Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

6.3.16

Wir ziehen um. Ich werfe weg.

Große Teile meiner Vergangenheit gehen durch den Schredder. Wenn mein Gedächtnis nachlassen wird, werden die Haltestangen brüchig sein.

Als professioneller Narziß schmerzt mich besonders der Verlust vieler Texte und Zeichnungen, von deren Wichtigkeit ich überzeugt war. Natürlich, das sah ich: der ganz große Wurf waren sie nicht. Aber doch wohl gegenüber der Massenproduktion mit und ohne Preis lesenswert! Inzwischen teilt meine vergangene Produktion das Schicksal jener Literatur. Auch sie ist mir ein Na-Ja.

Aber sie ist von mir und hat etwa gegenüber der Alexanderschlacht, deren Reproduktion ich in den Papierkorb versenkte, den Vorteil, dass meine Gedanken und Kugelschreiberstriche aus ihnen schimmern, während dort "nur" ein sehr gutes Abbild der Realität oder Phantasie eines Anderen spricht. Schwer, dort mein Bild von der Realität wieder zu erkennen. Ich schreddere es weg.

Stück für Stück meiner Welt bricht weg. Die Triumphe gewonnener Kämpfe, der Trost der Liebe in den Niederlagen, die schillernden Horizonte meiner Spekulationen, das, was ich mit der Welt diskutierte, disputierte, gegen sie schimpfte, im Pathos erdrückte.

Wer will schon etwas davon wissen?

Also weg damit. Die Kämpfe der Vorzeit um eine Wiederherstellung des Ich sind abgeschlossen. Ich bin gut davon gekommen. Aber mehr zu versuchen, würde eben dieses Ich an die Schattenwelt der Vergangenheit fesseln. Zwar ist die Aussicht auf die Zukunft auch nicht gerade von Licht überflutet, sie beinhaltet aber die einzige Möglichkeit zu leben, selbstverständlich zum bekannten Preis eines Abschlusses.

Es geht etwas weg. Was ist das für eine Traurigkeit? Mir fallen die Hoffnungen ein, die in den archivierten Lebensäußerungen noch vorhanden schienen und ein angenehmes Parfüm der Erwartung über den "Erfolgen" versprüht hatten.

Auch der gute Glaube schwindet mit den heimatlichen Gefühlen der Erinnerung. Das mürrische Misstrauen aus dem bitteren Fluß Erfahrung lagert sich an den Ufern der Hoffnung ab wie die Ölpest am Strand, ohne dass aus Kindheit und Jugend Erinnerungen zur Hilfe eilen könnten. Alter, nein Danke! Hilft nur phantasiegestützer Optimismus.

Schön ist aber der Verlust der Ausrufezeichen. Ich hoffe darauf, dass das Fragezeichen in mir noch lange mit dem Gesang der Frühlingsvögel um die Wette singt. Vergangenheit soll mir nicht Heimat werden.

5.3.2016

Pathos genug.

Adele singt Hallo, from the other side. Dieser junge Mann hat schon die gleichen Fehler gemacht wie ich.

Pathos ist wie eine zu dicke Umarmung. Das Gedicht kommt ohne es nicht aus. Die Welt, den Menschen, Gott, die Seele muß ich anrufen, wenn ich ihnen etwas von der Welt, den Menschen, Gott, der Seele sagen und vor allem singen will, muß. Hallo from the other side! Das kann sich auch für mich inzwischen als eine zu dicke Umarmung anfühlen. Wie dieser Text in späteren Zeiten. Manches ist zu fein ausgefeilt oder zu plump auf grob gemacht, als daß es mir noch schmecken könnte.

Aber die Haltung des über das Wunder Leben staunenden Kindes habe ich, so hoffe und glaube ich, auch in meinen zur Ideologie erstarrten Wunschträumen der späteren Jahre und in den doch auch oft zu Moralpredigten aufgequollenen philosophischen Beiträgen beibehalten. Jedenfalls kommt es mir so vor, wenn ich heute aus Platz-und Zeitgründen einiges davon der Verrottung übergebe. In diesen bewegten Versuchen der Zeichnungen, in den wuterfüllten politischen Liebesbekenntnissen jener Zeit meine ich jenen Blick des von der Schönheit der Welt begeisterten Kindes von einem Berg aus zu fühlen, den es bei einer unverhofften Öffnung der Perspektive in das von Vogelstimmen und Sonne erfüllten Rheintal hatte. (Umso schlimmer erfuhr es die Berichte und Bilder von den Gräueln).

Bemitleidenwert: Ich beweine mich sozusagen selbst an meinem Grab. Gut, dass es kein Weiterleben, nur eine materielle und energetische Umwandlung nach dem Tod gibt. Was wäre das für ein Jammern und Klagen in den aufbrechenden Hoffnungen der Frühlingsstürme! Wie schwer würde all dies Erinnern des Ich seinen Tag erdrücken, wie taub wäre es für die Stimmen der Liebe, der Vögel, der Not und der Sehnsucht from the other side.

Wie hilfreich ist das Lachen! Es nimmt all die Wichtigkeit und wirft sie in die Luft. Der Frühlingswind trägt das trockene Laub davon, mahlt es zu Staub. Achtung, Allergiker des Geschmacks! Eine Ladung verschimmeltes Pathos!
Begeisterung und Wut treiben neue Knospen zu bunten Blüten Pathos aus. Die Meisen stimmen in meine Vorfreude ein. Aber die Erinnerung an und die Freude über Dich behalte ich in den Gefühlen meines Körpers. Von hier höre ich diesen Ruf from the other side. Und wenn ich mich auch ängstlich ans Land halte, so werfe ich mich doch in die Fluten der Zukunft.

Dr. Warnix, Psychagog und ausgefuchster Paßfälscher im Nebenerwerb meint spöttisch: "Pathos, schön dick!"

*

Politische Nachbetrachtung:

Karl Kraus half mir, die Wichtigkeit der Trennung von Politik und poetischer Sehnsucht zu erkennen. Und es erscheint tatsächlich problematisch, wenn Politik sich des Pathos bedient: Das Pathos der Willkommenskultur führte direkt zur Privilegierung gegenüber unterprivilegierten Hilfebedürftigen, das Pathos des "Und -  Ich?!" zu Stacheldraht gegen die Not. Regelmäßig gehört Pathos zur Ausstattung von Herrschaftssystemen des Unrechts, während in der Republik eher die kühle Sprache der Vernunft den Interessen ein Handeln und Verhandeln erlaubt. Den Herrscher ist jedes Parlament* Quasselbude, die seine Monologe stört. Hier wäre etwas vom Pathos des Karl Kraus gegen das faule politische Pathos nötig. Aber besser doch einfacher Gebrauch der Vernunft bei Treue zum einfachen Anstand.

Die läppische Literatur aber könnte etwas mehr vom Wunder Leben pathetisieren.

*Das Wort Duma für die russische Versammlung kommt nicht vom Wort "reden", sondern vom Wort "denken". Was vordergründig vernünftiger scheint, ist es nicht. Zum Denken braucht es keinen Austausch. Viele Philosophen, Plato voran, ziehen die Diktatur "vernünftiger" Leute der kommunizierenden Republik vor, Diktatoren umgeben sich gerne mit Beratern, als könnte man damit herstellen, was freier Wille braucht. Was aber vernünftig ist, ist nicht auszumachen ohne den Austausch miteinander sprechender, nicht im Pathos gesteuert skandierender, Bürger. Die Duma sollte sich einen der Republik würdigen Namen geben.

6.3.2016

20.2.16

Einsamkeit schenken



In der Wüste

Unter weitem Himmel stehn,
Im Wüstenhorizont.

"Vögel!"
Ja, ich liebe Vögel...
Ich höre das Rieseln des Sands in den Lufttaschen.

Nur eine Stunde noch. -
Herab, herein sinkt das Schweigen.

20.2.2016



















Alt

Wer sitzt noch auf dem Regenbogen?
Wer staunt noch hinaus in die Nacht?
Wem verwandelt sich Leben plötzlich in Wunder?

Der Lehrer sagte:
"Ich stehe am Fenster und schaue hinaus.
Draußen fliegen die Schwalben..."
Ich spürte das Ziehen seiner Sehnsucht.

11.2.16

Licht in der Hoffnung

Es ist kalt und es wird Frühling. Die Meisen und die Spatzen streiten laut um die Sonnenblumenkerne. Ich stehe am Fenster im ersten Stock. Jetzt, wo ich dieses Haus verlasse, fällt es mir zum ersten Mal auf, dass ich nie mehr die Möglichkeit haben werde, sie auf gleicher Höhe, sozusagen von Du zu Du zu sehen.

Was ist das schon?

Es ist eben dieser unwiederholbare Augenblick in der Reihe der unzähligen unwiederholbaren Augenblicke, der mir die Vergänglichkeit und das Wunder des Lebens gleichzeitig vergegenwärtigt.

Vergänglichkeit heißt nicht vergeblich leben. Die Vögel zeigen es mit jeder Bewegung, mit jedem Laut rufen sie es hinaus: "Ich freue mich! Ich trauere !"
Der Wind weht endlich die Wolken weg. Sie leuchten auf in einem grellen Abendlicht.

Der alte Vertreter sagt:" Wenn ich mit Dir gehe, rede ich anders als mit X. Deine Fragen regen mich an, über das zu nachzudenken, was in und zwischen den Köpfen der Leute geschieht, die hier leben. Die Welt schaltet plötzlich das Radio Interesse ein. Erkläre Dich zum Tag! Was ist das? Welche Erklärung könnte es geben? Wie kam es dazu? Und was ist der Sinn? Vor allem aber: was sagst Du dazu?

Dann wendet sich der Weg zurück nach Hause. Und ich merke, dass ich wieder nur allein geredet habe. Es war die Freude über Interesse."

Er überschätzt sich. Könnte das Interesse nicht auch so fragen: "Ich höre ihm zu und frage mich die ganze Zeit, was denn in so einem seltsamen Kerl vor sich geht."

Mankell sieht im Lichtkegel der Straßenlaterne einen Hund auftauchen und im Dunkel verschwinden. Ein Bild von Flüchtigkeit und Schönheit der Existenz. Der Hund verschwindet im Dunkel. Aber er vergeht nicht. Hat der Atheist, der mit Unendlichkeit nichts anfangen kann, hier ungewollt ein Bild für die Gläubigen der Vorstellung von der Unendlichkeit der Seele gegeben? Und wie viele gibt es leider, Herr Kriminalschriftsteller, die im Lichtkegel der Straßenlaterne plötzlich eine Hass sprühende Fratze auftauchen sehen?

Wir reden von dem, was in und zwischen den Köpfen der Menschen geschieht, während die Meisen Frühling verkünden. Es geschieht auch der Schrecken.
Aber wir reden miteinander, um das Licht ins Gewebe unserer umeinander flatternden Hoffnungen einzuflechten.

10.2.16

4.2.16

Mankell zu Zeit und Wirklichkeit

Ich merke, dies ist eine innere Pflichtaufgabe. Irgendwie gedrechselt. Die Ansätze sind interessant, aber der Ausführung kamen wohl zuviele oder zu weit entfernte andere Gedanken dazwischen.

Zur Zeit ist das Klügste und auch Schönste von Kant und seinem Übersetzer ins Verständliche,  Schopenhauer, gesagt worden. Bei aller Anstrengung, Eigenes beizutragen, scheitert Mankell.

Das schadet nicht: ohne solche Anstrengung gibt es nur selten auch Gelingen.
Mich hat der Versuch jedenfalls zu eigenem Versuch - ohne Garantie des Gelingens - angeregt.

Was bedeutet die Zeit für Personen nach dem Schmerz?

Es scheint, als ginge die Zukunft in einen sich auflösenden Nebel ein, beleuchtet von einem oft gleisenden Licht der Erinnerungen. Und die Gegenwart erstarrt in diesem Anblick eines unbegreiflichen. Es erstaunt, aber es vertieft nicht wie das Wunder Leben, das Dir zu früheren Gelegenheiten blitzartig aufleuchtete.
Anders als Mankell, dessen Kritik wohl noch aus Animositäten der Vergangenheit her rührt, rätsle ich bei solchem Anblick über Gott.

Nicht anders als ich, denke ich, ist auch er, die Ewigkeit, Teil der Zeit. Es kommt die Zeit, da auch ich zurücksinke (hoffentlich falle oder stürze) in das Grau der Ewigkeit und in die kurzen Reste an Zeit, die in Erinnerungen der Liebenden auf das Ende warten.

Und auch hier immer wieder die Frage: diese einmalige Gelegenheit, Leben zu erleben. Wem kann ich für die Wirklichkeit dieses Wunders danken? Die Erstarrung der Gegend, die Auflösung der Zukunft im Schmerz, finden unter dem Fortgang der Zeit statt. Und all diesem, was da unter dem Himmel der Ewigkeit über mir ausgeschüttet wird, sich über mir ausschüttet, gebe ich in Ermangelung eines anderen Namens die Adresse Gott.

4.2.16

Eine Antwort des Dr. Smirc könnte lauten: Wozu willst Du danken, wo Du das Geschenk doch dem Zufall, dem Schicksal, verdankst? Und der Psychagog und Nudelsalat Dr. Warnix würde sicher etwas davon abweichendes aber vernünftiges beisteuern, etwa derart: Wenn Du nichts weiter bist als die durch alle Moleküle der Urzeit auf heute gekommene Lebenskraft X, die in eine andere Urzeit namens Zukunft sich ausdünnt, warum dankst Du nicht Dir selbst?

Ich weiß: auch nicht gerade von Klarheit oder Tiefsinn glitzernde.
Die Frage war den Versuch einer Antwort wert.

*

Ich fahre in einer grauen Atmosphäre mit dem Zug nach Hause. Es regnet, die Fenster sind beschlagen, die hereinstolpernden Schüler lustlos und erschöpft. Die Zeit vergeht. Gott sei Dank: die trüben Tage vergehen.

Altweiberfastnacht. Gott sei Dank schon abgerauscht nach Mainz.

Aber zurück in den Schmerz will auch niemand. Mankell, der seine Angst mit Fragen an die Vernunft fern hält, hilft. Gegen das Bild von bunt in schwarz, das das Wunder Leben in die Fläche eines Cartoons drückt.

10.1.16

Das Haus



Das Haus
Auch ich wollte ein Haus in der Ewigkeit. Da steht es auf fließendem Sand.
Ich versuchte die Türen mit Schlössern zu schützen. Ihr habt sie geöffnet -  von Innen.
Liebe und Ego gingen darüber hin. Nun sind die Ziegel verwittert, die Wände grau und ich habe vergessen, wo ich den Schlüssel versteckte.
Aber sieh das nachgedunkelte Bild im Flur. Es zeigt Euch fröhlich auf der Liebe unserer Sonntage, fröhlich auch hinaus springend, Euch umschauend nach neuen Wegen zum eigenen Horizont.
Nun, es muss erneuert werden. Die Bilder von den Wänden, ein neues Sofa und digital, was geht. Die neuen Frühlinge aus sauberen Scheiben zu grüßen, künftige Winter leichter zu bestehen. Aber die Bilder kommen wieder an die Wände, Eure Stimmen schwirren weiter durch den Traum.
Es ist nicht alles Pegida. Da ist auch Menschlichkeit unter Menschen. Und sie haben Telefonleitungen in die Ewigkeit gelegt, Fahrzeuge gebaut, uns auf leichte Weise wieder zu begegnen. 
Das Haus ist schon nicht mehr im Lot. Wir müssen da nichts vererben. Ihr werdet eigene Bauten errichten. Aber während der Sand schon in die unteren Räume rieselt, lassen wir die Saugroboter surren, leeren wir die Spuren der Ewigkeit in den Kompost des Heute. Bewahrend, was Erinnerung hält:
Die Freude an Euch,
die Dankbarkeit für all dies.
9.10.2016
*
Heute höre ich den Frühlingsvogel vielleicht zum letzten Mal in diesem Abschnitt der Ewigkeit. Ich ziehe an einen anderen Ort. Er singt Hoffnung. Ich höre Erinnerung.
Es ist schwer, den Raum wieder zu erweitern, nachdem der Verlust ihn in eine tiefe Nacht tauchte. Aber der Frühlingsvogel singt. Und ist es auch "nur Erinnerung", so spüre ich doch, wie das Herz sich weitet. Auch an dem anderen Ort muss ein Frühling sein. Auch an dem anderen Ort müssen Futterhäuschen an Bäumen hängen. Ich will sie füllen mit den Sonnenblumenkernen der Hoffnung. Es gibt zur Zeit 20% auf alles. Ich erwarte den Himmel neu.
Und aus dem Frühlingsvogel singt die Liebe neu, und der Schmerz versinkt in einer Flut aus hoffnungsvoller Liebe. Wir nehmen die Bilder mit. Sie zeigen an neuen Wänden in die alten Weiten.
Im Kapitel 14 seines Buches“ Treibsand“ denkt Henning Mankell anlässlich seines bevor stehenden Endes unter anderem darüber nach, wie rückwärts orientiert der Versuch ist, Atommüll vor den Augen der künftigen Generationen in unterirdischen Höhlen zu verbergen. Die Entwicklung der Vernunft war stets mit dem Aufleuchten der Sonne verknüpft, aber „diese unsere Zivilisation, die es weiter gebracht hat als alle früheren hochentwickelten Gesellschaften, hinterlässt eine letzte Erinnerung, die nur aus Dunkelheit besteht“. – Wie das weiter schwatzende Denken nach 45 die Erinnerung an die Ungeheuerlichkeiten aus den Schwelbränden der Ideologien unter den Schwemmsanden der Abwiegelung. Vergesst nicht!
Auch an unserem neuen Ort fließt der Treibsand der Ewigkeit ins Vergessen. Das Licht wird erlöschen. Aber da Nichts nicht war: warum soll Nichts je sein? So schauen wir beruhigt und froh aus glücklicher Erinnerung in die Weiten, getragen vom Gesang der plötzlich einschwirrenden Frühlingsvögel.

10.10.2016

29.12.15

Peinliches

Peinlich berührt siehst Du weg.
Ich mache Dir keinen Vorwurf,

wollte auch nicht eindringen
in die Wunde des Trauernden.

Aber glaube mir:
In den Tränen, die in die Falten der Trauer rinnen,
leuchten die schönsten und die kräftigeren Erinnerungen
der Welt unter dem Regenbogen.

Und sieh, es leuchten die Spuren der Tränen,
es leuchtet aus den Falten der Trauernden.

Und welches Glück der Unendlichkeit:
Das Fenster Leben geht auch
auf  in den Horizont Erinnerung

8.12.15

Five oder Schlehen