Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

15.2.15

Glück? Na wenn schon

Die Hügel werfen sich auf wie Gebirge. Die Doctores Smirc und Warnix sind unterwegs nach 2015.

Herrrr Dr. Smirc! Was wünschen Sie sich von diesem Jahr?

Glück?! Immer das gleiche? Das hatten wir doch schon 2014 und all die Jahre davor! Und außerdem, dass Sie sich Erfüllung der Wünsche wünschen, das hätte ich mir selbst denken können! Nein: welche Wünsche wünschen Sie erfüllt zu sehen, Herr Dokter?

Okay, mein lieber Doktor Warnix. In unserem Alter wohl "gesundes Weiterleben".

Aber das kann doch nicht alles sein! Was wäre, wenn Freunde und die Lieben Dich, die Freude am Leben oder das Leben verließen? Deren "gesundes Weiterleben" und, damit sie auch vom Schmerz verschont werden, das gesunde Weiterleben ihrer Freunde und Lieben musst Du dann wohl auch wünschen?

Du bringst mich auf Gedanken! Unter den Freunden und Lieben der Freunde sind doch einige, die mir eher verhasst sind. Ist mir deren Wohlsein und das ihrer und meiner Freunde dann doch gleichgültig? Da keinen Unterschied zu machen, das scheint mir doch irgendwie zu christlich oder buddhistisch zu sein. Lassen wirs dann doch erst mal bei der Gesundheit von mir und den Freunden. Ich kann sie ja trösten, wenns ihre Leute trifft.

Also gut: gesundes Weiterleben für Dich, Deine Lieben und Freunde und Weiterbestehen von Liebe und Freundschaft. Das ist nicht wenig. Aber schön und gut willst Du doch auch leben und die Freunde und Lieben sollen wohl auch nicht durch trübe Tage gehen. Lustig solls doch wohl auch sein!?

Die Sonne kommt heraus. Aus dem Gebüsch erklingen Lieder von Meisen. Jacko Ivanowitsch Smirc seufzt das Wort "Frühling".

Dr. Warnix: "Sag ich doch! Immer das gleiche! Und die Sonne leuchtete jeglichen Tag!- Wie laangweilig!"

Zwei auf Bodywork joggen vorbei. Noch elend weit bis zum Montag.

Jacko rutscht beim Ausweichen aus, kann sich aber noch fangen. Aufgeregt zwitschernd jagen die Vögel in den nächsten Baum. "Du willst wohl die Narrenkappe aufsetzen! Solang doch Geburt und Tod sind, kann uns doch nicht gleichgültig sein, ob diese Hauswand im Sonnenlicht glänzt und ruft "schau her" oder sich im grauen Tag als ein weiterer Stein des Na-wenn-schon auf Deine Lebenslust legt!

Warnix: "Na wenn schon!"

Dr. Smirc schüttelt den Kopf. Er weiß: er kann ihm nicht helfen. Aber er möchte sich auch nicht aus diesem schönen Augenblick hinunter ziehen lassen.

Ein Hellau jaulender Zug lustiger Lustdamen und -herren rauscht vorbei. Die Zugmaschine schleift zwei überfahrene Jogger hinter sich her. Oben merkt man noch nichts davon.

Ich bin doch nun mal in der Welt. Und ich will mir die kurze Zeit nicht zum Ekel machen. Ich bin nun mal unter Menschen und sie geben mir doch manchmal mehr als ein Paradies allein. Warum soll ich sie meiden?

Dr.Warnix hält ihm ein Zitat von Schopenhauer vor. Man sagt zwar, er sei kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber er hat doch das Leben eher beseufzt als Reklame damit gemacht wie dieser wirre Epigon Nietzsche.

Smirc hält dagegen: "Ich weiß, dass es mit dem Leben eine mißliche Sache sein soll, und er es deshalb vorzog, darüber nachzudenken. Aber wenn ich auch nicht die irren Größenwahne des Professors Übermensch tanzen möchte, so will ich doch zum Vergnügen des Denkens auch das der Lust haben und auf die unerklärliche Erweiterung in der Liebe nicht verzichten. "

"Du wirst all das verlieren!"

"Mag sein." "Wird es für immer sein? Dann wird mir die Erinnerung daran und an das Leben den Rest und den Tod schön machen. Mag sein. Jetzt ist Sein."

Die mürrische Lehrerin vom Musikunterricht steht am Weg und beobachtet einen Raubvogel, der seinen Taubenkopf in den Leib eines Sperlings versenkt.

Gott tritt auf. Er ist etwas verwirrt. Wie soll er die beiden zusammen bringen? Er lenkt den Sonnenstrahl auf die Veranda des Cafés Sonntag, wo das Gespräch mit der Freude spielt.

Schopenhauer schimpft: "Du brauchst wohl einen Gott, um klar zu kommen.!"

Dr.Warnix: "Na wenn schon?"

15.2.2015

7.2.15

Tagesstruktur

Die Zigarillos sortieren. Hinausschauen in den eisblauen Himmel. Man könnte auch wieder einmal im Grün wandern. Die Sonne im Rücken durch die rot leuchtenden Stämme.

Ich sehe Howling Wolf, alt, vor 21 Jahren einen Blues spielen. Der berühmte Howlin Wolf mit drei Zähnen. Super Sozialsystem. Freiheit ohne Solidarität.

Dann schreibe ich auf:
Einkaufen: Ravioli, Frischkäse, Orangen, Gurke.
Vögel füttern
Spinnweben im Bad, Gefriertruhe,
X anrufen,
frisches Handtuch...

Wo ist nur der Zettel mit der Pin?  Die Migräne meldet sich. Natürlich wieder bei Sonnenschein!

Am Abend spüle ich den Rest Geschirr. Den Rest des Tags brauche ich nicht mehr.

Auf dem Sofa aufgewacht noch kurz ins Bett. Ich will nicht vermüllen. Wie alt X wohl ist? Ob er mich überhaupt noch hören kann?

Zeitungen wegräumen. Wieder nicht gelesen. Radio mal wieder einschalten. Der grüne Knopf.

Da liegen ja noch Zeitungen!

Das war doch schön, die rot glühenden Stämme, die frische Luft!

Könnte mich das noch begeistern? "Früher wars schöner"?  Gut! Du hast leuchtende Landschaften in die Zukunft geworfen. Heute fische ich sie aus der Erinnerung. Du meinst, die Aussichten seien schöner gewesen. Jetzt schaue ich in den Morgen - zurück.  Das Nichts mag nichts sein, ist aber angenehm.

Was heißt da Vermögen? Hab ich denen doch schon 20 Jahre immer wieder mitgeteilt! Wem soll ich die Erklärung denn anvertrauen, bitteschön?

Allerdings: Es gab schon mal schönere Aussichten.

"Und Verzweiflung war das Wertloseste....Denn mit Hoffnungen ließe sich dieses Leben nicht mehr ertragen." Wo hörte ich das?

Wieviele mußten sterben! Sie vergessen all das Wichtige für "ich zuerst".

Eine Zigarillo. Mal sehn, wohin.

18.1.15

Der alte Oberiut



Er liebt das: den weißen Tisch, die weiße Wand, den Becher Kaffee. Nichts lenkt ab vom Nachdenken. 

Vor dem Fenster liegt eine hohe Nebelwand, aus der heraus die Flügel zweier Windräder um sich greifen. Liegt dahinter wirklich die Welt oder nicht nur wieder das Schlagen, das Befehlen, das Schimpfen und Spotten?

Auch die farbigen Räume von Camphill empfindet er recht angenehm. Auch hier könnte er sich vorstellen als Alter abzuleben. Man hat doch auch Räume des Rückzugs. Man kann doch auch ohne Antreiben miteinander leben und -wenn es sein muß- etwas bewegen. 

Jetzt aber hört er die Stimmen der Meisen mitten im Januar schon in Frühlingsliedern aufsteigen. Er wehrt sich innerlich: er möchte noch ein paar ätzende philosophische Urteile gegen das Leben loswerden. Doch das Weiß will sich nicht mit Verachtung füllen. Im Gegenteil: er spürt dieses peinliche Gefühl von Trauer und Tränen in sich aufsteigen. Hoffentlich merkt es keiner! Er schaut sich um und greift nach dem Kaffee. 

Gott-sei-Dank! Niemand in der Nähe und leises Geklapper von der Küche her. 

Er reißt die Packung auf. Auf die Tischplatte fallen cross gebackene Erinnerungen, gesalzene Hoffnungsbohnen, gebruzzelte Sehnsucht und Lust mit Bratwurst-Aroma. Am Liebsten sind ihm die Erinnerungs-Cracker. Es kracht so angenehm, wenn so ein Selbstbetrug unter der Zunge knackt. Irgendwie sauer und salzig zieht es sich durch den Mund, wenn sie dann am Gaumen kleben. Es will verdaut sein.- Mit den Hoffnungen ist das so eine Sache: angenehm im Geschmack, aber ziemlich blähend. Einen japanischen Whiskey als Gegenmittel kannst Du in diesem Heim natürlich nicht finden. So stopft er alles in sich hinein, läßt die Lustkrümel unter den Tisch fallen, und ruft nach der Praktikantin, um sich wieder in sein Zimmer fahren zu lassen.

Dort läßt er sich das Fenster kippen und hört mit geschlossenen Augen den Meisen zu. Er raucht eine Sumatra-Pfalz.

"Ganz schön einsam", meint Jacko Homowitsch Smirc. Dr. Warnix, Psychagog und abgehalfterter Politoffizier, ist da etwas anderer Meinung: "Du hast ganz recht! Der Mann hat eine ausgewachsene Frühlingsdepression. Aber schon mal genauer hin: Er ist doch rund aufgehoben und umarmt von den Tönen und Sonnenstrahlen dieses Tages. Gegen den Winter spielt er noch etwas zen und Verachtung. Aber er weiß doch auch: nicht mehr lang und der Frühling wird uns mit seinen Farben und Düften überschwemmen und jeden Buddha mit Blümchen statt mit Pommesfett schmücken."

Gott macht das Fenster zu. "Willst Du denn gar nicht mehr an mich glauben?" Der alte Обериут (Oberiut) lacht:"Keine Angst!- Ich weiß Dein Weiß zu schätzen!"

Klaus Wachowski 18.1.15


11.1.15

Sturmwarnung



Ich gehe Brötchen holen auf dem Weg ins neue Jahr. Die Sturmwarnung hat dafür gesorgt, daß ich wieder den Wind höre. Von vorne links das blecherne Rufen einer Elster, jetzt links hinter mir. Von dort jetzt auch das Krächzen eines Raben.
Das Klirren der Fahnen an die Masten, das quietschende Zwitschern von zwei Meisen im Busch. Schon schwirren sie über mir davon. Mit dem Wind, den davon eilenden Wolken, dem scharfen Licht der tief stehenden Sonne wächst ein Gefühl von Trauer in mir. Es gibt keinen Anlass oder Alles. Es ist kein richtiger Schmerz. Was ist schon richtig?
Früher bezog ich es auf Erlebnisse der Vergangenheit, auf Schrecken von Beziehung, auf Not. Jetzt kommt mir der Gedanke, es könnte auch eine Art Erholung der Seele sein. Angenommen, der seelische Zustand sei auf eine Art Gleichgewicht, Gleichförmigkeit und Gleichmut ausgerichtet, dann würde sie sich sicher genau so verhalten: nach den Aufwerfungen der Hoffnungen, guten Vorsätze und Wünsche zu Weihnachten und Neujahr müsste sie tief untertauchen in Enttäuschung und Bitterkeit, um sich abzukühlen für ein erfolgreiches Weitergehen. So folgt der Anbetung der Hoffnung ja auch der Carneval, die Verachtung des wirklichen Lebens.
Die zu hoch gespannte Saite muss nachjustiert werden. Dass es da erst einmal zu tief gerät, liegt wohl in der Natur der Sache. Ich habe mich dazu entschlossen, die Arbeit Gott und seinen Hormonen zu überlassen und hoffe, dass das Material noch nicht ermüdet ist und reißt.
Inzwischen gibt der Widerspruch zu den vorherigen und künftigen Hoffnungen der Vernunft Gelegenheit zu Humor, das Warten auf die besseren Zeiten zu verkürzen.
Die Wolken reißen weiter auf, das Licht sticht greller. Der Abend kommt, die Nacht.
Der Mond ist eine Scheibe. Die Augen trinken dunkle Welt. Sie bleibt stehen.
Es fühlt sich an wie eine Frage.
War die Antwort nicht Ja?

7.1.15

Herrschaft und Einsamkeit, eine Grabrede



Der alte Herr Schlämmer

Ich glaub, ich seh nicht recht: steht doch tatsächlich der alte Schlämmer im Schnee und fegt seinen Bürgersteig. Die rote Nase weist ihn als einen der wenigen Mächtigen in dem Zweitausend-Provinz-Seelendorf aus, die abgezirkelten Bewegungen als ehemaligen Streber vom Wiesbadener Coniferen-Gymnasium. Das professionelle Lächeln, mit dem er die beiden Herren Doctores grüßt,- (er legt Wert auf sein Wissen darum, dass es nicht Doktoren heißt)- es hat noch nicht unter dem Eintritt der ehrenvollen Beendigung seiner Amtszeit gelitten. 

Dr. Smirc möchte knapp grüßend vorbeigehen aber Warnix reitet der Teufel. Schnurstracks über die Straße. "Hallo, Herr Schlämmer!" Er stellt sich vor, wie diese bewußt den Amtstitel mißachtende Ansprache sich in den aufgeweichten Herrschaftsstolz der pensionierten Macht bohrt. Es nennt sich Schadenfreude und gehört nach Schopenhauer zu den Attributen der Bosheit. Aber Warnix lässt es hier gerne los. "Sie wissen ja, daß Sie auch die Straße bis zur Mitte reinigen müssen!“ Mit der heuchlerischen Freundlichkeit von Hunderttausend € jährlich plus. 

Schlämmer steht kurz vor dem Aufbrausen. "Warum muss ich immer versuchen, mich mit den Leuten gemein zu machen? Jahre Dienst an der Allgemeinheit. Und nun Gehässigkeit und Missachtung!"
Dr. Smirc zu Dr. Warnix: "Ich schunkle ja auch nicht gerne Arsch an Arsch mit der Gemütlichkeit. Aber ich bin auch hundsfroh, dass ich weder Beifall noch Verehrung von Abhängigen brauche."

Warnix erinnert sich an den Barras-Ton, als Schlämmer eine Mitarbeiterin vom ehrlichen Wort aus seiner Nähe verbannen ließ, an die barsche Art wie er einem Untergebenen die Bitte um eine Lohnerhöhung abschnitt: "Seien Sie froh, daß Sie bei mir untergekommen sind!"

Sind solche autoritären Stiefel schon als Jugendliche erkennbar? Knecht sein, Knechte sammeln? Andererseits: Gäbe es Gleichheit, wie lange bräuchte es zu Entscheidungen? Die Republiken der Cherokee sind wohl eben aus diesem Mangel heraus den vorangepeitschten Truppen der Kavallerie unterlegen. 

Wichtiger aber erscheint Dr. Smirc die Frage: Wozu so ein Nichts von Leben anstreben? Was gibt Dir die Macht schon? Außer Geld?

Gehorsam!- Ist es nicht schön, Menschen allein mit wörtlichen Anweisungen marschieren zu lassen? Dr. Warnix kurz: "Du meinst, den Sand des Lebens von einem zum anderen Ende des Kinderkastens schaufeln lassen?" "Nicht primitiv werden!" Jacko Ivanowitsch Smirc reagiert unwirsch, "Du bist doch plötzlich Teil einer Lebensorganisation, die es sogar erlaubt, Menschen an Deiner Stelle in den Krieg zu schicken und auch sterben zu lassen.“

Warnix bei sich: "Ich denke an den Russen Tschechonadski, kein Putin, der schreibt "Auch ich habe gekostet von der Macht-, auch mein Tisch war gedeckt mit unterschriftsreifen Papieren.- Sie hat mir nicht geschmeckt." Ist das nicht eine stolzere, würdigere Haltung?"

Laut: "Ich konnte meine Macht nur mit der Entschuldigung ausüben, dass es für sie eine Überprüfung gab und dass ich weitestmöglich gerecht blieb. Macht ohne wirksame Einschränkung war mir schon immer zuwider."

Smirc glaubt das natürlich nicht. Es klingt ihm zu sehr nach dem Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind: "Dann war Dir wohl auch die Verehrung, habe die Ehre, Herr Dr., nicht wert, Dich nach oben zu kämpfen?!"
Dr. Warnix winkt ab. Wer glaubt schon wie er an die Moral anarchistischer Märchen, Resolutionen der Republik, an die Brüderlichkeit von Traueransprachen?! Das Ah und Oh vor Königen und Schauspielern, vor Stars und ihren Erwerbern, vor Held und erstem Professor bringt selbst den kritischen Kopf von seinem Weg ab. 

"Und erst die Segnungen der Korruption!", Smirc läßt nicht locker. "Wie doch die Kunst und was sonst noch käuflicher Genuss ist, die Beine spreizt unter dem Lächeln des Großen!"
"Mann, merkst Du nicht, wie sex, drugs n rock'n roll der Herrschaft über das Leben ablenkt von seiner Schönheit?" Dr. Warnix ist nun wirklich sauer über die Sticheleien des Freundes. "Größenwahn, Vorabeiter, Boß, Gewerkschaftsboß, blablabla. Heiliger der Herrschaft, hast Du die Grabrede des Todes schon wieder vergessen?"

Ja, der Tod als Trauerredner, das war schon eine Erfahrung:

"Verehrte Anwesende, Verehrte und Verhasste, Hinaufgelangte und Übergangene, Freunde der Menschen und Dividenden. Wir sind hier zusammen gekommen, um unsere liebe und vorteilhafte Angehörige zu begraben.

Wer war es, der ihr den Namen Einsamkeit gab? Es muss lange vor unserer Geburt geschehen sein. Als wir ans Licht kamen, war sie schon da und schloss uns ein in ihre gläsernen Wände. Alle Mühen der liebenden Eltern, alle Ermunterungen und Spiele der Freunde, die prächtigen Licht- und Schattenspiele von Natur und Lust, das Heulen der Herrschaft, das Bellen ihrer Speichellecker waren immer nur kurzfristig in der Lage, die Tür in die Welt von Ich und Du zu öffnen. Die Einsamkeit aber war nimmermüde, überall und treu in Freude und Leid. 

Als sie dann in einem tiefen Schmerz, oder war es ein langes Siechtum an Aufmerksamkeit übender Liebe?, verschied, da spürten wir erst, was wir an ihr gehabt hatten. Nun gleiten wir in einer immerwährenden Gemeinsamkeit dahin, frei von Frust und Lust und ohne Furcht und Glauben um das Nichts. Wir versinken im Glück und Leid des Wir, wir vergessen den Weg, Anfang und Ende, wo uns das Ineinander auflöst.

Seien wir dankbar! Erinnern wir uns der guten Zeiten ihrer Allgegenwart! Wie tröstlich war es doch, fremd zu sein in der Welt! In den schwülen Sommernächten der Liebe erhob sich nach manchem Gewitter der Blick in die eisigen Horizonte einer Gleichgültigkeit. Sie öffnete den Raum über den Straßen der Sehnsucht, über den Nomadenzelten des Ich. Unter ihrem glitzernden Schweigen allein konntest Du den Rhythmus des Herzens nach einem Du pochen hören. 

Nun, wo wir Tag für Tag mehr vom Licht der Erkenntnis an Zufriedenheit und Wohlgefühl verlieren, lasst uns die schmerzend glimmenden Reste der Einsamkeit suchen in der Erinnerung, so lange wir noch etwas vom Ich wahrnehmen können. 

So wollen wir uns bedanken bei jener Unbekannten, die ausgerechnet uns unter Millionen Möglichkeiten auswählte, im Leben zu erwachen und uns beschenkte mit Liebe und der Sehnsucht Einsamkeit, der Lust, Leben zu erleben und weiterzugeben! 

Der Redner verlässt das Podium:" Die Angehörigen aus den beiden Familienzweigen Ruhm und Macht laden im Anschluss zu einem Imbiss Narzissmus, Burnuts und Deprösterchen ein. Da wollen wir lachen und fröhlich sein. 

Für die von Weiter hergereisten darf ich günstige Unterkunft im Paarhotel Exit empfehlen."

Und so weiter, und so weiter. Die beiden Doctores müssen sich beeilen, wenn sie ihren Platz bei der Carnevals-Degustation nicht verlieren wollen. Heute steht die Verkostung von hochprozentigen Karriereschnäpsen an, gut abgelagert in Vorstandskonten. Der Wein der braven Denkungsart soll nichts sein dagegen. 

Da! Schon hört man fernes Tuff-ta und ehrerbietiges Schweigen betrommelt die Promipercussion des Provinzblatts. Beschwingt vergisst und vergibt man. Die Probiergläschen werden präsentiert und mit Gott wirft man sich unter einem fettglänzenden Gospelschauer ins Gedränge am Trog.

Oder doch ohne Gott? Einer will ihn beim alten Schlämmer gesehen haben. 

Das glaubt aber nicht mal der sonst doch alles glaubende Salaf vom Pegihool. Da gehe eher ein Kamel durchs Nadelöhr. 

Gott sagt: "Nun lasst doch mal! Der ist alt!"

6.1.2015








11.11.12

Komm mit mir ins blaue Tal.


Wir verlassen die Höhen von der schönen Aussicht. Durch dunkle Nadelwälder, entlaubte Hoffnungen, durch aufgeweichte Wege kommen wir herab. Vor dem Eingang verzweigen sich die Hecken.
Du hast keine Wahl. Die Dornen reißen Dir die Kleider vom Leib, Deine Haut blutet aus tausend ungefährlichen Wunden, wenn Du das Tal endlich vor Dir liegen siehst.
Die klaren Wasser vom Fluss Desillusion begrüßen Dich. Trinke vom Durst! Unter den Bäumen der Geringschätzung empfängt Dich der Schatten, den Enttäuschung wirft. Vögel flattern auf, um ihren Raub vor Dir in Sicherheit zu bringen. Sie krächzen ein schadenfrohes Lachen. Deine Beine versteifen, kämpfen sich durch eine zähe Gleichgültigkeit und der Regen regnet jeglichen Tag.
Und doch gehe weiter hinauf! Schatten der Hoffnung huschen ruhelos über das Prospekt der zerrissenen, vom Nebel verhüllten Erinnerungen.
Was hast Du erwartet? Sonnenschein, Blumen, Musik? Einen frohen Blick? Dies ist das blaue Tal, in das Du fällst, wenn Dein Ich seine Einsamkeit erkennt.
Es ist nicht das Schlechteste. Sieh Dich um! Die Vielen am Tisch des Verlusts. Einer wird das erste Wort sprechen. Das erlösende.
Der Druck auf Deinen Lungen wird nachlassen, Du wirst schlafen am Quell, an dem das Leben einst zu Dir sagte: "Komm mit mir ins grüne Tal!" Und Du wirst gehen.
Auf all Deinen Wegen zwischen Berg und Tal, vergiß dann aber nicht den Raum Ernüchterung, das Geschenk Gottes, das den Menschen ermöglicht.
11.11.12 Klaus Wachowski