Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

7.1.18

Handke Wow 2



Hankewow 2, der Bergdoktor als Traumschiff
Aus welkenden Feldern des Ruhms unter Verwendung von Zitaten aus Pearsley "Im zarten Glanz der Morgenröte" und Begeisterungen zu Sloterdijk als Metier. Und was geht überhaupt mit Handke in der Obstdiebin?
Je weiter ein Gedanke von der Anschauung entfernt ist, umso weiter ist auch die Rußwolke des ihn zum Begriff verfestigen wollenden Wortes. Man greift zur hinterlüfteten Fassade der Verlagsputzer.
Der Dichter muß, um das Leben betrachten zu können, sich ein Stück daraus entfernen. Einsamkeit klärt. Aber Menschenferne zum Zweck der Heiligung eines Dünkels als höherer Wert? Narziß und Kunst?  Schminkprobleme einer Diva.
Handke bringt ein neues Make-up auf zarte Schläfrigkeit auf, um von seinem groben Schnitzer im Ethischen abzulenken. Und die Literaturroboter wedeln  Begeisterung zum Zweck der Leser-Akquise.
"Der Meister der Prosa des Augenblicks Peter Handke setzt im Roman «Die Obstdiebin» seine Suche nach dem Epos fort."  Lothar Müller.
Und der Meister des Assoziativen, Peter Sloterdijk, illuminiert das Haus der Philosophie in feurigen Farben mit hellwach zufälligen Chancen. Das Okkasionelle als Selbstentzündung.
Einer meint: "So müssen Bücher über Schriftsteller klingen! Wunderbar!"
Da findet man Abenteuer im Niemandsland zwischen Ken und Kebabismus. Wie sonst nur ehrliche Schinkenspezialitäten aus Baden-Württemberg.
Es ist nach längerem Schweigen in der Literaturnudelfaktur wieder einer von Handkes epischen Grossversuchen erschienen. Eine junge Schöne auf der Suche nach Mutter. Ein hoch gewachsenes, gertenschlankes junges Mädchen mit glänzendem Haar am Bahnhof.
Der "epische" Erzähler zeigt sich als Ideal im Brummen des Zen. Er brach aus seinem Haus in der Niemandsbucht aus, nachdem er von einer Biene gestochen worden war. Noch nie hatte er einen Hehl gemacht. Überall merkwürdige Dinge.
Mit dem landläufigen Roman hatte dieser Handke eh nichts zu schaffen. Jetzt erzählte Wolfram von Eschenbach das Mittelalter, Wahlheimat auch von Typen wie Heidegger, Franco, Orban und Karadzic. Vom großen G hatte er sich mit Grausen abgewandt. Das traf bei Sloterdijk auch beim Thema Gott zu („Nach Gott“). Die Äußerungsformen des Heiligen fallen doch ins Fach der Stress-Theorie!
Aber das Krachen eines Regionalzugs, der jäh auf freiem Feld stoppte, ließ Anschlagsangst  gleiten. "Hast du nach mir gerufen?", fragte die Hoffnung in kaltem Tonfall. Nun, nach etwa 150 Seiten verließ der Erzähler als Leibhaftiger seine Geschichte, um nur noch von einer Biene gestochener Begleiter zu sein. Ebendies war Sloterdijk effektvoll obsolet.
"Oh Magus", flüsterte es. "Es ist wie im Himmel". Sie war Wünschel, Frucht und Lesefrucht.
*
Was aber ist erzählenswert? Epos? Abenteuer? Das Einwandern durch industrialisierte Provinz in Regionalzügen, Supermärkten und Kebabideologieen zeigte Niemandsland, Metropolen und Provinzen eines Handke. Der Boden ganz mit moosgrünem Teppich bedeckt, die Wände mit einer Blumentapete tapeziert, und ein Diwan, grün gepolstert.
Wir erlebten Niemandsbucht: Genauigkeit, Kalender, Aktualitäten mythisch-zyklisch: "Diese Geschichte hat wohl... eine Biene gestochen." Wer Zehen hat, zu fühlen, mochte sich nach diesem Satz dafür verwünschen, noch nie barfuß in eine Biene getreten zu sein. Ein Auftritt, bei dem das Publikum als exklusives angesprochen wurde.
Rolf Steiner wagte nun eine unwichtige und zugleich leidenschaftliche Annäherung an einen der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Obwohl es keine Hinweise gab, ließ die kryptische Art seines Schreibens auf Freundschaft schließen.  
Er beschrieb  in einer klaren und unprätentiösen Sprache seine Liebe und Verehrung für Peter Handke — und wie er ihn am Ende >ganz zufällig< traf.
Wer, wie oder was war er? Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in ein Mittelalter des Vermeidens? Wahrscheinlich hätte man ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt, hätte er sich nicht über Thomas Bernhard mokiert. So mokiere Dich!
"Verwandlung" war das Schlüsselwort in Handkes neuem Projekt des Vergessens, wo eine Kassiererin sich in einer wuchtigen Epiphanie verwichtigte.
"Wo bist du gewesen?" jammerte eine Obstschale und wandte sich von dem Schinken ab, den sie in der Pfanne briet. Beim Anblick ihrer schwabbeligen Schenkel brach ein hysterisches Gelächter aus. Da wurde billig exklusives Hirn serviert.
 Der Autor zog sich Schrecksekunden und Gefahrenmomente ins Gehör. Ein Tritt trat auf dröhnende Kanalisationsplatten, rief im Gratiszug des greisen Priesters bei Rouen nach Versachlichung. Auch sonst kein ebendies? Nicht jede und jeder könnte Evidenzen so simsalabim auf- und wieder abbauen wie Sloterdijk! Im unsichtbaren space der Illusion.
"Du hast mich verraten!", rief der Chor. Verschleierte junge Frauen unterdrückten den Erzähler in Wutanfällen. Eine erfrischende Polemik gegen den Kurzsatzstil fühlte sich zwar schwitzig an und Herzen hämmerten. Aber das Erschrecken hatte endgültig jeden Zweifler zerstreut. Ja, der todessüchtige junge Pizzakurier geriet in Panik und Zwielicht.
Die Reise ins Landesinnere führte wie selbstverständlich auch ins Innere von Handkes Emanationen, man staunte ins Lächeln eines Lektorats.
"Was bringt dich auf den Gedanken, das hier könnte interessieren?", man konnte sich doch denken wie hier einer zu Geld gekommen war.
Nicht nur in Kärnten, sondern überall dort, wo Orden, Ehrenzeichen und Ehrenbürgerschaften ohne monetären Gegenwert vergeben wurden, stellte sich dieses Problem. Der Verstand sagte zwar, daß es normal war, derart tiefe Gefühle zu hegen. Aber wer hatte sein Buch gelesen, fand, dass er ein brillanter Geschichtenerzähler war?
Man kann Stationen folgen, aber nicht der Familienzusammenkunft einer Mutter: Ungeheuer entpuppten sich, Totenhaus und heilige Messe.
Entscheidend ist der Satzbau, der den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens in sich aufnimmt, als eine einzige lange Polemik gegen den Kurzsatzstil und den Aufstieg des Präsens als Erzähltempus in der Gegenwartsliteratur. Man findet aber auch Notizhefte vom Meister des Augenblicks.
Was will der Essay, zu dessen Großmeistern auch Peter Sloterdijk gehört, anderes sein als geistreich? Es fällt in den Worten des Magiers der Vorhang bei sprühendem Einfall.
Ist dieser Artikel lesenswert? Wer will schon drögen Rat erteilen? Eine gewaltige Orgeldichte singender Entertainer.
Der Meister der Prosa des Augenblicks setzt seine Suche nach dem Epos fort. Er findet die Abenteuer im Niemandsland zwischen Supermarkt und Kebabimbiss. Da ist viel passiert von gemeinsamer Bibel - und Luther Knete bis hin zu Konzernen.
Da gibt es Autoren. Der eine verfasst Notizen, der andere arbeitet derweil. Doch nicht der Gehalt ist entscheidend, sondern der Satzbau
So nimmt er, was ihm andere erzählt haben, und den Stoff des eigenen Lebens. Mit gespielten Widerstreben tritt er zu den Türen, die in den Obstgarten hinaus führen, nimmt einen ordentlichen Schluck von seinem Drink und lächelt in den Bienenstich.
Die Menschen verfallen in Schweigen und stolzen Löwenausdruck, entschlossen und würdevoll. Augen werden feucht. Sein Gesicht scheint einen goldenen Schlummer zu haben, als wäre es irgendwie innen. Nun ist nach längerer Zeit endlich wieder ein epischer Grossversuch erschienen. Das epische Erzählen, Ideal der Niemandsbuchteln.
An einem Sommertag im August, nachdem er von einer Biene gestochen worden ist, entscheidet sich der Satzbau, der in Appositionen und Einschüben den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens aufnimmt. Nie hat der Autor einen Hehl gemacht. Wir erleben den Erzähler den Briefkasten entleeren und endlich einmal vom Staat verschont. Doch Unbill droht dem Müden auch der Nachbar. Ein "Krepier!" kommt ihm da von Lippen.
Mit dem landläufigen James Joyce des «Ulysses» wie vom «Mann ohne Eigenschaften» Robert Musils hat Handke sich mit Grausen ins Mittelalter der Hoffnung aufgeschirmt.
Im Krachen unterm Regionalzug gleitet jäh Anschlagsangst aus Niemandsbucht und Passagier hinauf in die Picardie.
Wolfram von Eschenbach erzählt von Ereignissen und begegnet Christen und Muslimen. Ein Handke des Minnesangs.
Aber die leibhaftige Figur verlässt ihre Geschichte für eine Art Wünschelrutengängerin, die eine Frucht pflückt wie eine Lesefrucht. Da erfindet der Erzähler Berichtenswertes in der Jetztzeit, beim Wandern durch die Metrovinzen, in Kebabmissionen, im Niemandsland zwischen Pol und Kohl.
Nur in Form der Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in Prüfungen, Gefahrenmomente, Vermiedenes. «Verwandlung» ist das Schlüsselwort in Handkes Projekt eines neuen epischen Erzählens nach Srebrenica.
Wenn man dann im ICE weiterliest, erscheints grotesk.  Kommt H endlich in Gang? Eulenruf und Grillenzirp.
Fühlte man sich nicht von jedem Satz durchgeknetet, neu geboren? Muss man in ein Kloster, Handke zu lesen? Die zweibändige „Kritik der zynischen Vernunft“: ein Wurf!
*
Tatsächlich ist Sloterdijk als ein Entfesselungskünstler zu bestaunen. Fesseln des Belegzwangs streift er ab. Freie philologische Assoziation, fruchtbare Analogie, eine ganz eigene Erkenntnis der Grenzen in uns.
Die meisten produzieren Normaltext. Handke hingegen ist Text illusionieren und Idiosynkrasien parodieren. Dann wieder träumt er Friedensfeier, Schrecksekunden, Gefahrenmomente und die Angst greiser Priester angesichts verschleierter junger Frauen: ein Wutanfall  gegen den "lakonischen" Kurzsatzstil des Präsens.
Der todessüchtige junge Pizzakurier aber erschüttert den  Terror des Landes. Und, warum auch nicht: Man kann die Stationen dieses Buches auf der Landkarte verfolgen. Begegnungen mit einem Totenhaus von Herberge und die Teilnahme der Heiligen scheiden den Satzbau vom Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens.
Man findet solche Prosa auch mal anders als der Autor glauben mag, Passagen vom Meister des Augenblicks.
Hoffnung vor der Baumschattenwand nachts findet Wolfram von Eschenbach in Frankreich im "Willehalm", dem Handke eine ausgetrocknete Motte entnimmt ("Man gesach ..."), weise wie Christen und Muslime im "Ritterlich-Chevaleresquen".
Handkes Stärke liegt in der leibhaftigen Figur, die kein Obst stiehlt, sondern Mundraub, eine Art Wünschelrute, wo sich Abenteuer episodisch reihen, wenn der Held erst einmal in der Jetztzeit, beim Wandern in Kebab-Imbissen, provoziert. Dort, in der Diskursivität, kommt dem Argument eine höhere, von zufälligen Passungsverhältnissen bestimmte Mobilität zu.
Selbst Sloterdijk, mit Frankfurtern sozialisiert, setzt Versatzstücke der kommunikativen Rationalität immer wieder gekonnt als Requisiten ein: Kanalisationsplatten krachen in Regionalzüge, Anschlagsangst gleitet in die Gratiszeitung eines  Wutanfalls und ein Pizzabote wird ununterscheidbar.
"Die Sonne ging unter. . .", sagt die riesige Uhr am Regionalbahnhof von Cergy-Saint-Christophe. Aber nicht der Gehalt der Erzählung ist das Entscheidende, ein kleiner gallischer Hahn entpuppt sich als heilige Messe. Bei Sloterdijk wird grundsätzlich alles als bekannt vorausgesetzt.
Sensationelle Ausstellungen beginnen mit Sachsenwurst und Schrippenlesung, pneumatisch-dynamische Malereien und Quellen der Kreativität schäumen.
Es wird einem angst und bange.
Wow, daß Handke in jedem Satzzeichen ganz Handke ist! Man spürt plötzlich das eigene Körpergewicht auf den Knien.
Ein Menschenfreund ist dieser Staatsfeind lange nicht. Zumindest hin- und hergerissen. Der Ungeheure braust und zischt, lässt donnernd Wogen stürzen, Holz und Sand.
Handke lehrt Verstockten Hören und Fühlen. "Die Welt, das war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." Ist das nun grotesk oder erhaben? An einem langen Wochenende auf dem Land, neben dem Kamin, ist das die allernatürlichste Sache der Welt: so einzig richtig und angemessen wie Laub harken, Holz hacken, ein Rehpfeffer zubereiten oder mit Gummistiefeln durch sumpfige Wiesen stapfen.
Der Atemrhythmus folgt dem Takt von Sätzen, das Wort gewinnt eine Griffigkeit wie Holzscheite und Eskapismus erscheint als Lebensform. Einmal heißt es gar in bosnischer Bibel: "Schert euch weg aus der Geschichte." Einmal auch Wut, das Weibszeug zu beschimpfen.
Inzwischen weiß er ein Sichauftun weißer Blüten bodennah, worin sich Bienen tummeln. Auch das wie immer Blauen, hoch und höher. Und gegen Terroranschläge einen Sarazener-Dolch, als wär das richtig zugestoßen.

Aus dem Off: "Ich habe vor langer Zeit versucht einen Text von Handke zu lesen... tatsächlich, wäre ich fast eingeschlafen dabei..."
Aber er kann auch eine Bar betreten, und schon entsteht geradezu ein Multikulti- Versöhnungstableau.  Was ihn erbost: wenn Menschen nicht erreichbar, wenn sich erschließen Verstocktheit und auch Taubheit:
"Vor langer Zeit hab ich mir vorgestellt, zu schaffen...." Dem Erzähler öffnet sich die Picardie, die ihrerseits durch Picardien streunt, ein ortlos Wesen, das sich von Früchten nährt, besonders anmutig.
So hängt die Grundlosigkeit des Geschehens zusammen mit der Verweigerung von Psychologie. Handkes Figuren haben Affekte, wohlvertraute, uralte, alleralltäglichste der Wut, des Aufschluchzen-Wollens, des Rachegelüstes, der Hoffart, ein störrisch Tautologisieren: "Die Welt war Welt, war Welt." Einmal Pizzabäcker, immer Pizzabäcker. "Zu spät wozu? Zu spät." Ein immer schwächeres Unbedingt, doch wuchtig.
Die Tautologie ist der Ort der Poesie, dort wo die Dinge selbst. Man achte nur einmal auf den souveränen Umgang mit dem Wörtchen „bekanntlich“: dem Mythos von der Wiederkehr der klassischen Gesellschaft!
Nur für Geschichte, Politik, müssen Dinge sein: "Der Historie, der sogenannten, der mit großem H entgehen Sinn und feiste Fleischermeister 'Du wirst der Liebe nicht entgehen!'" Handke tut alles, sich der Geschichte mit großem H zu entwinden. Kein Wow dem Handke? Lieber bisse er sich die Zunge ab, als ein psychologisches Motiv zu verkosten.
Oder besser gesagt: Wut, Spannungsaufbau und Entladung. Begeistrung exklusiv.
Klaus Wachowski 5.1.2018



3.1.18

Rückweg



Nach unten gehend sehe ich die runden Kronen grüner Baumgruppen. Unter ihnen leuchtet das Rot eines Ziegeldachs hervor. Und darunter ist etwas Weiß von den Mauern zu erkennen. Weit hinten unter dem Nebel breitet sich das Blau des den Himmel spiegelnden Meeres aus. 

Was hinter und über mir liegt, verliert an Gewicht und Drang. Ein leichtes Ziehen nach vorn hilft beim Gehen.

Vogelstimmen des Frühling im Januar sind zu hören, das Rascheln von Eichhörnchen und Amseln. Sei vorsichtig auf nassem Weg! 

Was war, was wird sein mit diesem kleinen Ich, das da seinen Weg geht? 

Die Einsamkeit ist eine zerbrechliche Vorstellung: von starken Bändern der Liebe wird die Angst an das Vertrauen gebunden. Der Schatten eines Verlusts schneidet ein. Erinnerung spendet Trost. Und die Schönheit der Welt zeigt sich wieder. Strahlen der Sonne, Lächeln, Berührung. 

Gerne sitze ich im Cafe' Twisting Love, sehe die Verletzlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Herzen. Angst, Niedergeschlagenheit, Verlo-renheit. Vertrauen, Selbstvertrauen, Zugewandtheit. Die Jahreszeiten der Seele. 

Dr. Smirc und Dr. Warnix überholen mich diskutierend. Wieder einmal ungleicher Meinung. Wie schön Verschiedenheit blühen kann! Jahwe heißt angeblich: das Leben. 

Die Liebe geht mit, die Dankbarkeit. Das Ja.

Von Deinem Atem getragen, schwebe ich,
bis ich den Boden berühre. 

Klaus Wachowski 3. 1. 2018

17.12.17

zu Mankell, die schwedischen Gummistiefel



"Ich hatte das Gefühl, als wurde ich erneut um das Haus herumwandern. Die gesammelten Abdrücke des Le-bens mehrerer Generationen waren innerhalb einiger kurzer nächtlicher Stunden ausgelöscht worden. Unsichtbare Spuren von Bewegungen, Worten, Schweigen, Sorgen, Schmerzen und Lachen waren verschwunden. Auch das Unsichtbare kann zu Asche und Ruß werden."
*
Mankell beschreibt hier Alter und Verlust. Die Angst sagt Dir:  Du wirst alles verlieren. Die Todesfurcht dreht Dir den Kopf um: Sieh den schönen Weihnachtsmarkt Deines Lebens!
Es nimmt Dir zuerst die Namen und Begriffe, dann die Erinnerung. Dein Haus, die Spuren zur Beglaubigung der Vergangenheit sind verwischt. Du weißt, es war etwas, da doch Asche ist. Und: Das Schöne, das Dich begeistert, Du warst ihm schon begeistert begegnet.
Und dann: "Das Altern kam wie ein Nebel der Stille übers Meer herangezogen.
Ein Leben lang sammelt man Müll von dem niemand etwas braucht.
Die Nacht war still. Herbstnächte hat es immer gegeben und Herbstnächte würde es auch geben, wenn ich verstorben wäre.
Ich war ein zufälliger Gast in der Dunkelheit und würde nie etwas anderes sein."
Sätze, aus denen mitten im Leben erzählen das Erkennen bricht.
Mankell scheint in den "schwedischen Gummistiefeln" die  Handlung dazu zu nutzen, um seine Einsichten in Leben und Alter mit dem weichen Stoff eines Romans zu polstern oder darunter zu verbergen.
Mir ist es recht. Ich bin schon immer gern mit älteren Brüdern durch meine Zeiten gegangen*.Und etwas Organisches aus dem Leben zwischen den metallischen Architekturen der Gedanken macht es schön.
Ich habe diese Wutausbrüche, die Mankell erwähnt,  nicht und an Panikatacken kann ich mich nicht erinnern. Aber mancher Alte berichtet davon. Und ich teile das Bewusstsein von zunehmender Schwäche, Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Vereinsamung in den Bezügen. Herausforderungen beschränken sich auf das Bewahren erreichter Fertigkeiten. Wie lange wird es noch dauern, bis auch ich unter den Patiencen, die ich spiele, die mit dem Namen "Idiot" wähle? Das Werkzeug wird schwerer, die Aufbau - Anleitung chinesischer.
Gut zu sehen, wie ein anderer seinen Weg geht.
Aber noch steht das Haus, noch fühle ich in mir Verantwortung und Stolz genug, die Schäden selbst zu reparie-ren. Auch will Ich will noch schmücken mit all dem Müll, den wir freudig zusammen kauften, erstellten, „er-schufen“ pp. Und ich lege eine extra Rasur ein, wenn Gäste kommen.
Und unerwartet schön, den Jungen und Kindern zuzusehn. Auch das begegnet dem Alten in den Schären.
*
Weiter hinten in der Lektüre:
Mankell in den schwedischen Gummistiefeln geht auch auf seine misslungenen sexuellen Versuche ein. Bogen-schießen: Denken stört Handeln.
Am weitesten von der Berührung ist der Gedanke entfernt. Es gibt kein Verstehen, wo alles Fühlen will. Daher wohl auch die vielen Hinweise auf die Sehnsucht nach Berührung in Texten von Literaten des Denkens. Ob Liebe oder Sexualität, der Verstand ist von beidem so weit entfernt wie das Auge vom sexuellen  Zentrum.
Mit dem Denken aufhören hilft nicht. Vielleicht Buddhismus: mit dem Denken wollen aufhören. Aber der will ja auch mit dem Freude wollen aufhören...
Die 68er haben aufgesteckt: die sexuelle Befreiung ist in ideologischen Wogen und einer trüben Suppe von Wellness ersoffen.
*
Vielleicht ist die Wut, die Mankell in sich spürt, die gleiche Wut, die ich auf andere Personen in mir transportiere. "Stimmen aus der Vergangenheit". Im Alter beginne ich aber auch mit fremden Personen zu schwätzen, was ich bisher hasste.
"Wie sollte ich mit all dem fertig werden, mit meinem Alter, einem niedergebrannten Haus und dem Empfinden, in einem Niemandsland zu leben in dem keiner nach mir fragt?" Eine enttäuschte Sehnsucht, die die hoffende aus früheren Tagen abgelöst hat. Aber Sehnsucht.
*
"Im Grunde hatte Janson Angst vor mir. Nicht nur vor mir, sondern vor allem. Sein ständiger Wunsch, zu helfen und sich nützlich zu machen, übertüncht seine Sorge, unseren Unwillen auf sich zu ziehen. Er fürchtet, wir könnten seiner überdrüssig werden und nicht mehr von uns hören lassen, wenn wir Hilfe brauchen." 
Woher dieser Unglaube bezüglich der Uneigennützigkeit des Helfenwollens?
Alter mag desillusionieren. Ich glaube aber, daß das allseitige Misstrauen des Alters nicht weniger trügerisch ist als das Welt umspannende Vertrauen der Jugend. Natürlich macht das Helfen auch den Helfer glücklich im Gefühl, menschlich gewollt zu haben. Aber Ziel Deines Handelns ist nicht dieses eigene Wohl, sondern das des, der anderen.
Es bleibt wie vieles an der Seele Glaubenssache: Was ich selbst noch nicht gefühlt habe, kann ich nicht "wissen". Selbst was ich gefühlt habe: will oder kann ein anderes Ich es auch fühlen? Daß das "Ich- noch - einmal" ein Ich ist und auch fühlt wie ich, ist eine weit verbreitete Spekulation aus angeborenem oder anerzogenem Glauben, ebenso wie die seltener verbreitete, aber mit jedem negativen Erleben mehr befestigte aus dem Egoismus, der ja auch seinen angestammten Platz in uns hat.
Im Alter, der Zeit des Verlusts von Welt, bist Du immer mehr von unbekannten Personen umgeben und auf sie angewiesen. Das Vertrauen in die Uneigennützigkeit hat einen schweren Stand gegen das Mißtrauen. Zu Recht? Du hast Dich verändert, nicht die Welt.
Mankell mag darauf einwenden: "Nicht die Welt? Aber doch die Umwelt!" Und: "Ich bin anders? Aber vielleicht habe ich gerade deshalb den klareren Blick!"
*
„Ich fürchte, ich fühle einen hoffnungslosen und im Grunde irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben werden, wenn ich tot bin. Dieser Gedanke beschämt mich genauso, wie er mich erschreckt. Ich verdränge ihn. Aber trotzdem führt er immer öfter zurück, je älter ich werde. Ich frage mich, ob ich dieses Gefühl mit anderen Menschen teile. Ich weiß es nicht und werde das auch niemals ansprechen. Aber dieser Neid ist meine tiefste Dunkelheit. Kann ich wirklich der einzige sein, der so empfindet?"
Hier, denke ich, konstruiert Mankell.
Ich glaube nicht, daß irgendeine Erfahrung so stark ist, den Egoismus so sehr zu blenden, daß er die neidische Betrachtung aller anderer Existenz zu einem Grundmotiv des eigenen Handelns machen kann. Der Selbstmörder, der das Flugzeug in den Berg lenkt, denkt nicht einen Augenblick an die anderen, der Mörder ist vielleicht neidisch auf seine Opfer, aber auch er hat kein (neidisches) Interesse an den übrig bleibenden, nur weil sie leben. Leben hast Du nicht, daher hat der Neid kein Interesse am Vernichten des Lebens. Leben lebst oder erleidest Du. Es gibt ausreichend Gründe, es zu lieben und zu hassen, keinen, es zu neiden.
Aber auch hier: Wenn Du persönlich so einen seltsamen Neid spüren solltest, dann bist Du auf eine seltsame Weise erleuchtet. Und mußt mit der damit einher gehenden Einsamkeit vorlieb nehmen. Ich kann sie nicht teilen.
*
"Manchmal glaube ich das gefürchtete Tor öffnet sich langsam vor mir. Eines Tages werde ich in das Land eintreten, indem das Gedächtnis vom Vergessen verschluckt wird." -
O Tannenbaum, lassen wir die Zeit, ihren „Treibsand“ (Mankells letztes Buch) herbei wehen. Sehen wir hinauf in die Lichter des Himmels, hinüber in das Lächeln der Lieben. Und genießen wir die leichten Wasser des Denkens von Mitbewohnern dieser wunderlich beleuchteten Nacht, die gerne sich Gedanken machen.  

Klaus Wachowski 15.12.2017

* Von Gott, Jesus habe ich eher das Gefühl, sie seien jüngerer, nicht belehrender,  Bruder

7.12.17

Aus 2011 Trauring

Ich stelle den Tisch auf die Terrasse. Du räumst die Scherben der Fenster weg. Du aber verblutest im Wüstensand.

Die Sonne scheint Frühling über Deutschland, Japan, Libyen. Und die Vögel singen aus voller Kehle Liebe.

Ich stecke die Zweige des Apfelbaums in eine Vase. Du blickst in einen Himmel voll Rauch und kreischender Erde. Du spürst heiße Tränen auf Deinem Gesicht.

Die Blumen färben die Erde ein. Gras zieht sich grün in die langen Schatten. Erste Bienen sammeln ersten Nektar.

Die Ewigkeit spiegelt sich im Augenblick. Diese Woche will sie sich Strähnen legen lassen.

Berühre und lasse berühren: Was wären all die Glück und Grauen ohne ein Du?

März 2011