Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

7.1.18

Handke Wow 2



Hankewow 2, der Bergdoktor als Traumschiff
Aus welkenden Feldern des Ruhms unter Verwendung von Zitaten aus Pearsley "Im zarten Glanz der Morgenröte" und Begeisterungen zu Sloterdijk als Metier. Und was geht überhaupt mit Handke in der Obstdiebin?
Je weiter ein Gedanke von der Anschauung entfernt ist, umso weiter ist auch die Rußwolke des ihn zum Begriff verfestigen wollenden Wortes. Man greift zur hinterlüfteten Fassade der Verlagsputzer.
Der Dichter muß, um das Leben betrachten zu können, sich ein Stück daraus entfernen. Einsamkeit klärt. Aber Menschenferne zum Zweck der Heiligung eines Dünkels als höherer Wert? Narziß und Kunst?  Schminkprobleme einer Diva.
Handke bringt ein neues Make-up auf zarte Schläfrigkeit auf, um von seinem groben Schnitzer im Ethischen abzulenken. Und die Literaturroboter wedeln  Begeisterung zum Zweck der Leser-Akquise.
"Der Meister der Prosa des Augenblicks Peter Handke setzt im Roman «Die Obstdiebin» seine Suche nach dem Epos fort."  Lothar Müller.
Und der Meister des Assoziativen, Peter Sloterdijk, illuminiert das Haus der Philosophie in feurigen Farben mit hellwach zufälligen Chancen. Das Okkasionelle als Selbstentzündung.
Einer meint: "So müssen Bücher über Schriftsteller klingen! Wunderbar!"
Da findet man Abenteuer im Niemandsland zwischen Ken und Kebabismus. Wie sonst nur ehrliche Schinkenspezialitäten aus Baden-Württemberg.
Es ist nach längerem Schweigen in der Literaturnudelfaktur wieder einer von Handkes epischen Grossversuchen erschienen. Eine junge Schöne auf der Suche nach Mutter. Ein hoch gewachsenes, gertenschlankes junges Mädchen mit glänzendem Haar am Bahnhof.
Der "epische" Erzähler zeigt sich als Ideal im Brummen des Zen. Er brach aus seinem Haus in der Niemandsbucht aus, nachdem er von einer Biene gestochen worden war. Noch nie hatte er einen Hehl gemacht. Überall merkwürdige Dinge.
Mit dem landläufigen Roman hatte dieser Handke eh nichts zu schaffen. Jetzt erzählte Wolfram von Eschenbach das Mittelalter, Wahlheimat auch von Typen wie Heidegger, Franco, Orban und Karadzic. Vom großen G hatte er sich mit Grausen abgewandt. Das traf bei Sloterdijk auch beim Thema Gott zu („Nach Gott“). Die Äußerungsformen des Heiligen fallen doch ins Fach der Stress-Theorie!
Aber das Krachen eines Regionalzugs, der jäh auf freiem Feld stoppte, ließ Anschlagsangst  gleiten. "Hast du nach mir gerufen?", fragte die Hoffnung in kaltem Tonfall. Nun, nach etwa 150 Seiten verließ der Erzähler als Leibhaftiger seine Geschichte, um nur noch von einer Biene gestochener Begleiter zu sein. Ebendies war Sloterdijk effektvoll obsolet.
"Oh Magus", flüsterte es. "Es ist wie im Himmel". Sie war Wünschel, Frucht und Lesefrucht.
*
Was aber ist erzählenswert? Epos? Abenteuer? Das Einwandern durch industrialisierte Provinz in Regionalzügen, Supermärkten und Kebabideologieen zeigte Niemandsland, Metropolen und Provinzen eines Handke. Der Boden ganz mit moosgrünem Teppich bedeckt, die Wände mit einer Blumentapete tapeziert, und ein Diwan, grün gepolstert.
Wir erlebten Niemandsbucht: Genauigkeit, Kalender, Aktualitäten mythisch-zyklisch: "Diese Geschichte hat wohl... eine Biene gestochen." Wer Zehen hat, zu fühlen, mochte sich nach diesem Satz dafür verwünschen, noch nie barfuß in eine Biene getreten zu sein. Ein Auftritt, bei dem das Publikum als exklusives angesprochen wurde.
Rolf Steiner wagte nun eine unwichtige und zugleich leidenschaftliche Annäherung an einen der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Obwohl es keine Hinweise gab, ließ die kryptische Art seines Schreibens auf Freundschaft schließen.  
Er beschrieb  in einer klaren und unprätentiösen Sprache seine Liebe und Verehrung für Peter Handke — und wie er ihn am Ende >ganz zufällig< traf.
Wer, wie oder was war er? Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in ein Mittelalter des Vermeidens? Wahrscheinlich hätte man ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt, hätte er sich nicht über Thomas Bernhard mokiert. So mokiere Dich!
"Verwandlung" war das Schlüsselwort in Handkes neuem Projekt des Vergessens, wo eine Kassiererin sich in einer wuchtigen Epiphanie verwichtigte.
"Wo bist du gewesen?" jammerte eine Obstschale und wandte sich von dem Schinken ab, den sie in der Pfanne briet. Beim Anblick ihrer schwabbeligen Schenkel brach ein hysterisches Gelächter aus. Da wurde billig exklusives Hirn serviert.
 Der Autor zog sich Schrecksekunden und Gefahrenmomente ins Gehör. Ein Tritt trat auf dröhnende Kanalisationsplatten, rief im Gratiszug des greisen Priesters bei Rouen nach Versachlichung. Auch sonst kein ebendies? Nicht jede und jeder könnte Evidenzen so simsalabim auf- und wieder abbauen wie Sloterdijk! Im unsichtbaren space der Illusion.
"Du hast mich verraten!", rief der Chor. Verschleierte junge Frauen unterdrückten den Erzähler in Wutanfällen. Eine erfrischende Polemik gegen den Kurzsatzstil fühlte sich zwar schwitzig an und Herzen hämmerten. Aber das Erschrecken hatte endgültig jeden Zweifler zerstreut. Ja, der todessüchtige junge Pizzakurier geriet in Panik und Zwielicht.
Die Reise ins Landesinnere führte wie selbstverständlich auch ins Innere von Handkes Emanationen, man staunte ins Lächeln eines Lektorats.
"Was bringt dich auf den Gedanken, das hier könnte interessieren?", man konnte sich doch denken wie hier einer zu Geld gekommen war.
Nicht nur in Kärnten, sondern überall dort, wo Orden, Ehrenzeichen und Ehrenbürgerschaften ohne monetären Gegenwert vergeben wurden, stellte sich dieses Problem. Der Verstand sagte zwar, daß es normal war, derart tiefe Gefühle zu hegen. Aber wer hatte sein Buch gelesen, fand, dass er ein brillanter Geschichtenerzähler war?
Man kann Stationen folgen, aber nicht der Familienzusammenkunft einer Mutter: Ungeheuer entpuppten sich, Totenhaus und heilige Messe.
Entscheidend ist der Satzbau, der den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens in sich aufnimmt, als eine einzige lange Polemik gegen den Kurzsatzstil und den Aufstieg des Präsens als Erzähltempus in der Gegenwartsliteratur. Man findet aber auch Notizhefte vom Meister des Augenblicks.
Was will der Essay, zu dessen Großmeistern auch Peter Sloterdijk gehört, anderes sein als geistreich? Es fällt in den Worten des Magiers der Vorhang bei sprühendem Einfall.
Ist dieser Artikel lesenswert? Wer will schon drögen Rat erteilen? Eine gewaltige Orgeldichte singender Entertainer.
Der Meister der Prosa des Augenblicks setzt seine Suche nach dem Epos fort. Er findet die Abenteuer im Niemandsland zwischen Supermarkt und Kebabimbiss. Da ist viel passiert von gemeinsamer Bibel - und Luther Knete bis hin zu Konzernen.
Da gibt es Autoren. Der eine verfasst Notizen, der andere arbeitet derweil. Doch nicht der Gehalt ist entscheidend, sondern der Satzbau
So nimmt er, was ihm andere erzählt haben, und den Stoff des eigenen Lebens. Mit gespielten Widerstreben tritt er zu den Türen, die in den Obstgarten hinaus führen, nimmt einen ordentlichen Schluck von seinem Drink und lächelt in den Bienenstich.
Die Menschen verfallen in Schweigen und stolzen Löwenausdruck, entschlossen und würdevoll. Augen werden feucht. Sein Gesicht scheint einen goldenen Schlummer zu haben, als wäre es irgendwie innen. Nun ist nach längerer Zeit endlich wieder ein epischer Grossversuch erschienen. Das epische Erzählen, Ideal der Niemandsbuchteln.
An einem Sommertag im August, nachdem er von einer Biene gestochen worden ist, entscheidet sich der Satzbau, der in Appositionen und Einschüben den Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens aufnimmt. Nie hat der Autor einen Hehl gemacht. Wir erleben den Erzähler den Briefkasten entleeren und endlich einmal vom Staat verschont. Doch Unbill droht dem Müden auch der Nachbar. Ein "Krepier!" kommt ihm da von Lippen.
Mit dem landläufigen James Joyce des «Ulysses» wie vom «Mann ohne Eigenschaften» Robert Musils hat Handke sich mit Grausen ins Mittelalter der Hoffnung aufgeschirmt.
Im Krachen unterm Regionalzug gleitet jäh Anschlagsangst aus Niemandsbucht und Passagier hinauf in die Picardie.
Wolfram von Eschenbach erzählt von Ereignissen und begegnet Christen und Muslimen. Ein Handke des Minnesangs.
Aber die leibhaftige Figur verlässt ihre Geschichte für eine Art Wünschelrutengängerin, die eine Frucht pflückt wie eine Lesefrucht. Da erfindet der Erzähler Berichtenswertes in der Jetztzeit, beim Wandern durch die Metrovinzen, in Kebabmissionen, im Niemandsland zwischen Pol und Kohl.
Nur in Form der Verwandlung von Alltagsbegebenheiten in Prüfungen, Gefahrenmomente, Vermiedenes. «Verwandlung» ist das Schlüsselwort in Handkes Projekt eines neuen epischen Erzählens nach Srebrenica.
Wenn man dann im ICE weiterliest, erscheints grotesk.  Kommt H endlich in Gang? Eulenruf und Grillenzirp.
Fühlte man sich nicht von jedem Satz durchgeknetet, neu geboren? Muss man in ein Kloster, Handke zu lesen? Die zweibändige „Kritik der zynischen Vernunft“: ein Wurf!
*
Tatsächlich ist Sloterdijk als ein Entfesselungskünstler zu bestaunen. Fesseln des Belegzwangs streift er ab. Freie philologische Assoziation, fruchtbare Analogie, eine ganz eigene Erkenntnis der Grenzen in uns.
Die meisten produzieren Normaltext. Handke hingegen ist Text illusionieren und Idiosynkrasien parodieren. Dann wieder träumt er Friedensfeier, Schrecksekunden, Gefahrenmomente und die Angst greiser Priester angesichts verschleierter junger Frauen: ein Wutanfall  gegen den "lakonischen" Kurzsatzstil des Präsens.
Der todessüchtige junge Pizzakurier aber erschüttert den  Terror des Landes. Und, warum auch nicht: Man kann die Stationen dieses Buches auf der Landkarte verfolgen. Begegnungen mit einem Totenhaus von Herberge und die Teilnahme der Heiligen scheiden den Satzbau vom Rhythmus des Aufbruchs und Voranschreitens.
Man findet solche Prosa auch mal anders als der Autor glauben mag, Passagen vom Meister des Augenblicks.
Hoffnung vor der Baumschattenwand nachts findet Wolfram von Eschenbach in Frankreich im "Willehalm", dem Handke eine ausgetrocknete Motte entnimmt ("Man gesach ..."), weise wie Christen und Muslime im "Ritterlich-Chevaleresquen".
Handkes Stärke liegt in der leibhaftigen Figur, die kein Obst stiehlt, sondern Mundraub, eine Art Wünschelrute, wo sich Abenteuer episodisch reihen, wenn der Held erst einmal in der Jetztzeit, beim Wandern in Kebab-Imbissen, provoziert. Dort, in der Diskursivität, kommt dem Argument eine höhere, von zufälligen Passungsverhältnissen bestimmte Mobilität zu.
Selbst Sloterdijk, mit Frankfurtern sozialisiert, setzt Versatzstücke der kommunikativen Rationalität immer wieder gekonnt als Requisiten ein: Kanalisationsplatten krachen in Regionalzüge, Anschlagsangst gleitet in die Gratiszeitung eines  Wutanfalls und ein Pizzabote wird ununterscheidbar.
"Die Sonne ging unter. . .", sagt die riesige Uhr am Regionalbahnhof von Cergy-Saint-Christophe. Aber nicht der Gehalt der Erzählung ist das Entscheidende, ein kleiner gallischer Hahn entpuppt sich als heilige Messe. Bei Sloterdijk wird grundsätzlich alles als bekannt vorausgesetzt.
Sensationelle Ausstellungen beginnen mit Sachsenwurst und Schrippenlesung, pneumatisch-dynamische Malereien und Quellen der Kreativität schäumen.
Es wird einem angst und bange.
Wow, daß Handke in jedem Satzzeichen ganz Handke ist! Man spürt plötzlich das eigene Körpergewicht auf den Knien.
Ein Menschenfreund ist dieser Staatsfeind lange nicht. Zumindest hin- und hergerissen. Der Ungeheure braust und zischt, lässt donnernd Wogen stürzen, Holz und Sand.
Handke lehrt Verstockten Hören und Fühlen. "Die Welt, das war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." Ist das nun grotesk oder erhaben? An einem langen Wochenende auf dem Land, neben dem Kamin, ist das die allernatürlichste Sache der Welt: so einzig richtig und angemessen wie Laub harken, Holz hacken, ein Rehpfeffer zubereiten oder mit Gummistiefeln durch sumpfige Wiesen stapfen.
Der Atemrhythmus folgt dem Takt von Sätzen, das Wort gewinnt eine Griffigkeit wie Holzscheite und Eskapismus erscheint als Lebensform. Einmal heißt es gar in bosnischer Bibel: "Schert euch weg aus der Geschichte." Einmal auch Wut, das Weibszeug zu beschimpfen.
Inzwischen weiß er ein Sichauftun weißer Blüten bodennah, worin sich Bienen tummeln. Auch das wie immer Blauen, hoch und höher. Und gegen Terroranschläge einen Sarazener-Dolch, als wär das richtig zugestoßen.

Aus dem Off: "Ich habe vor langer Zeit versucht einen Text von Handke zu lesen... tatsächlich, wäre ich fast eingeschlafen dabei..."
Aber er kann auch eine Bar betreten, und schon entsteht geradezu ein Multikulti- Versöhnungstableau.  Was ihn erbost: wenn Menschen nicht erreichbar, wenn sich erschließen Verstocktheit und auch Taubheit:
"Vor langer Zeit hab ich mir vorgestellt, zu schaffen...." Dem Erzähler öffnet sich die Picardie, die ihrerseits durch Picardien streunt, ein ortlos Wesen, das sich von Früchten nährt, besonders anmutig.
So hängt die Grundlosigkeit des Geschehens zusammen mit der Verweigerung von Psychologie. Handkes Figuren haben Affekte, wohlvertraute, uralte, alleralltäglichste der Wut, des Aufschluchzen-Wollens, des Rachegelüstes, der Hoffart, ein störrisch Tautologisieren: "Die Welt war Welt, war Welt." Einmal Pizzabäcker, immer Pizzabäcker. "Zu spät wozu? Zu spät." Ein immer schwächeres Unbedingt, doch wuchtig.
Die Tautologie ist der Ort der Poesie, dort wo die Dinge selbst. Man achte nur einmal auf den souveränen Umgang mit dem Wörtchen „bekanntlich“: dem Mythos von der Wiederkehr der klassischen Gesellschaft!
Nur für Geschichte, Politik, müssen Dinge sein: "Der Historie, der sogenannten, der mit großem H entgehen Sinn und feiste Fleischermeister 'Du wirst der Liebe nicht entgehen!'" Handke tut alles, sich der Geschichte mit großem H zu entwinden. Kein Wow dem Handke? Lieber bisse er sich die Zunge ab, als ein psychologisches Motiv zu verkosten.
Oder besser gesagt: Wut, Spannungsaufbau und Entladung. Begeistrung exklusiv.
Klaus Wachowski 5.1.2018



3.1.18

Rückweg



Nach unten gehend sehe ich die runden Kronen grüner Baumgruppen. Unter ihnen leuchtet das Rot eines Ziegeldachs hervor. Und darunter ist etwas Weiß von den Mauern zu erkennen. Weit hinten unter dem Nebel breitet sich das Blau des den Himmel spiegelnden Meeres aus. 

Was hinter und über mir liegt, verliert an Gewicht und Drang. Ein leichtes Ziehen nach vorn hilft beim Gehen.

Vogelstimmen des Frühling im Januar sind zu hören, das Rascheln von Eichhörnchen und Amseln. Sei vorsichtig auf nassem Weg! 

Was war, was wird sein mit diesem kleinen Ich, das da seinen Weg geht? 

Die Einsamkeit ist eine zerbrechliche Vorstellung: von starken Bändern der Liebe wird die Angst an das Vertrauen gebunden. Der Schatten eines Verlusts schneidet ein. Erinnerung spendet Trost. Und die Schönheit der Welt zeigt sich wieder. Strahlen der Sonne, Lächeln, Berührung. 

Gerne sitze ich im Cafe' Twisting Love, sehe die Verletzlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Herzen. Angst, Niedergeschlagenheit, Verlo-renheit. Vertrauen, Selbstvertrauen, Zugewandtheit. Die Jahreszeiten der Seele. 

Dr. Smirc und Dr. Warnix überholen mich diskutierend. Wieder einmal ungleicher Meinung. Wie schön Verschiedenheit blühen kann! Jahwe heißt angeblich: das Leben. 

Die Liebe geht mit, die Dankbarkeit. Das Ja.

Von Deinem Atem getragen, schwebe ich,
bis ich den Boden berühre. 

Klaus Wachowski 3. 1. 2018

17.12.17

zu Mankell, die schwedischen Gummistiefel



"Ich hatte das Gefühl, als wurde ich erneut um das Haus herumwandern. Die gesammelten Abdrücke des Le-bens mehrerer Generationen waren innerhalb einiger kurzer nächtlicher Stunden ausgelöscht worden. Unsichtbare Spuren von Bewegungen, Worten, Schweigen, Sorgen, Schmerzen und Lachen waren verschwunden. Auch das Unsichtbare kann zu Asche und Ruß werden."
*
Mankell beschreibt hier Alter und Verlust. Die Angst sagt Dir:  Du wirst alles verlieren. Die Todesfurcht dreht Dir den Kopf um: Sieh den schönen Weihnachtsmarkt Deines Lebens!
Es nimmt Dir zuerst die Namen und Begriffe, dann die Erinnerung. Dein Haus, die Spuren zur Beglaubigung der Vergangenheit sind verwischt. Du weißt, es war etwas, da doch Asche ist. Und: Das Schöne, das Dich begeistert, Du warst ihm schon begeistert begegnet.
Und dann: "Das Altern kam wie ein Nebel der Stille übers Meer herangezogen.
Ein Leben lang sammelt man Müll von dem niemand etwas braucht.
Die Nacht war still. Herbstnächte hat es immer gegeben und Herbstnächte würde es auch geben, wenn ich verstorben wäre.
Ich war ein zufälliger Gast in der Dunkelheit und würde nie etwas anderes sein."
Sätze, aus denen mitten im Leben erzählen das Erkennen bricht.
Mankell scheint in den "schwedischen Gummistiefeln" die  Handlung dazu zu nutzen, um seine Einsichten in Leben und Alter mit dem weichen Stoff eines Romans zu polstern oder darunter zu verbergen.
Mir ist es recht. Ich bin schon immer gern mit älteren Brüdern durch meine Zeiten gegangen*.Und etwas Organisches aus dem Leben zwischen den metallischen Architekturen der Gedanken macht es schön.
Ich habe diese Wutausbrüche, die Mankell erwähnt,  nicht und an Panikatacken kann ich mich nicht erinnern. Aber mancher Alte berichtet davon. Und ich teile das Bewusstsein von zunehmender Schwäche, Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit, Vereinsamung in den Bezügen. Herausforderungen beschränken sich auf das Bewahren erreichter Fertigkeiten. Wie lange wird es noch dauern, bis auch ich unter den Patiencen, die ich spiele, die mit dem Namen "Idiot" wähle? Das Werkzeug wird schwerer, die Aufbau - Anleitung chinesischer.
Gut zu sehen, wie ein anderer seinen Weg geht.
Aber noch steht das Haus, noch fühle ich in mir Verantwortung und Stolz genug, die Schäden selbst zu reparie-ren. Auch will Ich will noch schmücken mit all dem Müll, den wir freudig zusammen kauften, erstellten, „er-schufen“ pp. Und ich lege eine extra Rasur ein, wenn Gäste kommen.
Und unerwartet schön, den Jungen und Kindern zuzusehn. Auch das begegnet dem Alten in den Schären.
*
Weiter hinten in der Lektüre:
Mankell in den schwedischen Gummistiefeln geht auch auf seine misslungenen sexuellen Versuche ein. Bogen-schießen: Denken stört Handeln.
Am weitesten von der Berührung ist der Gedanke entfernt. Es gibt kein Verstehen, wo alles Fühlen will. Daher wohl auch die vielen Hinweise auf die Sehnsucht nach Berührung in Texten von Literaten des Denkens. Ob Liebe oder Sexualität, der Verstand ist von beidem so weit entfernt wie das Auge vom sexuellen  Zentrum.
Mit dem Denken aufhören hilft nicht. Vielleicht Buddhismus: mit dem Denken wollen aufhören. Aber der will ja auch mit dem Freude wollen aufhören...
Die 68er haben aufgesteckt: die sexuelle Befreiung ist in ideologischen Wogen und einer trüben Suppe von Wellness ersoffen.
*
Vielleicht ist die Wut, die Mankell in sich spürt, die gleiche Wut, die ich auf andere Personen in mir transportiere. "Stimmen aus der Vergangenheit". Im Alter beginne ich aber auch mit fremden Personen zu schwätzen, was ich bisher hasste.
"Wie sollte ich mit all dem fertig werden, mit meinem Alter, einem niedergebrannten Haus und dem Empfinden, in einem Niemandsland zu leben in dem keiner nach mir fragt?" Eine enttäuschte Sehnsucht, die die hoffende aus früheren Tagen abgelöst hat. Aber Sehnsucht.
*
"Im Grunde hatte Janson Angst vor mir. Nicht nur vor mir, sondern vor allem. Sein ständiger Wunsch, zu helfen und sich nützlich zu machen, übertüncht seine Sorge, unseren Unwillen auf sich zu ziehen. Er fürchtet, wir könnten seiner überdrüssig werden und nicht mehr von uns hören lassen, wenn wir Hilfe brauchen." 
Woher dieser Unglaube bezüglich der Uneigennützigkeit des Helfenwollens?
Alter mag desillusionieren. Ich glaube aber, daß das allseitige Misstrauen des Alters nicht weniger trügerisch ist als das Welt umspannende Vertrauen der Jugend. Natürlich macht das Helfen auch den Helfer glücklich im Gefühl, menschlich gewollt zu haben. Aber Ziel Deines Handelns ist nicht dieses eigene Wohl, sondern das des, der anderen.
Es bleibt wie vieles an der Seele Glaubenssache: Was ich selbst noch nicht gefühlt habe, kann ich nicht "wissen". Selbst was ich gefühlt habe: will oder kann ein anderes Ich es auch fühlen? Daß das "Ich- noch - einmal" ein Ich ist und auch fühlt wie ich, ist eine weit verbreitete Spekulation aus angeborenem oder anerzogenem Glauben, ebenso wie die seltener verbreitete, aber mit jedem negativen Erleben mehr befestigte aus dem Egoismus, der ja auch seinen angestammten Platz in uns hat.
Im Alter, der Zeit des Verlusts von Welt, bist Du immer mehr von unbekannten Personen umgeben und auf sie angewiesen. Das Vertrauen in die Uneigennützigkeit hat einen schweren Stand gegen das Mißtrauen. Zu Recht? Du hast Dich verändert, nicht die Welt.
Mankell mag darauf einwenden: "Nicht die Welt? Aber doch die Umwelt!" Und: "Ich bin anders? Aber vielleicht habe ich gerade deshalb den klareren Blick!"
*
„Ich fürchte, ich fühle einen hoffnungslosen und im Grunde irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben werden, wenn ich tot bin. Dieser Gedanke beschämt mich genauso, wie er mich erschreckt. Ich verdränge ihn. Aber trotzdem führt er immer öfter zurück, je älter ich werde. Ich frage mich, ob ich dieses Gefühl mit anderen Menschen teile. Ich weiß es nicht und werde das auch niemals ansprechen. Aber dieser Neid ist meine tiefste Dunkelheit. Kann ich wirklich der einzige sein, der so empfindet?"
Hier, denke ich, konstruiert Mankell.
Ich glaube nicht, daß irgendeine Erfahrung so stark ist, den Egoismus so sehr zu blenden, daß er die neidische Betrachtung aller anderer Existenz zu einem Grundmotiv des eigenen Handelns machen kann. Der Selbstmörder, der das Flugzeug in den Berg lenkt, denkt nicht einen Augenblick an die anderen, der Mörder ist vielleicht neidisch auf seine Opfer, aber auch er hat kein (neidisches) Interesse an den übrig bleibenden, nur weil sie leben. Leben hast Du nicht, daher hat der Neid kein Interesse am Vernichten des Lebens. Leben lebst oder erleidest Du. Es gibt ausreichend Gründe, es zu lieben und zu hassen, keinen, es zu neiden.
Aber auch hier: Wenn Du persönlich so einen seltsamen Neid spüren solltest, dann bist Du auf eine seltsame Weise erleuchtet. Und mußt mit der damit einher gehenden Einsamkeit vorlieb nehmen. Ich kann sie nicht teilen.
*
"Manchmal glaube ich das gefürchtete Tor öffnet sich langsam vor mir. Eines Tages werde ich in das Land eintreten, indem das Gedächtnis vom Vergessen verschluckt wird." -
O Tannenbaum, lassen wir die Zeit, ihren „Treibsand“ (Mankells letztes Buch) herbei wehen. Sehen wir hinauf in die Lichter des Himmels, hinüber in das Lächeln der Lieben. Und genießen wir die leichten Wasser des Denkens von Mitbewohnern dieser wunderlich beleuchteten Nacht, die gerne sich Gedanken machen.  

Klaus Wachowski 15.12.2017

* Von Gott, Jesus habe ich eher das Gefühl, sie seien jüngerer, nicht belehrender,  Bruder

7.12.17

Aus 2011 Trauring

Ich stelle den Tisch auf die Terrasse. Du räumst die Scherben der Fenster weg. Du aber verblutest im Wüstensand.

Die Sonne scheint Frühling über Deutschland, Japan, Libyen. Und die Vögel singen aus voller Kehle Liebe.

Ich stecke die Zweige des Apfelbaums in eine Vase. Du blickst in einen Himmel voll Rauch und kreischender Erde. Du spürst heiße Tränen auf Deinem Gesicht.

Die Blumen färben die Erde ein. Gras zieht sich grün in die langen Schatten. Erste Bienen sammeln ersten Nektar.

Die Ewigkeit spiegelt sich im Augenblick. Diese Woche will sie sich Strähnen legen lassen.

Berühre und lasse berühren: Was wären all die Glück und Grauen ohne ein Du?

März 2011

22.11.17

Von alt Text 2016



Von alt
Eine schwarze schwebende Fliege an der Blüte des Engelsgrases. Zigarettenschachtel und Bierflasche habe ich entsorgt. Für Dich war es sicher okay, daß da ein Einsamer rauchte und trank.
Ich hatte heute nacht eine Szene Albtraum.
Oben im Wandschrank - er hatte ihn selbst mit Regalbrettern ausgestattet und war stolz darauf gewesen - stand der gusseiserne Bratentopf. Er fragte sich, vor wieviel Jahren er wohl zum letzten Mal genutzt worden war und wollte - warum wusste er selbst nicht - noch einmal hinein schauen. Seltsame Verschrobenheiten am Ende des Wegs! Noch einmal schaute er nach hinten zur Kellertreppe.
Zwei Bienen besuchen Deine Blumen. Sie kriechen in das volle süße Leben, während in den Baumspitzen Vögel auf sie warten. Sie zwitschern in den schönen Morgen. Die gelben Blüten des Unkrautes habe übrigens ich in die Vase gestellt. Auch Du weinst.
Er greift nach dem Topf. Das Regalbrett kippt, der Hocker wackelt. Er stürzt und ich wache auf.
Du möchtest jetzt wieder allein sein und frei. Ja, Du freust Dich über Besuch. Aber dann möchtest Du allein feiern und trauern. Wenn der Freiheit genug ist, wirst Du zu warten beginnen. Die Ewigkeit umarmt auch uns.
Einige Wichtigkeiten haben sich verloren, einige sind wieder aufgetaucht. Das Unbekannt dreht seine Runden und kommt immer öfter vorbei. Jetzt sehe ich einen großen, prächtigen Baum im Blau. Jetzt eine zerquetschte Biene auf den Weg.
Die Erinnerungen an die Kindheit, die mich lange begleitet haben, verblassen. An manchen Tagen funkeln einige noch aus der Zukunft herüber. Das Schöne: es gibt es noch. An Deiner Seite und auch manchmal im Alleinsein.
Ich habe mein Stöckchen weggeworfen. In jedem Jahr habe ich von einem Baum oder Strauch aus unserem Garten ein Stück Zweig abgeschnitten, geglättet und in die Tasche zu den Schlüsseln gesteckt. Das hatte ich in meinen 40ern begonnen, als ich mich als etwas, das auch mir gehört, entdeckt hatte. Will ich es nicht mehr haben oder brauche ich es nicht mehr? Mein Herz treibt im Nebel. Die Fragezeichen, die einst Löcher in den bleiernen Himmel geschossen hatten, liegen nun selbst schwer auf mir. Das Wasser schmeckt nach Kalklöser, der Wein ermüdet.
Hat die Provinz mich ausgespuckt oder habe ich sie von mir geworfen? Das Wort "ehrlich gesagt" ist in aller Munde. Vermutlich ist es eine Reaktion auf "Alles gut.." . Ein ebenso frecher Eingriff in die Autonomie. Ehrlich gesagt: Die Feigheit vor dem Hinaufgelangten kann mir gestohlen bleiben. Kazue (aus dem Roman "Die Geschichte einer gewissen Frau" von Uno Chiyo) spricht mir aus dem Herzen. Ich zeigte nicht besonderen Mut. Mein Vertrauen auf die Menschen kann man ebensogut als einen angeborenen Mangel an Vorsicht begreifen. Beide Sorten von Menschen gehören wohl dazu, wenn Welt schön und gut sein soll. Hier war Mut vor der Attitüde nötig! Aber da war von Feigheit zu viel! -Vanitas.
Heidegger liegt auf meinem Schreibtisch. Wozu will ich noch beweisen, daß moralische Lumperei auch an intellektuellen Mängeln erkannt werden kann? Die lächerliche Sprache des Narzißten als Indikator eines geschrumpften Herzens?
Ich lege immer noch Zettel mit meinen Texten aus. Monolog in eine virtuelle Landschaft von Kind gebliebenen Seelen hinaus. Aber eben Monolog. Nicht einmal ein verlogenes Echo tönt aus dem Dunkel zurück.
Vor den Erinnerungen, die aus diesen Blüten summen verstummt das Murren und Knurren eines lustlosen Wollens. Die Bienen summen, die Vögel zwitschern vor Erwartung eines opulenten Mahls.
Steh auf! Geh Deinen Schritt und summe mit Deinem Brummbass ein paar Strophen Sonne mit. Auch für mich.-

15.11.17

Wird scho wern, Frau Kern

Loslassen

Was heißt loslassen?! Gab es eine andere Möglichkeit?

Im Dunkel liegt ein gelbes Blatt von Platanen, von kleinen weißen Flecken bedeckt und die rote Rispe von Trauben eines wilden Weins. Das Lied flutet in Dir auf. Der Schmerz.

Ja, wir leben. Wir tasten uns vorwärts, halten uns an Pflichten, Lieben, die angstvolle Fortführung des Gesprächs. Wir spinnen den Faden weiter.

In diesem Beben stürzte alle Wichtigkeit. Unser Leben klopft aus Trümmern heraus. Wo bist Du?

Wir kriechen hervor, mit Staub bedeckt, suchen das Licht. Hoffnung, von Traurigkeit gelähmt.

Erinnerung nimmt unseren Arm. Über den aufgerissenen Straßen rascheln Blätter. Das Geräusch der Gespräche, das Plappern um die ächzend sich streckenden Bäume, es hilft.

Wie es weitergeht?

Wird scho wern, Frau Kern. Beim Herrn Horn is auch was worn.

Die Amseln singen.  

15.11.2017 Klaus Wachowski

11.11.17

Begegnung

Eine halbe Stunde Wirklichkeit

Im Halbkreis stehen 7 Kerzen bei ebenso vielen Blumengestecken. Der Raum liegt im Halbdunkel. Wir singen dünne Lieder aus Taizé, beten Ritus. Es kommt nicht darauf an. Wir sind da, wir sind angenommen. Die Glocken läuten mächtig. In dieser nassbraunen Jahreszeit ist es wie der Eintritt des Frühlings. Dann nimmt die Stille wieder den Raum ein. Die Schwere fällt ab. Es erhebt sich so etwas ähnliches wie Hoffnung.

Wenn Du willst, setz Dich her. Dort drüben kannst Du Deine Wichtigkeiten ablegen, auch für Deine Sorgen, Beffchen, Totenkopfbutton, selbstgezwirbelten Schal: im Weihwasserbecken ist noch Platz. Dies ist der Raum der Schwachen, der Mühseligen und Beladenen. Ein Schweigen gibt Dir Zeit, lässt Platz für Deine Sehnsucht und Dein Leid. Auf eine achtsame, freie Weise bist Du geborgen.  

In allen Zeiten gab es wohl solche Räume, aus denen die Religionen hervor kamen, soweit es sich bei ihnen um Äußerungen des Glaubens, nicht um Kulturmachinationen von Herrschaft handelte. Auch wer nicht an Gott oder andere zu begreifen suchende Ungewißheiten glauben kann, braucht wohl die schonende Begegnung mit anderen, ein gemeinsames Eintauchen in das Leben, gewärtig der Ewigkeit. Liebe ist eins, im Angesicht von A und O braucht es auch den Menschen.

Vielleicht aber gibt es auch tatsächlich entleertes Leben. Wie auch immer: Das Schweigen des Friedens senkt sich auf uns, erfüllt uns mit neuem Vertrauen.

Ich sage Amen und nehme etwas unwillig meine Wichtigkeiten wieder auf. Wir gehen hinaus in den dunklen Abend, durch Pfützen spritzende Autos, blinkende Hunde. Wir atmen guten Feinstaub. Am Morgen dann plötzlich Gesang einer Amsel.

Du brauchst Schutz und Shelter. Von guten Mächten wirst Du begleitet. Wenn es Dir etwas ist.

10.11.2017 Klaus Wachowski

20.10.17

Noch einmal Houellebecqs Schopenhauer

Artikel "die dunkle Seite" über Houellebecqs Schopenhauer in der FAZ

Sehr geehrter Herr Dr. Pornschlegel.
Einen Nietzscheaner mit Schopenhauer gleichsetzen!
Das ist Trump als Merkel.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wachowski

Sehr geehrter Herr Wachowski,
haben Sie vielen Dank für Ihre Lektüre und ihren Kommentar, dessen Prämisse ich allerdings nicht teile.
Herzlich
Clemens Pornschlegel 

"Man mag sich die narzisstischen Leiden lieber nicht vorstellen, die Houellebecqs Erfolg in manchen Netzwerkern ausgelöst hat." - Ich hoffe, daß ich damit gemeint bin.

Besonder kenntnisreich in Schopenhauers Philosophie scheint das Feuilleton nicht zu sein.

Die dunkle Seite (8.10.17 FAZ)

"Michel Houellebecq hat ein Buch über Schopenhauer geschrieben und begegnet der grausamen, tragikkomischen WeIt wie dieser mit interesselosem Gleichmut."

Wer außer Houellebecq lebt in einer "tragikomischen" Welt? Auschwitz ist es nicht, Srebrenica, Ruanda. Nichts daran ist tragisch, alles Grauen. Und was ist komisch am Ich-Ich auch der Literaten, wo ihnen der Erfolg klingelt? Wäre sie doch komisch: für interesselosen Gleichmut gäbe es kein Motiv.

Eine Zumutung für Schopenhauer. Dessen Mut war nicht Gleichmut und das Gegenteil von interesselos. Er wollte wissen. Was er wohl mit H gemeinsam hat. Nur: er kam -mit Kant- etwas weiter. Der Gleichmut des H zeigt sich weniger gegenüber dem Leben als gegenüber den Menschen, soweit sie in seinem Büchern überhaupt als solche zu erkennen sind. Geht das Lob Schopenhauers auf die Menschlichkeit (Über die Grundlagen der Moral), ist Hs bevorzugtes Thema Sex, Angst, Züchtung des Menschen, Sehnsucht nach dem Privileg, kurz der nietzscheanische Denkkreis um Herrschaft und Lust des Allzumenschlichen. Soweit müsste ein Feuilleton der F.A.Z. in Schopenhauers Stadt schon unterscheiden können. Aber da ist kein Ranicki mehr.

"Wie könnte man sich eigentlich nicht ekeln vor dem Triumphgeheul des Willens zur Macht? Vor Hunden, die nicht anders können als zu beißen und zu fressen — und die Schopenhauer zuweilen auch "Mensch“ nennt?"

Triumphgeheul des Willens zur Macht? Den Nietzsche so überschwänglich feierte? Also Nietzsche als Kläffer statt Pudel Atma, den er nach Pornschlegel wohl auch Mensch nannte?

"Was Houellebecq als den Grundzug der Gegenwartskultur ausmacht: Mittelmäßigkeit. ...
Deswegen tragen den Sieg dort aber auch, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß, „nahezu antriebslose, zum loser geborene Nieten davon“, die das Vermögen zur „passiven und gleichsam gefühllosen Betrachtung “ haben." 
Habe ich den Mann von den anderen Prämissen doch recht verstanden: H als zum Loser geborene Niete aus eigener Erfahrung? Bei solchem Bekenntnis bleibt dem Netzwerker nichts eigenes beizusteuern. So hat hätte er es nicht ausgedrückt.

Die Vielleicht schönste Passage des Schopenhauer—Essays findet sich-für den Beiträger der F.A.Z.- "auf Seite neun. Houellebecq schreibt dort: „Oft bin ich versucht zu denken, dass auf intellektueller Ebene seit 1860 [dem Todesjahr Schopenhauers] nichts mehr passiert ist. Es zerrt allmählich an den Nerven, in einer Ära der Mittelmäßigen zu leben, umso mehr, wenn man sich selbst außerstande sieht, das Niveau wieder anzuheben.

Überhaupt gefällt fortschrittlichen Kneipenphilosophen bei Schopenhauer regelmäßig das Schimpfen am besten. Das Werk selbst, die Übersetzung der Erkenntnisse Kants ins Verständliche, ist ihnen zu schwer. Sie wüssten danach, dass die Philosophie der Erkenntnis nach Schopenhauer abgeschlossen ist und "neue" philosophische Gedanken sich im Allotri von Parerga und Paralipomena erschöpfen, wenn es gut geht.

Ich werde gewiss keinen einzigen neuen philosophischen Gedanken hervorbringen; in meinem Alter hätte ich sonst wohl schon entsprechende Anzeichen zeigen müssen. Aber ich bin mir fast sicher, dass ich bessere Romane hervorbringen würde, wäre das geistige Klima um mich herum nur ein wenig fruchtbarer.“"

Er strengt sich redlich an, auf die anders schreibende Konkurrenz zu schimpfen, die sich seinen Win-win Phantasien des dick in die Lust geschmierten Vorurteils versagt. Er wird vermutlich auch in seinem Alter keinen tauglichen philosophischen Gedanken mehr weder hervorbringen noch nachvollziehen. Eine sarrazinsche Mediokrität zeigte sich schon in den Züchtungsphantasien der Elementarteilchen.

Und möglicher Weise ist das geistige Klima um ihn herum tatsächlich nicht fruchtbar. Das dürfte zum einen nun doch mit ihm in Zusammenhang stehen, zum anderen kommt es für ein berührendes - was meint er wohl mit "besseres"? - Schreiben ganz wenig auf irgendein geistiges Klima, ganz viel aber -übrigens auch nach Schopenhauer- auf gelebtes und gefühltes Leben an, das kein Plot - Automat ersetzen kann.

Ich glaube, dass hier ein Forschertemperament durch eine Internatserfahrung in das Fach Literatur gedrängt wurde.  Die falsche Sparte .Seinen Erfolg hat nicht er zu verantworten, sondern eine ebenfalls gelangweilte, ebenfalls im falschen Leben gelandete Leserschaft der Diva, der die Welt Liebe peinlich ist gegenüber der Möglichkeit als Elite auf dem Rücken von Massen Wettrennen um Aufmerksamkeit zu veranstalten. "Fabrikwaare der Natur", damit meint Schopenhauer gerade eine Intellektualität, die dem Ruhm hinterher rennt, statt sich aufmerksam und ernsthaft dem Leben zu widmen.
Es zerrt nicht mehr an den Nerven. Die Aussicht geht ins Tor zum Nichts.

*
Ich denke bei H an einen ebenfalls narzißtischen Freund, der von Anarchismus zum esoterischen Reichsbürger gekommen ist.

Eigentlich sind es doch auch meine Leute.

Der eine verunglückt im Ruhm und tröstet seine Einsamkeit mit Bespöttelung des und mit Züchtungsphantasien über den Menschen. Der andere ging die Guru-Meile vom Anarchoaktivisten über eine katholische Sekte ins Reich der Verdrossenen. Sie wissen: man mag sie lesen oder nicht, ihr Wort ist verloren. Botschaften auf dem Kunststoffputz einem Betoninteresse. Wohin stirbt man aus dem Elfenbeinturm? Der Porsche, die Sänfte steht bereit.

H schreibt an einem langen Lappen und wird berühmt, weil er die 68er beschimpft, deren Ideale von den literarischen Cliquen nach Besetzung einträglicher Posten verraten wurden. Diese fühlen sich entlastet. Mer lacht aus der Villa Massimo. Das Sterben im Mittelmeer geht weiter.

X wird vom Bürgeraktivisten zum religiösen Fanatiker, Guru des Cohumeini Lorber und zieht in das Paradies einer Erdhöhle. Und plötzlich nimmt sein unablässiger Kampf gegen Gesetze und Gerichte die Physiognomie eines von Haß verzehrten Reichsbürgers an.

Narzißmus. Das Thema war Zugehörigkeit. Verstehst du das Wort, dass Du sagst, der du so fern wohnst den Herzen? Wer hat dir das Vertrauen zerschlagen?

Mich hat die Liebe ins Leben gestürzt und auch Pflichten und Wertentscheidungen ausgesetzt, denen ich mit Schreiben nicht entkommen konnte. Mit der Folge eines Wegs und mancher Bücher des Ungewissen.

Ich kann mich nicht zum Pharisäer aufschwingen, denn ich bin wie sie. Und mein Glück wurde mir von anderen Händen. In den Zäunen der Wirklichkeit sang ich. Die Weiten der Relativitätstheorie gekrümmter Räume der Phantasie konnte ich nicht durchmessen. Es blieb 3D, auch mit Gott.
*
Es ist Herbst. Ein gelbes Blatt fällt, drei, mehr gelbe Blätter fallen in den Dobel. Unsere Wichtigkeiten zerfallen.
Dr. Smirc meint,  "Sieh mal, was ärgert Dich ein fauler Ruhm? Die letzten Tage sind zu wertvoll, um sich über im Pflaster lärmende Dosen aufzuregen. Bleibe bei Dir, Liebe, Leid, Not, Glück und dergleichen. Schwer genug. Schön und leidvoll genug.

Was erzählt P für Fakes von 68? War er dabei an der Musikbox? Ich habe ihn nicht gesehen. Und jener, der jetzt lacht, wo er früher lechzte? Was mehr hat er verstanden als Ich-Ich, wo das Du vertraute? Einen Jux hat er sich gemacht. Jetzt macht er sich eine Wut von gehobener Pegida.

Ich komme aus einem norwegischen Kirchenlied. Gewundene Pfade, Schatten und Licht. Wie lange noch zum Ende von Sehnsucht und Trauer, Angst und Vertrauen, Ich und Du? Um die Ecke steckt ein Du die Hand aus. Wir sind unter Sternen, meinten die alten 68er. Die Freunde, die nun zitternd in der S-Bahn love und peace nachtrauern, lächerlich lächelnd unter schütterem Haar. So auch ich, noch ein wenig rüstig.

Ist das mit den Sternen egal, wie H meint, oder ein Auftrag zum Haß nach X? Gott streut neue Fragezeichen aus. Eines davon stecke ich in die Tasche. Offensichtlich ist das noch nicht das letzte Hemd.

Soll ein Nietzsche sich doch den Schopenhauer machen, ein Trump die Merkel, ein Reichsbürger den Jesus, ein Feuilleton Segnung des Herrn. Ich mähe keinen Acker mehr auf Glatze. Ich nehme meinen Wanderstock als Stecken und Stab und gehe den Rest eigenen Wegs.

SGw.

20.10.17





17.10.17

Handke-Wow

Handke-Wow, die Logik des freien Marktes

Versuch über einen Schmarren. Wäre es doch ein Narr! Sein Ehrgeiz geht jedoch auf eine weiße Jacke.

Alle sind schon in der Welt. Nur Handke und Houellebecq liegen noch ing den zerfallenden Räumen eines ehemaligen Internats und warten auf die Rückkehr eines Publikums aus pubertären Mitschülern und kratzigen Lehrern. Der eine versucht mit Oberlehrer Goethe, der andere spekuliert auf Schopenhauer. Jean Paul ruft: "Der Ich kommt! "

Dr. Smirc: "Ich stelle mir doch keinen Handke ins Regal!  Eine auf Narziß gezogene Internatsliteratur? Kann mich selber langweilen. Ja früher, da war er mir ein von fern betrachtetes sympathisches Egal. Man fühle sich ja wohl unter. Aber seit er an Erdbeeren in Srebrenica roch, und vom Völkermörder Slibowitz nahm: geschenkt!"

Dr. Warnix, Psychagog und montenegrinischer Quadratschädel: "Aber seine Werke seien doch gewaltig!"

Dr. Smirc: "Scholastisches Dämmmaterial zum Warmhalten der Aufmerksamkeit. Das hätte nie gereicht, irgendwo unterzukommen. Ruhm? Verkauf? Preise der höchsten Lobredner? Das ist sind trumpsche Kategorien. Wie solls schon gelingen?! Verlagsgeschäft: Von Geld beschalltes Geldmachen, Interesse wenden in  Schafskopfbegeisterung. Wo war das Echo aus der Wirklichkeit von denkenden Lesern? Wer hat das ganze Styropur nur gekauft und gekaut, statt sogleich verschenkt?"

Und tatsächlich: mir geht es fast genau so. Lese ich mal über die Sätze (nicht gekauft, nur betrachtet!) eines Internatsschülers, der etwas schräg gebildetes für die Abi-Post schreibt, na ja: inzwischen gibt es Massen davon.
Ja damals, da war Ich-Ich noch Avantgarde, die Unzufriedenheit des begabt gewollten Kindes mit dem Leben als - Leben. Das verlorene Paradies der Anbetung, in der Folge: Guru und eingeschnappt, ein ums Frustra herum strukturiertes Wertesystem.

Das gab's öfter, Nietzsche, Houellebecq pp. Trump macht's für den Proll.

Dr. Warnix, Psychagog und larmoyant begeisterter Poetik-Coach: "Seid doch nicht so verbissen! Für Neid gibt's keinen Grund: Ihr wisst doch, was er sich eingekauft hat: dröges Erwachen nach Spaßbädern der narzißtischen Beziehungspflege. Jahrzehnte des Gähnens.

Der hatte doch nicht mehr und bessere Zeit zum Denken und Schreiben als Du, brauchte Connections, Pflege der Literatenkonkurrenz, Kratzen an Verlagstüren. Was war da - frei? Und wer will das noch wissen nach Milosevic? Zuviel Schmock für Ewigkeit!

Still ist es geworden. Nicht im gesponserten Markt, aber im Interesse. Der Sonnenschein liegt träge auf dem Boden. Leonce schaut auf zur seufzenden Ermüdung. Es grassiert ein entsetzlicher Müßiggang. Sie schreiben und schnarchen und kitzeln den Bart der Depression aus langer Langeweile. Und das ist der Humor davon: Alles mit den wichtigsten Gesichtern.

Sie stülpen sich 24 mal am Tag herum wie Handschuhe und finden eine Menge Lau. O, wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Grad oder Ungrad: der Mann hat den Büchner-Preis bekommen. Ja da sitzt ne Fleig an der Wand - der stillen Orte starken Wirkens.

*
Löse Dich von Deinen Albträumen

Keine Sehnsucht haben. Und was ist Sehnsucht gegen Trauer?

Ich gehe mit Richard zu seinem Grab. Hinter der Trauer beginnen erste Erinnerungen zu glimmen. Wir lachen und weinen.
Voll Freude und Sehnsucht springt man durch die Literatur. Hei! Was ist das? So weich. Fast wäre ich gefallen. Vermodertes Papier. Gespinste aus einem Hirn gesponnen, ein Kokon Leere.

Er geht hinaus, um ein Experiment mit dem Leben zu machen. Grabschen nach Was und Wirklichkeit. Das mag das Lebensgefühl von vielen Menschen widerspiegeln und deshalb, unterstützt von einem gewaltigen Reklameapparat, tatsächlich - zumindest anfänglich - interessiert und sogar gern gelesen und verschenkt werden. Die Zuversicht zu Großem (Brief Sept 1977 an Unseld): Auf dem Schaukelpferd das Ich bin schon groß.

Es ist wie bei den Wahlen: die gähnende Mehrheit wird bei den Erfolgszahlen des Verkaufs nicht mitgezählt. Und so glaubt er selbst an Bedeutung. 
*
Aus höheren Sphären in stille Orte zurück riechen, ins Internatskloins, ins alles egal. Die Angst vor Berührung durch Lebendes: in der Herrschaft bekommst Du sie unter Kontrolle.

Ein Jean Paul, eine Virginia Woolve, ein Robert Walser würden unter solchen Verhältnissen keinen Verlag finden. Thomas Bernhard, ein Glücksfall der Ausnahme.

Muss ich untersuchen, was andere zu sich nehmen? Junkfood war es wohl nicht. Aber food?  Es hat so etwas von Plastik oder Silikon, zerfällt in Millionen luftiger Kügelchen, versuchst Du, es zu öffnen. Es ist nicht mehr drin als das Außen verspricht. Ein Handschuh 24mal umgestülpt.

Vielleicht aber habe ich einen zu ideologischen Haß, weil für mich die Menschen, die er in Pappfiguren umschreibt, dazu gehören.

Ein Sanitätswagen fährt vorbei. Das Martinshorn schreit Tod. An der Regenrinne befingert ein Poet verzückt eine Barockzocke. Warum erhebe ich mich nicht über dergleichen Leute aus der Zeit von Goethe, Jean Paul, Schopenhauer? Gab es da nicht auch genug Allesbeschwätzer der denklichen Haltung, die dem Leben den Wein wegsoffen und nur das Wasser ließen? So etwas von Romantik und bieder im Erker? Das scheppert von hohl!

Auch ich habe starken Abstand vom Leben, suche es zu verstehen, aber ich will es auch fühlen!
Hier fand wohl die Wybranietz-Wende ihren Grund.

Aber was sind denn das für Zahlungen? Für ein Buch? Für dieses Buch! Gibt es denn keine Dichter? Schwindelt dem Schwindler nicht in schwindeliger Höhe?!

Die Stirn in der Fremde und Verlassenheit an die Kachelwand einer Toilette gelehnt.- Was hinderte einen Gang unter Menschen? Ist Einsamkeit denn ein seltener Edelstein, um den der Geiz schleicht. Dieses Ding das in den Abendwegen glitzert wie Kronkorken im Schotter zur Volkshochschule?

Stark übertrieben! Der Lottogewinner, der als Loser seufzt. Man versteht das: Der 400 Euro Jobber hat keine Antenne für die feinen Schmerzen von Dicht und Dünkel aus dem Silikon.

So kann Weltekel sich auch erklären: "ein Rauschen, ein spürbar anderes als das von Regen ist dann vernehmbar geworden... für immer hatte ich mich bei denen dort unmöglich gemacht" (Der stille Ort). Später geschah es wirklich, nicht wegen naß oder wichtig, sondern wegen Erdbeeren riechen über Srebrenica.(...natürlich nur, "um die furchtbare Zerstörung...  um Srebrenica und die Todesstille noch spürbarer zu machen".19.5.10 sz )

So kam es zu
"Draußen: Verstummen. Verstummtheit, Sprachloswerden. Sprachlosigkeit. Sprache verlieren, Sprachverlust. Einsilbig geworden durch die Worte wie Wörter der andern, von ihnen zum Schweigen gebracht -angeödet - verödet. Weder, daß ein einziges Wort über die Lippen kommt, noch, schlimmer, daß es im Herzen, in der Lunge, im Blut oder sonstwo mittut." 
"Das Grölen, Gellen, Toben und Kreischen draußen: verwandelt in Volksgemurmel und Weltgeräusch...." (Aus dem stillen Ort).

"Und für einen Augenblick verwandelte sich das eine Tier in einen Esel, welcher quer durch das Land stöhnte und schmetterte, während sein Partner ein entsprechendes Schnauben ausstieß....

..Danach durch den großen ’Wald, in lichter Weite Eichen, Edelkastanien, Buchen statt des gegendüblichen Buschwerks: Ja, war das denn so geldacht? —Ja‚ so war das gedacht. —Und von wem? —Von mir. Gedacht. Getagträumt. Vorgesehen. Solch eine Vorsehung: Es gab sie."(Versuch über einen Pilzsammler)

*
Und wie war das mit Thomas Bernhard, der doch berührte? 

Brief 422 Handke-Unseld Anmerkung 1

Sigrid Löffler zitierte in dem Artikel Der Mönch auf dem Berg (in: profil, I7. November 1986) Äußerungen von P. H. über Thomas Bernhard: Was der Thomas Bernhard macht, in Ehren, aber für mich ist das keine Literatur.« Daraufhin schrieb S.U. in einem Brief an Thomas Bernhard unter dem Datum des 25. November 1986: "Lieber Thomas, die Äußerungen des "Mönchs auf dem Berg" sind, wenn sie so gefallen sind, töricht, dumm, unverzeihhch, geschmacklos." (Bernhar—Unseld, Der Briefwechsel, S. 760)
Eine Literaturförderung, die einen Fehlgriff nicht berichtigen kann, sondern an der Verewigung mit einem gewaltigen Reklameaufwand festhält.

War es je anders?
Leonce ...dieser geistige Tod in diesem geistigen Leib.

Dr. Smirc: "Erdbeeren riechen über Srebrenica. Ein armer Kerl?"
Dr. Warnix: "Reue ist ein schwieriges Geschäft. Aber so lange die Zeit nicht abgelaufen ist... Fast finde ich die Kulturkassierer schlimmer, die ihm keine Zeit zum In sich gehen lassen sondern immer neue Gebinde von Styropor anfordern und hinaus blasen."

Ein Gammler geht vorbei, verkleidet als Penner. Das ist nicht der Ich, der da kommt. Das ist Gott, für den Du gerade nicht das passende Kleingeld parat hast. Er rülpst leise und sagt zu Schopenhauer: "Was hältst eigentlich Du von Nietzsche?"

Klaus Wachowski 17.10.2017

10.10.17

Respekt

Wie die Leute, die sich nach Beachtung strecken, doch die, die  nicht mehr verlangen als Achtung, - verachten!

Respekt erwartet, wer sich über Menschen erhebt, auch der mafiose Gangster hinterm Bauzaun LA.
Achtung erwartet, wer gleich behandelt werden will.

Würde des Menschen ist nicht Ehre eines herrschen wollenden Dünkels von Ich, Familie, Clan, verschworener Gemeinschaft, religiösen und ideologischen Predigern. Sie ist mehr: Ureigenes Vorrecht der Person vor allem Anspruch auf Einregieren.

9.10.17

Dr. Smirc am Spülbecken

Ein Artikel aus Publik-Forum liegt neben dem Brotkorb. Dr. Smirc schaut immer mal wieder rein.

Zur Zerstörung zweier kleiner Körpers benötigst du mehr Kraft als zur Zerstörung eines daraus zusammengesetzten Einen. Ausdruck der inneren Kräfte gegenüber der Oberfläche: je kleiner das Volumen umso größer die Oberfläche.

Dr. Smirc an der Spüle. Der Kaffeesatz fließt ab. Wann kommt der Augenblick, an dem ich auch das nicht mehr kann? Ich fasse die klebrige Tasse an und tauche sie in das etwas zu heiße Wasser. Der Druck des Porzellans gegen die Finger, das Wasser auf der erschreckten Haut: Ich denke an das dritte Tagebuch von Frisch. Einer, der den Dank an das Lebendürfen nachvollziehbar ausdrückt. Ich bin mit meinem Gefühl nicht ganz allein.

Ein Theatermann schreibt über immer primitivere Beschimpfung von Religion und Gott. Dr. Smirc zuckt mit den Schultern: Ich war auch mal jung, große Sehnsucht nach den  Menschen, der Liebe, der Aufmerksamkeit machten mir das Gottanbeten so verdächtig wie den als Tierliebe säuselnden Menschenhaß, die vom Menschen weg zu weisen schienen. Jetzt ist Smirc alt: Du weißt eh nicht. Also glaube Gott oder das Nichts, mir ist die Welt als von einem gütigen Willen belebt eine angenehmere und glaubwürdigere Vorstellung als eine vom Ich-und-Ich beherrschte darwinistische Kickbox- Arena.

Dr. Warnix, Psychagog und Parteimitglied vor dem Ausschlussverfahren, wirft ein: Aber Hundefreunde und Atheisten können doch sehr wohl -und bessere- Menschenfreunde sein!

Darauf Smirc: Aber natürlich! Wenn Du Dir die Menschenliebe als eine erklärst, die irgendwie aus dem ersten Meteoritenstaub herausgemendelt wurde und sonst nichts mit Dir zu tun hat... Ich glaube eben, daß das Leben, die Welt etwas mit mir zu tun hat. Und wenn ich sterbe, möchte ich wenigstens Dich bei mir haben für einen schönen oder tröstlichen Abschied.

Warnix: Was hat das denn mit Gott zu tun?

Smirc: Ich glaube Gott über das Gefühl, irgendwem, irgend einem Prinzip, Ding, Kraft, Wollen danken zu wollen. Es war doch schön, leben zu dürfen. Und ich danke dem Was-auch-immer, daß dieses Ding an sich irgendwie im Leben ist, von dem ich mir kein Götzen noch Weltbild schnitzen kann.

Gott streut noch einen gelben Sack voll Fragezeichen in das Gespräch. Mit den Jahren ist der Regen der Fragezeichen zu einem kleinen Teich angeschwollen, in dem ich, wenn es geht, jeden Morgen bade. Sanft umspült es die Ränder des Verlusts, spült Trost aus immer neuen Berührungen des Lebens herzu. Auch nimmt es immer größere Anhaftungen von Wichtigkeiten mit weg, löst es immer mehr Erinnerung auf.

Dr. Warnix, Psychagog und transparenter Wadenbeißer, nimmt den Kaffee Altersheim gerne an. Muss ja nicht schmecken, gibt eine Stunde Aufenthaltsrecht. " Laß die Jungen! Auch bei uns ging's doch bis vor wenigen Jahren noch darum wer den Größten hat bzw. am schönsten ist. Laß sie sich am Zertrümmern immer kleinerer Partikel des Glaubens versuchen. So lange sie sich nach Menschenliebe sehnen, wird der Weg schon auch hier in irgendeiner Friedensecke des Glaubens oder Nichtglaubens enden.

Haßprediger hassen den Regen der Fragezeichen. Ob evangelikal oder bakunös-nietzscheanisch: Die Verachtung des Menschen braucht Ausrufezeichen. Primitives Schimpfen und das Anpinkeln von Hoffnungen auf eine Wertachtung aus einem anderen Raum als der Kneipe der Ideologie wird es immer geben. Fusel, vergiftete Muttermilch (Piet Kuiper?), dämpft Einsamkeit. Dr. Smirc empfiehlt ein Bad in einer von frischen Fragen befüllten Wanne, duftend nach Ungewißheit und Leben.

Gott schenkt ein Viertele Vergessen aus.

Er lächelt über die Bildnisse und Gleichnisse der Haßversteher. Herr oder Anus der Welt?! So schnitzt man sich ein Aha auf das Was.

Jetzt erstmal ins Warme!

Karlsruhe, 9.10.17

1.10.17

Durch Karlsruhe

Tod ist etwas anderes.
Ich gehe hinaus und denke: "Das Rascheln des Eichhörnchens sollte nun wirklich mehr Raum in deiner Vorstellung einnehmen als der Narzißmus einer literarischen Bestreifung der Welt." Aber ich bin ausgelaugt und möchte mir eine kleine Schadenfreude bereiten.
Da trifft es sich gut, daß Handke tatsächlich und ausgerechnet im Haus Thomas Bernhards liest und große Erwartungen unter Betschwestern und -Brüdern der Langeweile auslöst. Der Pfau, der leere Eier legt, darf nun im Hof des Schriftstellers schreien.
Ein exquisiter Interpret. Der Diva erlauchtes Schreiben unter der Medaille des Karadzic, nicht gerade Lebensquell und köstlicher Genuß. Inwiefern ein Antipode?
Jetzt "wird das Trennende und Verbindende zwischen Bernhard und Handke erörtert".
Ob Bernhard auch eine Onanierszene beschreibt? Den Blick auf das Milchglas, die traurig lange Dauer zum Erguß? Er schrieb wie Dichter, die mir etwas zu sagen haben, von innen heraus. Der Mann hatte richtig Wut, ließ sie raus, sagte sie, zeichnete sie nicht. Wenn, dann hätte er nicht einen Erguß festgestellt, sondern einen Orgasmus oder die Enttäuschung aus einem Gelebten heraus geschrieen oder geschimpft. Dem hätte niemand sich mit einer Auszeichnung zu nähern getraut. Und er besoff sich, wenn er eine nehmen mußte, um zu leben.
Handke hat sich inzwischen von der Publikumsbeschimpfung zur Betrachtung von stillen Orten vorgearbeitet. Das Harmlose wird wieder genossen.
Gelbe Ablagerungen an den Pfützen. Samen, Staub von Koryphäen säumt den Weg der Erinnerung an den Erdbeerriecher von Srebrenica.
Das Eichhörnchen vergräbt eine Nuß im Grab. Ob sich ein tauber Text darin findet? In der Erde aber legen sich Erinnerung und Tag um den Schmerz.
Es ist schwer unbeschwert durch die Straßen der Stadt zu gehen, wenn ein so gediegen goldenes Füllhorn des Ego den Blick kreuzt. Man sieht die Eichhörnchen nicht mehr. Und die Erinnerung an Srebrenica bedrückt wieder das Herz der Ohnmacht und der Mitschuld des Geschehenlassens.
Dr. Smirc: "Versenke die Nuß doch ins Vergessen!"
Dr. Warnix, Psychagog und systemischer Literat: "Laß diesen Augenblick den Toten!"
Gott sagt einen blauen Himmel.
Richard, könnte ich doch so schimpfen wie Du und Thomas Bernhard! Ich käme wieder zu mir.
1.10.2017