstes Jahr dämmerst Du vielleicht schon im Heim dem Ende entgegen.
Unter der Schiffsschraube treibt der Kamm einer ertrunkenen Mutter.
Fußabdrücke in Sarajevo, Knochen unter einem Hügel in Ruanda.
In Deiner Erinnerung hüpft ein Junge durch den Garten. Ay de mi llorona.
*
Hallo, kleiner Adler!
Wie wichtig Du die Brauen zusammenziehst,
Wie eifrig Du mit den Flügelchen flatterst!
Spatz unter Spatzen.
Und Du hast Freunde und Geschwister.
Der Schwarm vertraut Dir, hilft.
Du hast die Freiheit,
Aber auch das Gesetz aus der Versammlung der Freien.
Du bist nicht von einsamer Größe,
Aber, wenn der Tod kommt, bist Du nicht allein.
Dein Gesang erfüllt nicht die Ebene,
Aber Dein Wort webt sich ein in die Gespräche der Büsche.
Fliege den Adler,
Wir sind da, Dir zu folgen,
Dich mitzunehmen.
Klaus Wachowski 8.11.21
Nachtrag
Was schwimmt tief unter dem Bug Deiner Pauschalreise?
Der kleine Adler ist gestorben. So ängstlich so tapfer. Die Katze des Künstlers hat ihn erwischt.
Wie können Spatzen einander helfen? Wir waren zu spät, zu schwach, zu ängstlich. Wir sind, wie wir sind. Jedenfalls konnten wir nicht helfen.
Und auch lange Trauerfeiern können wir nicht. Das Weinen ist in uns bei Sonne und Regen. Die Wolken sind dunkler, dem Himmelblau fehlt eine Stimme.
Das Leben geht weiter.
Wenn wir Dich vergessen, öffnet sich hinter dem Horizont eine schwarze Tür. Bist Du mit uns, klingt es in moll. Aber die mit uns sind, sind uns dann näher, die Farben sind farbig, das Wort sagt uns wieder etwas.
In der Hecke tummelt sich ein Schwarm Spatzen. Wie schön! Das Reden so aufgeregt. Um nichts, um alles. Das: "Du bist bei mir!" Wie schön, kleiner Adler!
9.11.21 Klaus Wachowski

8.11.21
Kleiner Adler
Kleiner
Adler
Euer Schiff steuert den Hafen an.
Das Lied "Ay de mi, llorona" steigt in Dir auf. Wie habt Ihr geliebt!
Da hatte Ortega noch die Tarnung des Befreier an.
Die letzte Reise? Nächstes Jahr
dämmerst Du vielleicht schon im Heim dem Ende entgegen.
Unter der Schiffsschraube treibt
der Kamm einer ertrunkenen Mutter.
Fußabdrücke in Sarajevo, Knochen
unter einem Hügel in Ruanda.
Hallo, kleiner Adler!
Wie wichtig Du die Brauen zusammenziehst. Wie eifrig Du mit den Flügelchen flatterst! Spatz unter Spatzen.
Du brauchst keine blutige Speise
Und Du hast Freunde und Geschwister.
Der Schwarm vertraut Dir, hilft.
Du hast die Freiheit,
Aber auch das Gesetz aus der
Versammlung der Freien.
Du bist nicht von einsamer Größe,
Aber, wenn der Tod kommt, bist Du
nicht allein.
Dein Gesang erfüllt nicht die
Ebene,
Aber Dein Wort webt sich ein in
die Gespräche der Büsche.
Fliege den Adler,
Wir sind da, Dir zu folgen,
Dich mitzunehmen.
Klaus Wachowski 8.11.21

30.10.21
Alter Text Sacra Herbst 2008
Die Blätter lassen sich aus dem Leben fallen, die Amsel schweigt etwas Schwarzes ins Allerheiligen. Es Kommt so etwas wie Totensonntag. Wähle: Stress oder Einsamkeit.
Der Chef treibt Dich mit wuchtigen Schlägen durch die Schredderwelten der Betriebswirtschaft. Aus der Liebe erhebt die Einsamkeit ihr bleiches Gesicht. Die Zeit wird umgestellt auf Nacht, auf Teelichter, Schnellkerzen für schnelle Gefühle.
Der Körper lechzt nach Schlaf und Halluzination, ein Fieber darf sich nicht erbarmen. Weiter den Ball! Noch ein Tor, erwartet die Firma der Fried- und Freudlosen von Dir. Weiter! Weiter! Von Sieg zu Sieg - und wenns sein muß: von Niederlage zu Niederlage. Das Kind in Dir wird in tiefen Verließen eingesperrt. Und Du - hilfst mit!
Du solltest einen Freund anrufen, oder Gott. Auch davon hast Du eine Menge vernachlässigt. So raschelt die Einsamkeit der ausgetrockneten Blätter in Deinen Gefühlen und ein Wässerchen Traurigkeit schwämmt Dich fort: näher mein Tod zu Dir.
"Gestern war so warm. Aber am Dienstag melden sie Schnee. Zu krass ohne Übergang! Früher, ja früher! Aber heut!"
Glück aus der Wiederholung des "früher, ja früher" im Jetzt. Auch morgen wird ein Früher sein.
Jetzt zünde ich ein Teelicht an. Die Farben der Blüten, der Früchte, der Blätter werden von der Zeit gefressen, die Freude verfaulte in einer Bilanz.
Jetzt ist die Saison der in brennenden Zimmern sterbenden alten Frauen. Sie wollen das Licht nicht ausgehen lassen in der Entfärbung, im Schweigen unter den Menschen. Unermüdliche Heldinnen der Hoffnung.
Die alten Männer haben ihren Schnaps und Ruhm schon lange hinunter gesoffen ins "früher, ja früher". Und sie erwarten 20% auf alles. Jippie yaya, Jippie, Jippie Yeah.-
Der Schnee kann kommen: wir haben uns mit Teelichtern eingedeckt. Jetzt schmecken die Walnüsse gut.
Klaus Wachowski 26.10.08

7.10.21
Alterserscheinungen
Es löst sich auf
Vom Ich fallen die Brocken. Vulnerabel, Knochen, Herz. Stolpern, Brüche, Vergeßlichkeit. Eine Belastungsprobe für die andere Welt. Du fällst aus dem Netz, sorgt man auch noch so gut für Dich. Du verlierst die Lust- auch an der Welt.
Das Du hat andere Sorgen. Die Arbeit, die Vereine, die Partei, die Gewerkschaft setzen Dich aufs Altenteil des Unwichtig. Freunde sterben, versinken in ihren Sorgen und werden unter zerbrechenden Projekten begraben. Die Kommunikation bekommt nasse Flügel, wird in die Wasser gezogen.
Auch das Wir, die Liebe, die Familie verliert. Unter den Sorgen glühen die unausgeräumten Vorbehalte, Eifersuchten, die Berührung trifft öfter auf Schmerzen und absterbende Nerven.
Und die Welt kann Dich nur noch als naiven Gläubigen gebrauchen, nicht mehr als im Weg stehenden, abgehalfterten Guru, Helden der Avantgarde, Priester. Es sei denn, sie brauchen zur Zerstörung der alten, Errichtung der neuen Diktatur einen leuchtenden Filzhut aus der alten Zeit.
Gehe weiter Deinen Weg mit Freunden, Familie und Welt. Und gegen die Einsamkeit zieh Dir die eine oder andere Erinnerung rein.

28.9.21
Das Zentrum des Lebens
"Literatur ist das Zentrum der Menschheit. Ich kann
nicht glauben, dass mein Werk vergänglich ist. Es kommt, was kommt, aber es
wird was kommen. Ich bin zugleich hoffärtig und total bescheiden. Wenn ich
zufällig, nicht absichtlich, ein Buch von mir aufschlage, denke ich: Mensch,
das ist Prosa! So gehen die Sätze der Literatur. Das kann nicht von dir
sein."
Handke in Die Presse 24.9.21
Ich bin auf dem Weg zur Förderung Deutsch. Der Kopf rauscht
von Plänen, den Jungs ein Bisschen zu Mut zu verhelfen. Zugehörigkeit, das
müsste doch eigentlich ihr Thema sein. Ich
bin von meinem Vorhaben begeistert.
Es entwickelt sich anders. Ich komme ihren ganz konkreten
Fragen nur hechelnd hinterher. Der Kopf wird durch und durch geblasen: Präsens,
Perfekt, Präteritum? Was jetzt wie? Die Stunde saust vorbei und ich versuche
mir klar zu werden, was das war.
Gestern, mitten im Gespräch ruft W: „Ein Eichhörnchen!“ Vor 20
Jahren noch hätte ich in mich hinein gelacht über solche Begeisterung. Heute
geht das, was damals so viel wichtiger war, - an mir vorbei.
Literatur ist natürlich nicht das Zentrum der Menschheit!
Ein blöder Unfug, wo Kinder in den Wellen des Mittelmeers versinken. Literatur
kann manchmal trösten und die Welt in einem anderen Blick nehmen; nicht helfen,
nicht heilen. Auch dann nicht wenn sie einen Betonbrei über das Leben gießt. Handke
kann, anders als Stripf und Wenger, nicht glauben, dass sein Werk vergänglich
ist. Ich denke, dass es keine literarische Institution geben wird, die seine
Brocken weiter tragen wird. Ein Jean Paul, der doch wirklich bewegende Szenen
geschrieben hat, wird nur von Fördergeldern in der Diskussion und am Interesse gehalten.
Was will da ein Modenobel? Und hundert Jahre, die er vielleicht durch die sich windende
Aufmerksamkeit von Nachbrennern doch wenigstens als Nummer von Name im Gedächtnis
schäumt? Sie sind nicht gerade ein gewaltiger Teil der Ewigkeit. Vermutlich aber wird Srebrenitza für Nachruhm sorgen.
Schlage ich zufällig, nicht absichtlich, ein Buch von ihm
auf, denke ich: Mensch, das ist Prosa! So gehen also Sätze der Literatur!? Das
kann nicht von mir sein noch von einer sonst ernst zu nehmenden Person des Wortes.
Die Worte von D, A, K und O, mühsam gefunden und angewendet:
sie werden gesprochen und geschrieben im Wunsch, sich dadurch ein Recht auf Zugehörigkeit
zu erwerben. Das Kind aber wird an den Strand geworfen. Der Sand geht darüber
hin. Wie? Nicht über das Tönen eines Schwätzers vom Ruhm der Ahnungslosen?!
„Betrachte, von welcher Art das Denken der vom Ruhm Besoffenen
ist, und was sie scheuen und wonach sie gieren. Denke daran, gleich wie die alten
Dünen vom neuen Sand zugedeckt werden, so wird auch im Leben das Frühere durch
das Spätere bald bedeckt.“ Frei nach Marc Aurel
Selbstbetrachtungen, 7. Buch, Par. 34 (reclam1241).
Ob die Gedanken des Nobel-VIP zumindest soweit hinaus reichen?
D, A, K und Os Kinder werden sehen.
*
"Mein lieber Nobelaner. Wie Sie bin auch ich begeistert von eigener Schreibe. Mensch! Ist das Prosa! Ich glaube aber schon, dass Ihr Ruhm im Gegensatz zu meiner Unsichtbarkeit seinen Fortgang in lockerer Vergänglichkeit finden wird. Ich bin jetzt schon dort, wohin es ihn wehen wird.
Andererseits sind da Srebrenitza und Ihr freundschaftliches Verhältnis zu M und K. Da kann Ihr Andenken durch die Erinnerung an ein von Ihnen ignoriertes Massaker schon mumifiziert werden, auch wenn der Inhalt Ihrer mit süßlicher Verehrung getränkten Binden längst in Staub zerfallen sein wird.
Literatur ist wohl doch nicht 'das Zentrum des Lebens'."
Dr. Warnix, Psychagog und lachendes Schmierenpublikum: "Mal langsam, Smirc: Wo wäre denn der Spaß geblieben, hätten wir nicht dieses Sich-Spreizen, Lechzen und Tanzen der gespitzten Lippen miterleben gedurft. Das Leben hat sich doch gelohnt! Die Ewigkeit wird ihn und uns schon rechtzeitig einstauben."
Gott: "Srebrenitza!"

16.9.21
Dr. Smirc an Lego
Smircs politische Entwicklung
Smirc, von entzogenem Doktorgrad,
schüttet die tausend Legos aus und legt sich mitten unter sie. Wie schön! In
der Kindheit waren zu wenige da, im Erwachsenenalter war er eher mit dem
Aufräumen beschäftigt, als Opa musste er feststellen, dass er in seiner Begeisterung
allein blieb. Und jetzt? Fehlt jede Energie. Er beschließt, von einem
selbst gebauten Legoschloß zu - träumen.
Über die weiße Wand spielen Licht und
Schatten einer vom Wind berührten Blume. Er schläft ein und träumt einen
anderen schönen Traum. Schade, dass er sich nicht daran erinnern kann! Aber es
tat gut.
Aufwachen! Tagesschau! Das Geschehen interessiert noch. Mitten ins Gurren der Haustaube rennt er von der Terasse zum TV.
Er findet einen alten Essay von Mahler und vertieft sich in die Entwicklung vom Führer der Avantgarde zum Guru brüllender Pegiden. Sein Freund aus der Anarchie entwickelte sich sinngleich zu einem verschrobenen Heilsprediger. Oder dieser Fischer: vom Hass zum Hochwürden des Kapitals.
Hätte man schon 77 sehen können, dass
M, hier einer von der Propaganda zur Propaganda wechselte, um die Verachtung
der Menschen nicht zu verlieren? "Entartete Intellektuelle": von der
Verachtung des Kleinbürgerlichen zu der der "Entarteten". So groß wie
sie sich in den 70ern noch vormachten, scheint der Schritt von der
Internationale der Gerechtigkeit zum Deutschland über alles nicht zu sein. Das
zeigt sich doch auch in der Sovjet-Nachfolge der Kader im Osten: wie eifrig
sprangen sie aus den Uniformen in die Uniformen!
Dass es immer noch aufregt!
Die Erinnerung an den Verlust kommt
mit heißen Tränen. Es zieht hinab. Aber er bleibt bei sich. Das hatte auch er
in seiner ideologischen Zeit, beim Weltretten, völlig vergessen, übersehen,
nicht sehen gewollt. Der Panzer, das sich stark machen, war wichtiger als das
verletzliche Fühlen. Das Leben hat ihn gelehrt. Besseres? Was er nicht mehr umarmen
kann, er sucht in sich nach jener Athmosphäre. Und manchmal, oft unverhofft, stellt
sie sich ein. Es war ein zerbrechliches Geschenk. Und es gab die Zeit, in der er
es halten durfte.
Der Trickser des Wohls glaubte im Gegensatz
zu ihm, dass die Mehrzahl der Menschen doch eigentlich nicht sehr intelligent
seien und der klugen Führung bedürften. Smirc dagegen meinte schon, dass er
selbst nicht dumm sei, dass aber die Mehrzahl der Menschen schon wüssten, was
gut und schlecht für sie sei. Er lehnte Tricksen daher ab und verlegte sich
aufs Argumentieren. Das verstanden aber allerdings die wenigsten. Er schloss
nun nicht wie der Trickser auf die Dummheit der Leute, sondern auf ihr
Desinteresse an seinen langen Ausführungen und auf ein Vertrauen gegenüber
Autoritäten, das er allerdings nicht hatte: er hatte Vater und Mutter gehabt.
Das war ihm genug.
Er musste seinen Lebensunterhalt ja auch
irgendwie verdienen und arbeitete für die Nachbarn in der Verwaltung. Nun war er
Pensionär im Unwichtig.
Was also ist erreicht? Der Vogel gebraucht
seine Flügel bis zum Ende. Und wenn er so auf dem Zaun sitzt, auf die nächste Nougatbrezel
spekuliert und über sein Leben nachdenkt, kommt ihm der erste bewusste Tag in den
Sinn. Dies ist die Fortsetzung.
Ein Sonnenstrahl kommt. Da unten glitzert
ein Legostein, dort bimmelt ein politisches Plakat nach einem krassen Wahlergebnis.
Und die Rolltreppen im Kaufhaus gehen auf und ab, auf und ab im Glücksautomaten.
Der Schatten eines Falken. Heute noch
nicht. Der Schwarm nimmt den Dr. in die Mitte. Danke, Leben!
