Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

18.1.15

Der alte Oberiut



Er liebt das: den weißen Tisch, die weiße Wand, den Becher Kaffee. Nichts lenkt ab vom Nachdenken. 

Vor dem Fenster liegt eine hohe Nebelwand, aus der heraus die Flügel zweier Windräder um sich greifen. Liegt dahinter wirklich die Welt oder nicht nur wieder das Schlagen, das Befehlen, das Schimpfen und Spotten?

Auch die farbigen Räume von Camphill empfindet er recht angenehm. Auch hier könnte er sich vorstellen als Alter abzuleben. Man hat doch auch Räume des Rückzugs. Man kann doch auch ohne Antreiben miteinander leben und -wenn es sein muß- etwas bewegen. 

Jetzt aber hört er die Stimmen der Meisen mitten im Januar schon in Frühlingsliedern aufsteigen. Er wehrt sich innerlich: er möchte noch ein paar ätzende philosophische Urteile gegen das Leben loswerden. Doch das Weiß will sich nicht mit Verachtung füllen. Im Gegenteil: er spürt dieses peinliche Gefühl von Trauer und Tränen in sich aufsteigen. Hoffentlich merkt es keiner! Er schaut sich um und greift nach dem Kaffee. 

Gott-sei-Dank! Niemand in der Nähe und leises Geklapper von der Küche her. 

Er reißt die Packung auf. Auf die Tischplatte fallen cross gebackene Erinnerungen, gesalzene Hoffnungsbohnen, gebruzzelte Sehnsucht und Lust mit Bratwurst-Aroma. Am Liebsten sind ihm die Erinnerungs-Cracker. Es kracht so angenehm, wenn so ein Selbstbetrug unter der Zunge knackt. Irgendwie sauer und salzig zieht es sich durch den Mund, wenn sie dann am Gaumen kleben. Es will verdaut sein.- Mit den Hoffnungen ist das so eine Sache: angenehm im Geschmack, aber ziemlich blähend. Einen japanischen Whiskey als Gegenmittel kannst Du in diesem Heim natürlich nicht finden. So stopft er alles in sich hinein, läßt die Lustkrümel unter den Tisch fallen, und ruft nach der Praktikantin, um sich wieder in sein Zimmer fahren zu lassen.

Dort läßt er sich das Fenster kippen und hört mit geschlossenen Augen den Meisen zu. Er raucht eine Sumatra-Pfalz.

"Ganz schön einsam", meint Jacko Homowitsch Smirc. Dr. Warnix, Psychagog und abgehalfterter Politoffizier, ist da etwas anderer Meinung: "Du hast ganz recht! Der Mann hat eine ausgewachsene Frühlingsdepression. Aber schon mal genauer hin: Er ist doch rund aufgehoben und umarmt von den Tönen und Sonnenstrahlen dieses Tages. Gegen den Winter spielt er noch etwas zen und Verachtung. Aber er weiß doch auch: nicht mehr lang und der Frühling wird uns mit seinen Farben und Düften überschwemmen und jeden Buddha mit Blümchen statt mit Pommesfett schmücken."

Gott macht das Fenster zu. "Willst Du denn gar nicht mehr an mich glauben?" Der alte Обериут (Oberiut) lacht:"Keine Angst!- Ich weiß Dein Weiß zu schätzen!"

Klaus Wachowski 18.1.15


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen