Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

7.1.18

Handke Wow 2



Hankewow 2, der Bergdoktor als Traumschiff
Aus welkenden Feldern des Ruhms unter Verwendung von Zitaten aus Pearsley "Im zarten Glanz der Morgenröte" und Begeisterungen zu Sloterdijk als Metier. Und was geht überhaupt mit Handke in der Obstdiebin?
Je weiter ein Gedanke von der Anschauung entfernt ist, umso weiter ist auch die Rußwolke des ihn zum Begriff verfestigen wollenden Wortes. Man greift zur hinterlüfteten Fassade der Verlagsputzer.
Der Dichter muß, um das Leben betrachten zu können, sich ein Stück daraus entfernen. Einsamkeit klärt. Aber Menschenferne zum Zweck der Heiligung eines Dünkels als höherer Wert? Narziß und Kunst?  Schminkprobleme einer Diva.
Handke bringt ein neues Make-up auf zarte Schläfrigkeit auf, um von seinem groben Schnitzer im Ethischen abzulenken. Und die Literaturroboter wedeln  Begeisterung zum Zweck der Leser-Akquise.
"Der Meister der Prosa des Augenblicks Peter Handke setzt im Roman «Die Obstdiebin» seine Suche nach dem Epos fort."  Lothar Müller.
Und der Meister des Assoziativen, Peter Sloterdijk, illuminiert das Haus der Philosophie in feurigen Farben mit hellwach zufälligen Chancen. Das Okkasionelle als Selbstentzündung.
Einer meint: "So müssen Bücher über Schriftsteller klingen! Wunderbar!"
Da findet man Abenteuer im Niemandsland zwischen Ken und Kebabismus. Wie sonst nur ehrliche Schinkenspezialitäten aus Baden-Württemberg.
Es ist nach längerem Schweigen in der Literaturnudelfaktur wieder einer von Handkes epischen Grossversuchen erschienen. Eine junge Schöne auf der Suche nach Mutter. Ein hoch gewachsenes, gertenschlankes junges Mädchen mit glänzendem Haar am Bahnhof.
Der "epische" Erzähler zeigt sich als Ideal im Brummen des Zen. Er brach aus seinem Haus in der Niemandsbucht aus, nachdem er von einer Biene gestochen worden war. Noch nie hatte er einen Hehl gemacht. Überall merkwürdige Dinge.
Mit dem landläufigen Roman hatte dieser Handke eh nichts zu schaffen. Jetzt erzählte Wolfram von Eschenbach das Mittelalter, Wahlheimat auch von Typen wie Heidegger, Franco, Orban und Karadzic. Vom großen G hatte er sich mit Grausen abgewandt. Das traf bei Sloterdijk auch beim Thema Gott zu („Nach Gott“). Die Äußerungsformen des Heiligen fallen doch ins Fach der Stress-Theorie!
Aber das Krachen eines Regionalzugs, der jäh auf freiem Feld stoppte, ließ Anschlagsangst  gleiten. "Hast du nach mir gerufen?", fragte die Hoffnung in kaltem Tonfall. Nun, nach etwa 150 Seiten verließ der Erzähler als Leibhaftiger seine Geschichte, um nur noch von einer Biene gestochener Begleiter zu sein. Ebendies war Sloterdijk effektvoll obsolet.
"Oh Magus", flüsterte es. "Es ist wie im Himmel". Sie war Wünschel, Frucht und Lesefrucht.
*
Was aber ist erzählenswert? Epos? Abenteuer? Das Einwandern durch industrialisierte Provinz in Regionalzügen, Supermärkten und Kebabideologieen zeigte Niemandsland, Metropolen und Provinzen eines Handke. Der Boden ganz mit moosgrünem Teppich bedeckt, die Wände mit einer Blumentapete tapeziert, und ein Diwan, grün gepolstert.
Wir erlebten Niemandsbucht: Genauigkeit, Kalender, Aktualitäten mythisch-zyklisch: "Diese Geschichte hat wohl... eine Biene gestochen." Wer Zehen hat, zu fühlen, mochte sich nach diesem Satz dafür verwünschen, noch nie barfuß in eine Biene getreten zu sein. Ein Auftritt, bei dem das Publikum als exklusives angesprochen wurde.
Rolf Steiner wagte nun eine unwichtige und zugleich leidenschaftliche Annäherung an einen der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Obwohl es keine Hinweise gab, ließ die kryptische Art seines Schreibens auf Freundschaft schließen.  
Er beschrieb  in einer klaren und unprätentiösen Sprache seine Liebe und Verehrung für Peter Handke — und wie er ihn am Ende >ganz zufällig< traf.
Wer, wie oder was war er? Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in ein Mittelalter des Vermeidens? Wahrscheinlich hätte man ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt, hätte er sich nicht über Thomas Bernhard mokiert. So mokiere Dich!
"Verwandlung" war das Schlüsselwort in Handkes neuem Projekt des Vergessens, wo eine Kassiererin sich in einer wuchtigen Epiphanie verwichtigte.
"Wo bist du gewesen?" jammerte eine Obstschale und wandte sich von dem Schinken ab, den sie in der Pfanne briet. Beim Anblick ihrer schwabbeligen Schenkel brach ein hysterisches Gelächter aus. Da wurde billig exklusives Hirn serviert.
 Der Autor zog sich Schrecksekunden und Gefahrenmomente ins Gehör. Ein Tritt trat auf dröhnende Kanalisationsplatten, rief im Gratiszug des greisen Priesters bei Rouen nach Versachlichung. Auch sonst kein ebendies? Nicht jede und jeder könnte Evidenzen so simsalabim auf- und wieder abbauen wie Sloterdijk! Im unsichtbaren space der Illusion.
"Du hast mich verraten!", rief der Chor. Verschleierte junge Frauen unterdrückten den Erzähler in Wutanfällen. Eine erfrischende Polemik gegen den Kurzsatzstil fühlte sich zwar schwitzig an und Herzen hämmerten. Aber das Erschrecken hatte endgültig jeden Zweifler zerstreut. Ja, der todessüchtige junge Pizzakurier geriet in Panik und Zwielicht.
Die Reise ins Landesinnere führte wie selbstverständlich auch ins Innere von Handkes Emanationen, man staunte ins Lächeln eines Lektorats.
"Was bringt dich auf den Gedanken, das hier könnte interessieren?", man konnte sich doch denken wie hier einer zu Geld gekommen war.
Nicht nur in Kärnten, sondern überall dort, wo Orden, Ehrenzeichen und Ehrenbürgerschaften ohne monetären Gegenwert vergeben wurden, stellte sich dieses Problem. Der Verstand sagte zwar, daß es normal war, derart tiefe Gefühle zu hegen. Aber wer hatte sein Buch gelesen, fand, dass er ein brillanter Geschichtenerzähler war?
Man kann Stationen folgen, aber nicht der Familienzusammenkunft einer Mutter: Ungeheuer entpuppten sich, Totenhaus und heilige Messe.
Entscheidend ist der Satzbau, der den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens in sich aufnimmt, als eine einzige lange Polemik gegen den Kurzsatzstil und den Aufstieg des Präsens als Erzähltempus in der Gegenwartsliteratur. Man findet aber auch Notizhefte vom Meister des Augenblicks.
Was will der Essay, zu dessen Großmeistern auch Peter Sloterdijk gehört, anderes sein als geistreich? Es fällt in den Worten des Magiers der Vorhang bei sprühendem Einfall.
Ist dieser Artikel lesenswert? Wer will schon drögen Rat erteilen? Eine gewaltige Orgeldichte singender Entertainer.
Der Meister der Prosa des Augenblicks setzt seine Suche nach dem Epos fort. Er findet die Abenteuer im Niemandsland zwischen Supermarkt und Kebabimbiss. Da ist viel passiert von gemeinsamer Bibel - und Luther Knete bis hin zu Konzernen.
Da gibt es Autoren. Der eine verfasst Notizen, der andere arbeitet derweil. Doch nicht der Gehalt ist entscheidend, sondern der Satzbau
So nimmt er, was ihm andere erzählt haben, und den Stoff des eigenen Lebens. Mit gespielten Widerstreben tritt er zu den Türen, die in den Obstgarten hinaus führen, nimmt einen ordentlichen Schluck von seinem Drink und lächelt in den Bienenstich.
Die Menschen verfallen in Schweigen und stolzen Löwenausdruck, entschlossen und würdevoll. Augen werden feucht. Sein Gesicht scheint einen goldenen Schlummer zu haben, als wäre es irgendwie innen. Nun ist nach längerer Zeit endlich wieder ein epischer Grossversuch erschienen. Das epische Erzählen, Ideal der Niemandsbuchteln.
An einem Sommertag im August, nachdem er von einer Biene gestochen worden ist, entscheidet sich der Satzbau, der in Appositionen und Einschüben den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens aufnimmt. Nie hat der Autor einen Hehl gemacht. Wir erleben den Erzähler den Briefkasten entleeren und endlich einmal vom Staat verschont. Doch Unbill droht dem Müden auch der Nachbar. Ein "Krepier!" kommt ihm da von Lippen.
Mit dem landläufigen James Joyce des «Ulysses» wie vom «Mann ohne Eigenschaften» Robert Musils hat Handke sich mit Grausen ins Mittelalter der Hoffnung aufgeschirmt.
Im Krachen unterm Regionalzug gleitet jäh Anschlagsangst aus Niemandsbucht und Passagier hinauf in die Picardie.
Wolfram von Eschenbach erzählt von Ereignissen und begegnet Christen und Muslimen. Ein Handke des Minnesangs.
Aber die leibhaftige Figur verlässt ihre Geschichte für eine Art Wünschelrutengängerin, die eine Frucht pflückt wie eine Lesefrucht. Da erfindet der Erzähler Berichtenswertes in der Jetztzeit, beim Wandern durch die Metrovinzen, in Kebabmissionen, im Niemandsland zwischen Pol und Kohl.
Nur in Form der Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in Prüfungen, Gefahrenmomente, Vermiedenes. «Verwandlung» ist das Schlüsselwort in Handkes Projekt eines neuen epischen Erzählens nach Srebrenica.
Wenn man dann im ICE weiterliest, erscheints grotesk.  Kommt H endlich in Gang? Eulenruf und Grillenzirp.
Fühlte man sich nicht von jedem Satz durchgeknetet, neu geboren? Muss man in ein Kloster, Handke zu lesen? Die zweibändige „Kritik der zynischen Vernunft“: ein Wurf!
*
Tatsächlich ist Sloterdijk als ein Entfesselungskünstler zu bestaunen. Fesseln des Belegzwangs streift er ab. Freie philologische Assoziation, fruchtbare Analogie, eine ganz eigene Erkenntnis der Grenzen in uns.
Die meisten produzieren Normaltext. Handke hingegen ist Text illusionieren und Idiosynkrasien parodieren. Dann wieder träumt er Friedensfeier, Schrecksekunden, Gefahrenmomente und die Angst greiser Priester angesichts verschleierter junger Frauen: ein Wutanfall  gegen den "lakonischen" Kurzsatzstil des Präsens.
Der todessüchtige junge Pizzakurier aber erschüttert den  Terror des Landes. Und, warum auch nicht: Man kann die Stationen dieses Buches auf der Landkarte verfolgen. Begegnungen mit einem Totenhaus von Herberge und die Teilnahme der Heiligen scheiden den Satzbau vom Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens.
Man findet solche Prosa auch mal anders als der Autor glauben mag, Passagen vom Meister des Augenblicks.
Hoffnung vor der Baumschattenwand nachts findet Wolfram von Eschenbach in Frankreich im "Willehalm", dem Handke eine ausgetrocknete Motte entnimmt ("Man gesach ..."), weise wie Christen und Muslime im "Ritterlich-Chevaleresquen".
Handkes Stärke liegt in der leibhaftigen Figur, die kein Obst stiehlt, sondern Mundraub, eine Art Wünschelrute, wo sich Abenteuer episodisch reihen, wenn der Held erst einmal in der Jetztzeit, beim Wandern in Kebab-Imbissen, provoziert. Dort, in der Diskursivität, kommt dem Argument eine höhere, von zufälligen Passungsverhältnissen bestimmte Mobilität zu.
Selbst Sloterdijk, mit Frankfurtern sozialisiert, setzt Versatzstücke der kommunikativen Rationalität immer wieder gekonnt als Requisiten ein: Kanalisationsplatten krachen in Regionalzüge, Anschlagsangst gleitet in die Gratiszeitung eines  Wutanfalls und ein Pizzabote wird ununterscheidbar.
"Die Sonne ging unter. . .", sagt die riesige Uhr am Regionalbahnhof von Cergy-Saint-Christophe. Aber nicht der Gehalt der Erzählung ist das Entscheidende, ein kleiner gallischer Hahn entpuppt sich als heilige Messe. Bei Sloterdijk wird grundsätzlich alles als bekannt vorausgesetzt.
Sensationelle Ausstellungen beginnen mit Sachsenwurst und Schrippenlesung, pneumatisch-dynamische Malereien und Quellen der Kreativität schäumen.
Es wird einem angst und bange.
Wow, daß Handke in jedem Satzzeichen ganz Handke ist! Man spürt plötzlich das eigene Körpergewicht auf den Knien.
Ein Menschenfreund ist dieser Staatsfeind lange nicht. Zumindest hin- und hergerissen. Der Ungeheure braust und zischt, lässt donnernd Wogen stürzen, Holz und Sand.
Handke lehrt Verstockten Hören und Fühlen. "Die Welt, das war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." Ist das nun grotesk oder erhaben? An einem langen Wochenende auf dem Land, neben dem Kamin, ist das die allernatürlichste Sache der Welt: so einzig richtig und angemessen wie Laub harken, Holz hacken, ein Rehpfeffer zubereiten oder mit Gummistiefeln durch sumpfige Wiesen stapfen.
Der Atemrhythmus folgt dem Takt von Sätzen, das Wort gewinnt eine Griffigkeit wie Holzscheite und Eskapismus erscheint als Lebensform. Einmal heißt es gar in bosnischer Bibel: "Schert euch weg aus der Geschichte." Einmal auch Wut, das Weibszeug zu beschimpfen.
Inzwischen weiß er ein Sichauftun weißer Blüten bodennah, worin sich Bienen tummeln. Auch das wie immer Blauen, hoch und höher. Und gegen Terroranschläge einen Sarazener-Dolch, als wär das richtig zugestoßen.

Aus dem Off: "Ich habe vor langer Zeit versucht einen Text von Handke zu lesen... tatsächlich, wäre ich fast eingeschlafen dabei..."
Aber er kann auch eine Bar betreten, und schon entsteht geradezu ein Multikulti- Versöhnungstableau.  Was ihn erbost: wenn Menschen nicht erreichbar, wenn sich erschließen Verstocktheit und auch Taubheit:
"Vor langer Zeit hab ich mir vorgestellt, zu schaffen...." Dem Erzähler öffnet sich die Picardie, die ihrerseits durch Picardien streunt, ein ortlos Wesen, das sich von Früchten nährt, besonders anmutig.
So hängt die Grundlosigkeit des Geschehens zusammen mit der Verweigerung von Psychologie. Handkes Figuren haben Affekte, wohlvertraute, uralte, alleralltäglichste der Wut, des Aufschluchzen-Wollens, des Rachegelüstes, der Hoffart, ein störrisch Tautologisieren: "Die Welt war Welt, war Welt." Einmal Pizzabäcker, immer Pizzabäcker. "Zu spät wozu? Zu spät." Ein immer schwächeres Unbedingt, doch wuchtig.
Die Tautologie ist der Ort der Poesie, dort wo die Dinge selbst. Man achte nur einmal auf den souveränen Umgang mit dem Wörtchen „bekanntlich“: dem Mythos von der Wiederkehr der klassischen Gesellschaft!
Nur für Geschichte, Politik, müssen Dinge sein: "Der Historie, der sogenannten, der mit großem H entgehen Sinn und feiste Fleischermeister 'Du wirst der Liebe nicht entgehen!'" Handke tut alles, sich der Geschichte mit großem H zu entwinden. Kein Wow dem Handke? Lieber bisse er sich die Zunge ab, als ein psychologisches Motiv zu verkosten.
Oder besser gesagt: Wut, Spannungsaufbau und Entladung. Begeistrung exklusiv.
Klaus Wachowski 5.1.2018



3.1.18

Rückweg



Nach unten gehend sehe ich die runden Kronen grüner Baumgruppen. Unter ihnen leuchtet das Rot eines Ziegeldachs hervor. Und darunter ist etwas Weiß von den Mauern zu erkennen. Weit hinten unter dem Nebel breitet sich das Blau des den Himmel spiegelnden Meeres aus. 

Was hinter und über mir liegt, verliert an Gewicht und Drang. Ein leichtes Ziehen nach vorn hilft beim Gehen.

Vogelstimmen des Frühling im Januar sind zu hören, das Rascheln von Eichhörnchen und Amseln. Sei vorsichtig auf nassem Weg! 

Was war, was wird sein mit diesem kleinen Ich, das da seinen Weg geht? 

Die Einsamkeit ist eine zerbrechliche Vorstellung: von starken Bändern der Liebe wird die Angst an das Vertrauen gebunden. Der Schatten eines Verlusts schneidet ein. Erinnerung spendet Trost. Und die Schönheit der Welt zeigt sich wieder. Strahlen der Sonne, Lächeln, Berührung. 

Gerne sitze ich im Cafe' Twisting Love, sehe die Verletzlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Herzen. Angst, Niedergeschlagenheit, Verlo-renheit. Vertrauen, Selbstvertrauen, Zugewandtheit. Die Jahreszeiten der Seele. 

Dr. Smirc und Dr. Warnix überholen mich diskutierend. Wieder einmal ungleicher Meinung. Wie schön Verschiedenheit blühen kann! Jahwe heißt angeblich: das Leben. 

Die Liebe geht mit, die Dankbarkeit. Das Ja.

Von Deinem Atem getragen, schwebe ich,
bis ich den Boden berühre. 

Klaus Wachowski 3. 1. 2018

7.12.17

Aus 2011 Trauring

Ich stelle den Tisch auf die Terrasse. Du räumst die Scherben der Fenster weg. Du aber verblutest im Wüstensand.

Die Sonne scheint Frühling über Deutschland, Japan, Libyen. Und die Vögel singen aus voller Kehle Liebe.

Ich stecke die Zweige des Apfelbaums in eine Vase. Du blickst in einen Himmel voll Rauch und kreischender Erde. Du spürst heiße Tränen auf Deinem Gesicht.

Die Blumen färben die Erde ein. Gras zieht sich grün in die langen Schatten. Erste Bienen sammeln ersten Nektar.

Die Ewigkeit spiegelt sich im Augenblick. Diese Woche will sie sich Strähnen legen lassen.

Berühre und lasse berühren: Was wären all die Glück und Grauen ohne ein Du?

März 2011

22.11.17

Von alt Text 2016



Von alt
Eine schwarze schwebende Fliege an der Blüte des Engelsgrases. Zigarettenschachtel und Bierflasche habe ich entsorgt. Für Dich war es sicher okay, daß da ein Einsamer rauchte und trank.
Ich hatte heute nacht eine Szene Albtraum.
Oben im Wandschrank - er hatte ihn selbst mit Regalbrettern ausgestattet und war stolz darauf gewesen - stand der gusseiserne Bratentopf. Er fragte sich, vor wieviel Jahren er wohl zum letzten Mal genutzt worden war und wollte - warum wusste er selbst nicht - noch einmal hinein schauen. Seltsame Verschrobenheiten am Ende des Wegs! Noch einmal schaute er nach hinten zur Kellertreppe.
Zwei Bienen besuchen Deine Blumen. Sie kriechen in das volle süße Leben, während in den Baumspitzen Vögel auf sie warten. Sie zwitschern in den schönen Morgen. Die gelben Blüten des Unkrautes habe übrigens ich in die Vase gestellt. Auch Du weinst.
Er greift nach dem Topf. Das Regalbrett kippt, der Hocker wackelt. Er stürzt und ich wache auf.
Du möchtest jetzt wieder allein sein und frei. Ja, Du freust Dich über Besuch. Aber dann möchtest Du allein feiern und trauern. Wenn der Freiheit genug ist, wirst Du zu warten beginnen. Die Ewigkeit umarmt auch uns.
Einige Wichtigkeiten haben sich verloren, einige sind wieder aufgetaucht. Das Unbekannt dreht seine Runden und kommt immer öfter vorbei. Jetzt sehe ich einen großen, prächtigen Baum im Blau. Jetzt eine zerquetschte Biene auf den Weg.
Die Erinnerungen an die Kindheit, die mich lange begleitet haben, verblassen. An manchen Tagen funkeln einige noch aus der Zukunft herüber. Das Schöne: es gibt es noch. An Deiner Seite und auch manchmal im Alleinsein.
Ich habe mein Stöckchen weggeworfen. In jedem Jahr habe ich von einem Baum oder Strauch aus unserem Garten ein Stück Zweig abgeschnitten, geglättet und in die Tasche zu den Schlüsseln gesteckt. Das hatte ich in meinen 40ern begonnen, als ich mich als etwas, das auch mir gehört, entdeckt hatte. Will ich es nicht mehr haben oder brauche ich es nicht mehr? Mein Herz treibt im Nebel. Die Fragezeichen, die einst Löcher in den bleiernen Himmel geschossen hatten, liegen nun selbst schwer auf mir. Das Wasser schmeckt nach Kalklöser, der Wein ermüdet.
Hat die Provinz mich ausgespuckt oder habe ich sie von mir geworfen? Das Wort "ehrlich gesagt" ist in aller Munde. Vermutlich ist es eine Reaktion auf "Alles gut.." . Ein ebenso frecher Eingriff in die Autonomie. Ehrlich gesagt: Die Feigheit vor dem Hinaufgelangten kann mir gestohlen bleiben. Kazue (aus dem Roman "Die Geschichte einer gewissen Frau" von Uno Chiyo) spricht mir aus dem Herzen. Ich zeigte nicht besonderen Mut. Mein Vertrauen auf die Menschen kann man ebensogut als einen angeborenen Mangel an Vorsicht begreifen. Beide Sorten von Menschen gehören wohl dazu, wenn Welt schön und gut sein soll. Hier war Mut vor der Attitüde nötig! Aber da war von Feigheit zu viel! -Vanitas.
Heidegger liegt auf meinem Schreibtisch. Wozu will ich noch beweisen, daß moralische Lumperei auch an intellektuellen Mängeln erkannt werden kann? Die lächerliche Sprache des Narzißten als Indikator eines geschrumpften Herzens?
Ich lege immer noch Zettel mit meinen Texten aus. Monolog in eine virtuelle Landschaft von Kind gebliebenen Seelen hinaus. Aber eben Monolog. Nicht einmal ein verlogenes Echo tönt aus dem Dunkel zurück.
Vor den Erinnerungen, die aus diesen Blüten summen verstummt das Murren und Knurren eines lustlosen Wollens. Die Bienen summen, die Vögel zwitschern vor Erwartung eines opulenten Mahls.
Steh auf! Geh Deinen Schritt und summe mit Deinem Brummbass ein paar Strophen Sonne mit. Auch für mich.-

15.11.17

Wird scho wern, Frau Kern

Loslassen

Was heißt loslassen?! Gab es eine andere Möglichkeit?

Im Dunkel liegt ein gelbes Blatt von Platanen, von kleinen weißen Flecken bedeckt und die rote Rispe von Trauben eines wilden Weins. Das Lied flutet in Dir auf. Der Schmerz.

Ja, wir leben. Wir tasten uns vorwärts, halten uns an Pflichten, Lieben, die angstvolle Fortführung des Gesprächs. Wir spinnen den Faden weiter.

In diesem Beben stürzte alle Wichtigkeit. Unser Leben klopft aus Trümmern heraus. Wo bist Du?

Wir kriechen hervor, mit Staub bedeckt, suchen das Licht. Hoffnung, von Traurigkeit gelähmt.

Erinnerung nimmt unseren Arm. Über den aufgerissenen Straßen rascheln Blätter. Das Geräusch der Gespräche, das Plappern um die ächzend sich streckenden Bäume, es hilft.

Wie es weitergeht?

Wird scho wern, Frau Kern. Beim Herrn Horn is auch was worn.

Die Amseln singen.  

15.11.2017 Klaus Wachowski

11.11.17

Begegnung

Eine halbe Stunde Wirklichkeit

Im Halbkreis stehen 7 Kerzen bei ebenso vielen Blumengestecken. Der Raum liegt im Halbdunkel. Wir singen dünne Lieder aus Taizé, beten Ritus. Es kommt nicht darauf an. Wir sind da, wir sind angenommen. Die Glocken läuten mächtig. In dieser nassbraunen Jahreszeit ist es wie der Eintritt des Frühlings. Dann nimmt die Stille wieder den Raum ein. Die Schwere fällt ab. Es erhebt sich so etwas ähnliches wie Hoffnung.

Wenn Du willst, setz Dich her. Dort drüben kannst Du Deine Wichtigkeiten ablegen, auch für Deine Sorgen, Beffchen, Totenkopfbutton, selbstgezwirbelten Schal: im Weihwasserbecken ist noch Platz. Dies ist der Raum der Schwachen, der Mühseligen und Beladenen. Ein Schweigen gibt Dir Zeit, lässt Platz für Deine Sehnsucht und Dein Leid. Auf eine achtsame, freie Weise bist Du geborgen.  

In allen Zeiten gab es wohl solche Räume, aus denen die Religionen hervor kamen, soweit es sich bei ihnen um Äußerungen des Glaubens, nicht um Kulturmachinationen von Herrschaft handelte. Auch wer nicht an Gott oder andere zu begreifen suchende Ungewißheiten glauben kann, braucht wohl die schonende Begegnung mit anderen, ein gemeinsames Eintauchen in das Leben, gewärtig der Ewigkeit. Liebe ist eins, im Angesicht von A und O braucht es auch den Menschen.

Vielleicht aber gibt es auch tatsächlich entleertes Leben. Wie auch immer: Das Schweigen des Friedens senkt sich auf uns, erfüllt uns mit neuem Vertrauen.

Ich sage Amen und nehme etwas unwillig meine Wichtigkeiten wieder auf. Wir gehen hinaus in den dunklen Abend, durch Pfützen spritzende Autos, blinkende Hunde. Wir atmen guten Feinstaub. Am Morgen dann plötzlich Gesang einer Amsel.

Du brauchst Schutz und Shelter. Von guten Mächten wirst Du begleitet. Wenn es Dir etwas ist.

10.11.2017 Klaus Wachowski